Pro: Wo bleibt die abschreckende Wirkung?

von Philipp Schajer

Nach stundenlangen Verhandlungen und Beratschlagungen ist die Katze also aus dem Sack. Mercedes kommt lediglich mit einer Verwarnung davon und muss dazu auf die Young Driver Tests verzichten - für meine Begriffe ein lächerliches Urteil. Es ist unbestreitbar, dass die Stuttgarter durch die in Barcelona abgespulten tausend Kilometer einen Vorteil erzielten, auch wenn sich dieser vielleicht nicht genau beziffern lässt. Dennoch: Gerade in Zeiten der strikten Testbeschränkungen ist jede einzelne zusätzliche Runde hilfreich - erst recht, wenn sie von den Stammpiloten gedreht wird. Während die Konkurrenz mit Nachwuchspiloten erst nach dem neunten Saisonlauf testen darf, waren die Silberpfeile bereits nach dem fünften Rennen zugange. Ein unerhörter zeitlicher Vorteil, der Nico Rosbergs Sieg in Monaco in ein mehr als nur schiefes Licht rückt.

Schatten über Rosbergs Triumph, Foto: Sutton
Schatten über Rosbergs Triumph, Foto: Sutton

Zudem fehlt dem Urteil die abschreckende Wirkung für die Gegnerschaft. Was soll Ferrari oder Red Bull, die vehementesten Kritiker des Reifentests, nun daran hindern, ebenfalls mit dem aktuellen Boliden zu testen? Hätte das Tribunal eine hohe Geldstrafe oder im Idealfall einen Punktabzug ausgesprochen, würde die Sache anders aussehen, aber eine einfache Verwarnung wird niemanden in Angst und Schrecken versetzen und öffnet Nachahmungstätern Tür und Tor.

Die Verbannung von den Young Driver Tests ist lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. In erster Linie ist Nachwuchspilot Sam Bird, der für die drei Tage in Silverstone vorgesehen gewesen wäre, der Leidtragende, aber angesichts des bedrohlichen Strafrahmens wird Mercedes dieses Opfer mit Freuden bringen. Die FIA hat es verabsäumt, ein Zeichen zu setzen und zu signalisieren, wie sie zu Regelbrüchen steht. Blickt man auf die Skandale der letzten Jahre, mutet das etwas eigenartig an, denn es wurden bereits durchaus härtere Sanktionen verhängt. Gut möglich, dass man bemüht war, Mercedes als einen der Big Player der Szene nicht zu verärgern und den ohnehin schon verstimmten Aktionären weitere Munition für einen Königsklassenausstieg zu liefern...

Contra: Ein Salomonisches Urteil

von Christian Menath

'Much ado about nothing' - viel Lärm und nichts -, schrieb Shakespeare einst. Den ein oder anderen mag, ob des milde scheinenden Urteilsspruches des FIA-Tribunals, der Reifen-Test-Gate an jene Komödie erinnern. Doch ist ein Ausschluss von den Young Driver Tests wirklich so harmlos? Zweifelhaft ist weiterhin, welche Daten Mercedes bei den Testfahrten in Barcelona sammeln konnte, fest steht jedoch, dass den Teams bei den Young Driver Tests deutlich mehr, und vor allem brauchbarere Daten zur Verfügung stehen. Auf falschen Daten basierende Annahmen können in der Formel 1 schnell ein Schuss nach hinten sein, deshalb lautet ein wichtiger Leitspruch: Besser gar keine Daten, als falsche.

Wie wertvoll sind die gesammelten Daten wirklich?, Foto: Sutton
Wie wertvoll sind die gesammelten Daten wirklich?, Foto: Sutton

Zudem darf der Stellenwert der Young Driver Tests auch nicht unterschätzt werden. Der Name ist etwas irritierend, weil die Teams meist nicht neue Piloten testen wollen, sondern diese Möglichkeit vorwiegend dazu nutzten, um neue Teile auszuprobieren. Nicht umsonst testete Mercedes im vergangenen Jahr mit Sam Bird in Magny Cours den Coanda-Auspuff und brachte ihn später zum Renneinsatz.

Hätte ein härteres, vielleicht überhartes, Urteil der Formel 1 eventuell gut getan? Schließlich darf in der Königsklasse nicht der Verdacht aufkommen, es herrsche Anarchie und jeder könne tun und lassen, was gerade nötig ist, um die Performance zu verbessern. Gerade in einem so verzwickten Fall, in dem scheinbar niemand genau weiß, in wessen Kompetenzbereich die Entscheidungsgewalt liegt, sollte das Urteil jedoch mit Bedacht gefällt werden.

Zudem darf nicht vergessen werden, dass bei Mercedes das Formel-1-Engagement nicht gänzlich unumstritten ist. Unlängst übte Fondsmanager Michael Muders von der Union Investment Kritik daran. Eine empfindliche Geldstrafe oder der Ausschluss aus der Konstrukteursweltmeisterschaft hätte bei den internen Kritikern zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Sportlich ist ein Werksteam in der Formel 1 immer eine Bereicherung. Sicherlich darf das kein Freifahrtschein für Regelbrüche sein, doch auch aus diesem Grund halte ich die Bestrafung für ein Salomonisches Urteil, mit dem alle Beteiligten leben können.