Worum geht es überhaupt?

Am Sonntagvormittag machte eine spektakuläre Meldung die Runde im Fahrerlager: Mercedes soll zwischen dem Spanien GP und dem Monaco GP auf dem Circuit de Catalunya 1000 Testkilometer abgespult haben - im Auftrag von Pirelli. In Zeiten des Testverbots reibt sich der geneigte Formel-1-Fan verwundert die Augen, wie das möglich ist. Drei Tage lang sollen Nico Rosberg und Lewis Hamilton auf dem Kurs in der Nähe von Barcelona das schwarze Gold mit dem aktuellen Boliden ausgiebig getestet haben.

Pikant ist die Tatsache, dass ausgerechnet Mercedes, eben jenes Team, das in den vergangenen Rennen besonders stark mit den abbauenden Pirelli-Pneus zu kämpfen hatte, den Italienern dabei helfen sollte, den Reifen zu verbessern. Der Konkurrenz missfällt auch die Tatsache, dass sie über die Tests nicht Bescheid wussten und erst über Umwege davon erfuhren.

Die FIA teilte in einer Stellungnahme mit, dass Pirelli Anfang Mai mit der bitte an sie herangetreten sei, einen Test mit einem aktuellen Auto zu absolvieren. Die FIA verknüpfte ihre Antwort mit zwei Bedingungen: Der Test musste von Pirelli durchgeführt werden, das Team sollte nur Fahrer und Fahrzeug stellen, und alle Teams mussten gleichermaßen die Möglichkeit dazu erhalten.

Was ist der Vorwurf von Red Bull und Ferrari?

Die Tatsache, dass Mercedes trotz Testverbotes 1000 Kilometer Reifentests abspulte, schmeckt sicherlich keinem Team. Der Aufschrei aus dem Lager von Red Bull war jedoch am größten. Zunächst störte sich das Weltmeisterteam daran, dass der Test heimlich, still und leise abgehalten wurde. "Wir haben vergangene Nacht aus zweiter Hand davon erfahren. Ich kann verstehen, dass Pirelli die Reifen testen will, weil sie offensichtlich damit Probleme haben. Was enttäuschend ist, ist die Tatsache, dass es auf so intransparente Weise geschehen ist", so Teamchef Christian Horner unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Tests.

Mehr als die intransparente Vorgehensweise stört Red Bull aber die Regelauslegung der Konkurrenz. "Es gibt einen offiziellen Protest gegen das Team und die beiden Fahrer Rosberg und Hamilton", sagte RBR-Motorsportberater Dr. Helmut Marko. "Nach unserer Ansicht hat dieser Test gegen das sportliche Reglement verstoßen." Konkret werfen Red Bull und Ferrari Mercedes vor, gegen Artikel 22 des Sportlichen Reglements verstoßen zu haben. Dieser regelt Strecken- und Windkanaltests und verbietet solche Tests, wie sie Mercedes zwischen 15. und 17. Mai absolvierte.

Was sagt Pirelli dazu?

Die Italiener sind sich keiner Schuld bewusst. "Es ist total regelgerecht, weil wir einen 1000-Kilometer-Test mit jedem Team abspulen dürfen", so Pirelli Motorsportchef Paul Hembery. Ein ominöser Kontrakt zwischen dem Reifenausrüster und der FIA soll Pirelli erlauben, 'in der Not' - wie es Niki Lauda formulierte - einen Test in diesem Umfang mit einem Team zu absolvieren. Die Existenz eines solchen Vertrags sorgte im Fahrerlager für fragende Blicke. Sauber Teamchefin Monisha Kaltenborn erklärte gegenüber Motorsport-Magazin.com, noch nie davon gehört zu haben. Einen Vorteil würde Mercedes ohnehin nicht vom Zusatz-Test haben, ist sich Hembery sicher. "In Wirklichkeit suchen wir nach einer Lösung für das nächste Jahr und wir haben verschiedene Dinge ausprobiert. Mercedes hat in Wahrheit keine Ahnung davon, was um Himmels Willen wir da eigentlich getestet haben."

