Brixworth, England, sechs Meilen nördlich von Northampton. Dieses kleine Dorf stellt wohl kaum das Zentrum der Galaxie dar. Dennoch laufen hier wichtige Motorsportfäden zusammen. In einem Technologiezentrum à la Paragon entstehen bei Mercedes-AMG High Performance Powertrains die Formel-1-"Power Units" von Mercedes, McLaren, Force India und ab 2014 auch Williams.

Ladies und Gentlemen willkommen in Brixworth - oder doch eher Babylon 5? Das "all-inclusive" Technikwerk wirkt wie eine Raumstation verloren auf dem englischen Land. Hier gibt es alles - außer Hinweisschildern. Stattdessen erhält jeder Besucher einen Lageplan, der die wichtigsten Stationen aufführt. Wer den nicht lesen möchte, der muss einfach nur kurz stehen bleiben und seinen Blick schweifen lassen - innerhalb von 30 Sekunden ist ein Security-Trooper da, den man nach dem Weg fragen kann.

Dabei ist der Aufbau gar nicht kompliziert und so effektiv gestaltet, dass man innerhalb von drei Minuten zu jedem Bereich des Zentrums gelangen kann - und das ganz ohne Beam-Technologie. Egal, ob man zum Logistik-Deck rechts des Empfangs möchte oder zum Fertigungs-Deck links davon, Verbindungskorridore sorgen dafür, dass man die Hauptabteilungen jederzeit flott erreicht. Die drei Minuten-Grenze wird nur überschritten, wenn man sich von den strategisch geschickt platzierten Ausstellungsstücken wie Motoren, Autos oder Pokalen ablenken lässt, die eingelassen in die Wände der Korridore präsentiert werden.

Auf Blick in die Produktionshallen in Brixworth, Foto: Mercedes-Benz
Auf Blick in die Produktionshallen in Brixworth, Foto: Mercedes-Benz

Das Logistik-Deck bildet im Prinzip die Kommandozentrale. Über eine Treppe gelangt man zu den zwei oberen Ebenen. Auf der ersten sitzen im vorderen Bereich Computer-Geeks, die gebannt auf Bildschirme starren, die Datenlogistik am Laufen halten und viel telefonieren. Im hinteren Bereich, etwas nach unten versetzt, sitzen die Leute, die Koordinieren, Einkaufen, Vertreiben, Sponsoring auf die Beine stellen, mit Zulieferern aus der Umgebung kommunizieren, das Team präsentieren, Kundenteams betreuen, dafür sorgen, dass das Streckenteam optimal arbeiten kann, neue Ideen entwickeln oder sich mit Materialien beschäftigen. Auf das 'Woooshing' von Türen wartet man jedoch vergebens - es gibt schlicht keine.

Wozu Büros, wenn man 16 Nationen vereint in Bull Pens haben kann? Diese sorgen geschickt dafür, dass es eine gewisse Trennung von Hauptarbeitsbereichen gibt, während der Materialexperte mit dem Bürostuhl zum Logistiker rüber rollen kann, um zu besprechen, was gebraucht wird. Offener Austausch ist in Brixworth gewollt und wird durch den Aufbau gefördert. Wer mehr Ruhe oder Freiraum möchte, der trifft sich mit seiner Truppe eine Ebene höher. Auch hier gibt es keine abgeschlossenen Räume, sondern so genannte Chat-Inseln. Fünf bis zehn Mitarbeiter aus verschiedensten Bereichen können als Team zusammen an der Lösung des Problems "X" arbeiten. Die Chat-Inseln sind aber auch für Pausen gedacht oder den Empfang von Besuchern. Von diesem Bereich aus gelangt man in eine Art Halbraum, der für Medien- oder Sponsorenempfänge genutzt wird.

