Ja, es ist im Moment ziemlich unpopulär, Pirelli für irgendetwas in Schutz zu nehmen. Viel beliebter ist sicher, den italienischen Reifenhersteller für so ziemlich alles verantwortlich zu machen, was in der Formel 1 an Negativem, an Streit und Ärger existiert. Und wenn sich dann Aussagen von Paul Hembery innerhalb kurzer Zeit auch noch scheinbar widersprechen, dann ist es natürlich besonders einfach, von "Inkompetenz" und ähnlichem zu reden. Trotzdem – und wenn auch die ein oder andere Kritik sicherlich berechtigt sein mag – wenn man die Situation einmal ein bisschen differenziert betrachtet, ist die Situation auch für Pirelli ganz schön kompliziert.

Zick-Zack-Kurs von Pirelli

Die Gründe für den vermeintlichen Zick-Zack-Kurs liegen im Moment vor allem darin, dass man nicht so kann, wie man will. Nach den massiven Protesten von allen Seiten nach Barcelona – die in Wahrheit nicht nur von Red Bull und Mercedes kamen wie gerne kolportiert, sondern auch von einer Menge anderer Teams, von Fans und sogar von Sieger Fernando Alonso kamen - war Paul Hembery der Meinung, man müsse etwas ändern. Und speziell als dann auch noch der Druck von Bernie Ecclestone dazukam, ging man bei den Italienern wohl davon aus, dass das auch bei allen Autoritäten durchgehen würde – im allgemeinen Interesse.

So gab es dann zu Wochenbeginn nach Barcelona auch eine E-Mail an alle Teams, die da lautete: Bis Donnerstag sagen wir euch, was es ab Montreal für Änderungen an den Reifen gibt. Aber dann legte sich die FIA quer und erklärte unter Berufung auf bestehende Paragraphen, dass für Änderungen während der Saison außer bei Sicherheitsbedenken alle Teams zustimmen müssen - was natürlich vor allem Lotus und Ferrari nicht tun würden. Jetzt steckt Pirelli in der Zwickmühle: Als erstes gab es einmal an besagtem Donnerstag eine Information an die Teams, dass es auf die Schnelle eben keine Informationen mehr geben würde.

Reifen sorgen für Rätselraten, Foto: Sutton
Reifen sorgen für Rätselraten, Foto: Sutton

Bis heute wissen die Ingenieure nicht, womit sie ab Kanada zu rechnen haben. Wobei sich der ein oder andere von ihnen auch fragt: "Kann die FIA, kann eigentlich irgendjemand überhaupt wirklich überprüfen, was Pirelli an den Reifen ändert, gerade wenn es sich um Kleinigkeiten handelt?" Der zweite Punkt: Zu sehr auf eventuelle Sicherheitsbedenken abheben, kann man natürlich auch nicht, erstens, dann müsste man öffentlich sagen, dass man unsichere Reifen herstellt. Wobei allerdings Dinge wie die durch das starke Graining verursachten "Marbles" direkt neben der Ideallinie, die nun wirklich nicht gerade zur Verbesserung der Umstände dienen, vielleicht als Kompromisslösung zur Argumentation dienen könnten.

Dass man bei Pirelli schon ein paar Ideen über die Richtung hat, ist die eine Tatsache. Dass man sich aber im Moment, ehe alles wirklich abgeklärt ist, nicht mehr aus dem Fenster lehnen will, auch nicht den Teams gegenüber, ist auch nachvollziehbar. Denn das wird wohl auch der Weg sein: Mit kleinen, unauffälligen Details dazu zu kommen, wo man hin will, nämlich zu Rennen mit maximal drei Stopps und einer gewissen Konstanz, mit der Möglichkeit für die Fahrer, doch wenigstens ab und zu mal wieder gegen einen Konkurrenten wirklich kämpfen zu können, das Ganze aber ohne an den Kräfteverhältnissen allzu viel zu verändern, so dass auf dem ganzen Sektor mal wieder Ruhe einkehrt.

Einen Schritt zu weit

Intern hat man nämlich bei Pirelli wohl schon das Gefühl, in der Entwicklung in diesem Jahr vielleicht tatsächlich einen kleinen Schritt zu weit gegangen zu sein. Auch aus dem Wissen heraus, dass Ende 2012 zum Teil schon wieder gemeckert wurde, dass die Teams die Reifen jetzt zu gut in den Griff bekämen und schon wieder die Gefahr bestünde, dass es bei normalen Wetterbedingungen "langweilig" würde. Also machte man einen Schritt mehr, der sich jetzt im Zusammenspiel mit den neuen Autos als einer zu viel erwies. Denn wie gesagt, es stimmt nicht, dass nur Red Bull und Mercedes meckern und spricht man "off the record" mit den Fahrern, dann findet kaum einer diese Art von "Rennfahren" noch attraktiv - und die meisten Fans auch nicht.

Das Grundproblem, dass Pirelli jetzt "zwischen Baum und Borke" stehen lässt, liegt freilich schon im System: Die Teams entwickeln Autos, ohne die Reifen, mit denen sie nachher fahren sollen, wirklich zu kennen. Pirelli entwickelt Reifen, ohne zu wissen wie die Autos, die sie nachher benutzen sollen, wirklich aussehen sollen – aber eben mit der Vorgabe, dass die Reifen nicht zu lange halten dürfen, damit es interessant bleibt. Und dann, wenn beides zum ersten Mal aufeinander trifft, bei den Wintertests, zu einem Zeitpunkt, wo sich vielleicht noch das ein oder andere problemloser ändern ließe, kann keiner vernünftige Schlüsse ziehen, weil es viel zu kalt ist...