Paul Hembery ist von der Richtigkeit des Tests überzeugt, Foto: Sutton
Paul Hembery ist von der Richtigkeit des Tests überzeugt, Foto: Sutton

Zudem sei es nicht das erste Mal gewesen, dass derartige Testtage abgehalten wurden. "Wir haben es zuvor schon mit einem anderen Team gemacht und wir haben auch ein anderes Team gefragt, uns zu helfen." Dabei soll es sich um einen Test nach dem Bahrain GP handeln, den Pirelli mit Ferrari absolvierte. Allerdings ging dieser lediglich über 200 Kilometer und wurde mit einem Auto aus dem Jahr 2010 absolviert. Dass Pirelli den Test nicht an die große Glocke hing, ist für Hembery Taktik. "Wenn man in der Formel 1 damit beginnt, über etwas zu sprechen, dann können sechs Monate vergehen und man hat immer noch keine Lösung gefunden."

Was sagt Mercedes dazu?

Wie Pirelli ist auch Mercedes von der Rechtmäßigkeit des Tests überzeugt. "Wir haben bei der FIA, bei Charlie Whiting und bei den Behörden angefragt, ob wir das tun dürfen. Wir haben dann schriftlich die Antwort erhalten, dass wir das dürfen", erklärte Niki Lauda, Vorsitzender des Aufsichtsrats des Mercedes Formel-1-Teams vor dem Rennen in Monaco. Auch den Vorwurf, dass der Test dazu diente, die Reifenprobleme bei Mercedes zu lösen, will Toto Wolff nicht gelten lassen. "Es war kein Mercedes-Test, sondern ein Pirelli-Test. Wir wurden gefragt, ob wir helfen können, wie alle anderen Teams schon vor einem Jahr auch gefragt wurden."

Mangelnde Transparenz sieht der Mercedes Motorsportverantwortliche ebenfalls nicht. "Es war kein Geheimtest, ganz im Gegenteil. Er hat mit Transparenz stattgefunden und wir sind mit dem ganzem Equipment und Trucks dort hingefahren." Von allen Seiten wird bestritten, dass die Silberpfeile auch nur den geringsten Vorteil von den zusätzlichen Testtagen gehabt hätten, schließlich seien alle Reifen nur mit Codes versehen gewesen und Mercedes könne keine Rückschlüsse ziehen, so Teamchef Ross Brawn.

Was sind die Folgen?

Zunächst ging der Vorfall an die Renn-Stewards. Diese kamen nach mehrstündiger Diskussion zu dem Schluss, nicht dafür zuständig zu sein. "Nachdem Informationen eingeholt wurden, werden die Stewards einen Report an die FIA schreiben, der den Vorfall vor das Internationale Tribunal bringen könnte", heißt es in einem offiziellen Statement. Ob sich Mercedes mit dem Test regelkonform verhalten hat oder nicht, ist also weiterhin unklar. Klar ist derweil nur, dass Nico Rosberg seinen Sieg im Monaco GP behalten darf, das Resultat wurde offiziell bestätigt.

Motorsport-Magazin-Experte Christian Danner zweifelt trotz der eingeholten Erlaubnis seitens der FIA die Rechtmäßigkeit des Tests an. "Ich glaube Mercedes auf jeden Fall, dass sie vorher nachgefragt haben. Aber: Wenn ich einen Polizisten frage, ob ich etwas Illegales tun darf und der zustimmt, heißt das ja noch lange nicht, dass der Richter das auch so sieht."

Red Bull Motorsportdirektor Dr. Helmut Marko erwartet nicht nur eine lückenhafte Klärung des Vorfalls, sondern auch einen Ausgleich für die anderen Teams. "Wenn man drei Tage testen geht, bringt das laut Adrian Newey mindestens eine Sekunde", so Marko. "Wir erwarten, dass es eine Klarstellung gibt, wie es in Zukunft weitergehen soll und dass der Wettbewerbsvorteil, den sich Mercedes geholt hat, in irgendeiner Weise ausgeglichen wird."

Ob dies Testfahrten für die anderen Teams oder eine Testreduzierung bei Mercedes, etwa bei den Young Driver Tests, bedeutet, ist unklar. "Ein solcher Bruch des Reglements führt normalerweise zum Ausschluss aus der Weltmeisterschaft", betont Danner. So lange die Sachlage und die Erfüllung der FIA-Bedingungen allerdings nicht geklärt sind, bleiben Aussagen über das Strafmaß jedoch rein spekulativ.