Viele schlaue Köpfe in der Entwicklungsabteilung, Foto: Mercedes-Benz
Viele schlaue Köpfe in der Entwicklungsabteilung, Foto: Mercedes-Benz

Auf dem Fertigungs-Deck ist die Orientierung nicht ganz so einfach. Das abteilungsübergreifende Arbeiten wird mit Hilfe von Räumen mit Glaswänden symbolisiert, die sich hauptsächlich links und rechts der Korridore befinden. Jedes dieser Pods beherbergt einen Arbeitsschritt und ist mit einer Tür inklusive 'Wooosh'-Effekt versehen. Es gibt nur einen offenen, weit ausgedehnten Bereich, dort wo hochqualifizierte Fachkräfte umherwuseln und die Einzelteile herstellen, die für einen Motorenlieferanten relevant sind.

Die Maschinen und Herstellungsprozesse sind natürlich streng geheim. Dafür gibt es im Eingangsbereich des Fertigungs-Hangars Trophäen hinter einer Glaswand zu bestaunen - wenn das keine Motivation ist! Auf der linken Seite sorgen Maschinen für Lärm, Storyboards geben Hinweise auf Sicherheitsbestimmungen, Qualität, Lieferung und Kosten. Den 'Wow'-Effekt löst eine Ausstellungsplatte aus, auf der einzelne Proben zum Bestaunen und Anfassen präsentiert werden. Zum Beispiel ein Kolben, der in der Formel-1-Ausführung optisch wie auch gewichtstechnisch nichts mit jenem in einem handelsüblichem PKW zu tun hat.

Gegenüber befinden sich weitere Glasräume - und eine Küche mit Sitzgelegenheiten. Die Pods beherbergen die Qualitätskontrolle der hergestellten Bauteile, in jedem ist eine andere Sicherheitskontrolle untergebracht. Zum Beispiel Oberflächenprüfung, Maße oder Zugfestigkeit. Zudem gibt es einen Bereich in dem abgeglichen wird, ob die berechneten Werte mit den tatsächlichen Werten übereinstimmen, ob sie schlechter oder gar besser als erwartet sind.

Auch Schumacher und Rosberg legten schon einmal Hand an, Foto: Mercedes GP Petronas
Auch Schumacher und Rosberg legten schon einmal Hand an, Foto: Mercedes GP Petronas

Die Erkenntnisse werden hauptsächlich zur stetigen Optimierung der Bauelemente und Arbeitsschritte verwendet - oder als Grundlage für neue Ideen hergenommen, denn es gibt eine Sache, die hier jeder im Hinterkopf hat: Jedes noch so kleine Detail könnte zu einem entscheidenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz werden!

Die Suche nach Details und Vorteilen wird in den Pods, die entlang der Korridore außerhalb der Fertigungs-Hangars angesiedelt sind, exzessiv betrieben. Hier werden nicht nur mittels Animation Daten gesammelt und analysiert oder die Motoren im Zusammenspiel mit Lage und Aerodynamik getestet, dieser Bereich dient auch dem Zusammenbau und der schier endlosen Überprüfung der Aggregate. Es gibt ein Race Mini-Datenzentrum und die so genannte Stripping Area. Dort landen die Motoren, die bereits im Renneinsatz waren und ausgedient haben.

Brixworth ist die ideale Station des F1-Universums, in der alle Fäden zusammen laufen. Denn trotz des ländlichen 'Irgendwo-im-Nirgendwo'-Charakters sind alle Zulieferer und Partner nicht mehr als 20 Meilen entfernt - Silverstone oder Milton Keynes sind nur elf Meilen weg. Brixworth ist ein 'all-inclusive' Technologiezentrum, in dem jeder die gleiche Arbeitskleidung trägt und dennoch durch eine Vielzahl von Nationen und brillanten Köpfen aus den verschiedensten Bereichen eine bunte Mischung entsteht. Eine Mischung, die erfolgshungrig ist und versucht, diesen Hunger durch perfekte Optimierung zu stillen - so klappt es auch mit dem Nachschub für die Trophäenschränke.