Klartext zu Mercedes: Hat da bei Nico Rosberg jemand geschlafen?
Christian Danner: Ja, schon. Die Mercedes-Jungs haben gesagt, sie hätten nicht damit gerechnet, dass die Strecke so viel besser wird, dass sich unter Umständen der Wind ändert. Ich glaube, die haben nicht damit gerechnet, dass so viele noch einmal einen zweiten Schuss mit einem neuen Satz weichen Reifen machen. Aber das ist jetzt zwar dumm gelaufen, aber es kann halt mal passieren. Was will man machen?

Danner nimmt kein Blatt vor den Mund, Foto: adrivo Sportpresse GmbH
Danner nimmt kein Blatt vor den Mund, Foto: adrivo Sportpresse GmbH

Wer trägt da die Verantwortung, trifft die Entscheidungen?
Christian Danner: Der Renningenieur und die Strategieabteilung. Da hat der Fahrer absolut nichts zu sagen. Wie das in letzter Instanz bei Mercedes genau durchorganisiert ist, weiß ich nicht. Aber letztlich gibt es da schon einen, der da sagt, nix, wir bleiben jetzt drin - basierend auf der Analyse der Strategieabteilung. Aber ich bleibe dabei: Das ist zwar dumm gelaufen, aber noch kein Beinbruch. Denn der Nico hat durchaus eine gute Chance, hier zumindest auf's Podium oder sogar ganz nach vorne zu fahren, denn ich würde hier mal nicht von einem komplett normalen Rennverlauf ausgehen.

Wegen der unterschiedlichen Strategien? Und weil Nico jetzt auch auf dem Medium-Reifen starten kann wie Ferrari?
Christian Danner: Ja, dann kann er die Ferrari auf jeden Fall kassieren - und Ferrari hat sich diese Strategie auch nicht ausgesucht, weil sie sich nach hinten orientieren, sondern weil sie nach vorne schauen. Das kann schon alles noch klappen. Sicher, die erste Wut ist verständlich, aber da muss man jetzt cool bleiben und nach vorne schauen.

Aber im ersten Moment hat man da als Fahrer schon einen dicken Hals oder?
Christian Danner: Ja und nein. Sicher, es ist ärgerlich und an Nicos Stelle jetzt ganz besonders, weil er natürlich hier am Nürburgring beim deutschen Grand Prix besonders gern eine Pole geholt hätte. Das wäre halt was gewesen. Mit spätestens einer Stunde Abstand ist das verraucht, jetzt zählt wieder das Tagesgeschäft, man macht das Beste aus der Situation und das ist immer noch so gut, dass da ein Top-Ergebnis herauskommen kann.

Immerhin, wieder eine Pole für Mercedes durch Lewis, Sebastian dann direkt dahinter. Wird das auch das Duell des Rennens?
Christian Danner: Auf jeden Fall. Das Rennen wird in den ersten paar Runden erst einmal zwischen dem Sebastian und dem Lewis ausgefahren, und dann werden wir natürlich sehr schnell sehen, ob es wieder so ist, wie wir es kennen, dass Kimi vier oder fünf Runden länger mit seinem Reifen fährt - und dabei am Schluss immer noch schneller als die anderen fährt. In dieser Startaufstellung ist sehr viel Potenzial für Verschiebungen, was ich sehr schön finde. Die zwei Lotus bieten so ein Potenzial, Webber darf man natürlich auch nicht unterschätzen, dann haben wir die zwei Ferraris mit den härteren Reifen. Weiter hinten folgt Rosberg, der höchstwahrscheinlich auch mit den harten losfahren wird. Da ist viel Action vorprogrammiert, und das ist ja genau das, was ich so gern habe.

Ein Wort noch zu zwei positiven Überraschungen im Qualifying: Ricciardo wieder Sechster und Hülkenberg mit dem Sauber erst zum zweiten Mal in diesem Jahr überhaupt aus eigener Kraft in den Top-10.
Christian Danner: Ricciardo da vorne, das ist wirklich eine tolle Leistung, das freut mich auch sehr für Toro Rosso und für Franz Tost. Denn für so ein kleines Team ist es natürlich noch schwieriger als für die Großen, mit solchen Veränderungen wie jetzt mit den Reifen umzugehen. Die können das nicht so leicht wegstecken, wenn es heißt, wir fahren jetzt auf einmal einen anderen Hinterreifen. Insofern: Klasse! Ob er es natürlich schafft, im Rennen da vorne zu bleiben, das wage ich ein bisschen zu bezweifeln. Aber wenn er in die Punkte käme, wäre das schon ein Erfolg. Nico Hülkenberg schafft es immer wieder, irgendwie so in diesen Bereich um Platz zehn zu kommen - das ist schon gut, was er aus dem Auto raus holt.

Was erwartest Du für morgen?
Christian Danner: Ich finde es wirklich sehr, sehr spannend, dass sich ein Top-Team wie Ferrari ausnahmsweise einmal zu einer alternativen Strategie durchgerungen hat. Auch unter dem Aspekt, dass wir bei den Reifen jetzt zwar das Thema Explosionsgefahr komplett gebannt haben, die Problematik im Umgang mit den Reifen und der Degradation-Faktor noch nicht wirklich klar sind. Wenn man über das ganze Rennen hinweg eine etwas entspanntere Degradation hat, dann schaut man, siehe Kimi in Melbourne, auf einmal ganz anders aus.

Hältst Du eine Ein-Stopp-Strategie für möglich?
Christian Danner: Nicht für sehr wahrscheinlich, aber für theoretisch denkbar. Speziell, wenn man mit dem harten Reifen anfängt, da ist dann nachher so viel Gummi auf der Strecke, dass man mit dem weichen auch ein bisschen länger fahren kann.

Glaubst Du, dass 45 bis 50 Runden mit dem härteren möglich wären?
Christian Danner: Ich glaube schon, dass zumindest an einigen Stellen darüber nachgedacht wird. Was ich mich im übrigen auch frage: Wenn wir hier jetzt ein Wochenende mit Training, Qualifying und wahrscheinlich auch Rennen ohne jede Reifenprobleme erleben, warum müssen wir dann eigentlich die Reifen ab Ungarn noch einmal komplett ändern? Es gibt doch dann kein Sicherheitsproblem mehr, außer Pirelli würde sagen, es gebe immer noch so ein latentes Sicherheitsproblem. Oder die FIA würde behaupten - was sie aber begründen müsste - dass wir mit unsicheren Reifen fahren. In Silverstone war das einfach. Hier am Nürburgring ist bis jetzt auf jeden Fall alles super sicher. Wenn ich ein kleines Team wäre, wäre es mir auf jeden Fall hundert Mal lieber, mit der jetzigen Version weiter zu machen, als noch einmal auf die Mischung aus 2012er und 2013er Reifen umzustellen. Dann müsste ich nämlich nicht noch einmal in den Windkanal gehen und von vorne anfangen, weil diese Reifen eine etwas andere Form haben.