Katastrophe, Desaster, Hardcore, kein Spaß und haarig - schnell hatten die Fahrer in Shanghai haufenweise Bezeichnungen für das Verhalten der weichen Pirelli-Reifen gefunden. Langsam entwickelt es sich zur Tradition: Nach den Trainings am Freitag beschwert sich so ziemlich jeder Pilot über die stark abbauenden Reifen, im Rennen selbst tritt dann urplötzlich eine Verbesserung ein. Gleiches Spiel in Shanghai? Vieles deutet darauf hin, doch an diesem Rennwochenende ist das Gestöhne der Protagonisten laut wie selten. "Ich habe noch nie gesehen, dass sich die Reifen so verhalten", teilte etwa Lewis Hamilton noch während voller Fahrt via Teamfunk mit.

Motorsport-Magazin.com hakte im Fahrerlager nach und erhielt interessante Aussagen bezüglich der soften Pirellis. Laut Nico Hülkenberg könne man an zwei Händen abzählen, wie lange die diskutable Mischung am Sonntag im Rennen halten wird. Sebastian Vettel schaffte es sogar mit nur einer Hand. "Der weiche Reifen hält fünf Runden, das ist kein großer Spaß. Ich habe ihn noch nicht richtig spüren können", so der Weltmeister. Wie sich der Reifen bei falscher Bedienung verhalten kann, bekam unter anderem Jenson Button zu spüren: Im 2. Training verbremste er sich auf seinen angefahrenen Reifen in Kurve 14 - ein richtiges Loch im Gummi war die unschöne Folge. "Ein oder zwei solcher Verbremser, dann ist es mit dem Reifen schon vorbei", meinte Helmut Marko.

Hamilton über die Reifen: Hardcore!, Foto: Sutton
Hamilton über die Reifen: Hardcore!, Foto: Sutton

Nicht selten fiel am Freitag der Begriff 'Quali-Reifen' - offiziell gibt es diesen Kandidaten nicht mehr in der Formel 1, doch inoffiziell könnte der Soft in Shanghai diesen Platz einnehmen. Das allgemeine Credo: Auf einer Runde macht der weiche Reifen extrem viel Spaß und bietet den Fahrern wesentlich mehr Grip als sein Medium-Pendant. Der Zeitunterschied zwischen den beiden Mischungen beträgt beachtliche 1,5 Sekunden; meist liegen die beiden Reifen-Kombinationen etwa eine Sekunde auseinander. Pirelli räumte ein, nicht mit einer solch großen Differenz in China gerechnet zu haben.

Renn-Spaß auf einer Runde, doch dann nimmt das Unheil seinen Lauf: Laut Button bauen die Reifen schon nach der ersten Runde so stark ab, dass der Fahrer knapp eine Sekunde Rundenzeit einbüßt. "Für eine Runde ist er zwar sehr gut, aber dann verliert er extrem - besonders vorne links", sagte Adrian Sutil. "Vier, fünf Runden sollte man schon schaffen, aber dann geht es wegen des Grainings nach unten." Gut erkennbar ist dieser Effekt an den schwarzen Gummifetzen, die sich neben der Ideallinie breit machen. Dieses Phänomen namens 'Marbles' gab es schon 2012 in China zu bestaunen.

Bei all der Nörgelei klingt es fast, als ob es am Rennsonntag zu einer Boxenstopp-Orgie kommen wird. Pirelli geht hingegen von drei Stopps pro Fahrer aus und kann sich sogar vorstellen, dass es der eine oder andere Reifenflüsterer mit nur zwei Reifenwechseln über die 56 Runden Distanz schafft. "Natürlich werden wir hier wieder eine Dreistopp-Strategie sehen", hatte Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner die Nase voll: "Ich kann es nicht mehr hören. Die Reifen sind weich und bewusst weich gewählt. An jedem Rennwochenende sagen die Leute, dass der weichere Reifen nach vier Runden kaputt ist und was ist im Rennen? Da fahren sie zehn Runden und es geht auf einmal doch."

Die große Differenz der Reifen dürfte auf jeden Fall wieder für unterschiedliche Strategien im Qualifying sorgen. Einige Fahrer könnten im Top-10-Qualifying auf einen Run mit den soften Reifen verzichten und stattdessen mit den Mediums starten. Ob dieser Plan ein gutes Ende nimmt, daran hatte Button jedoch seine Zweifel: "Dann wirst du aufgehalten, weil alle anderen auf den Softs starten. Und irgendwann musst du eh die weichen Reifen aufziehen..."

Nicht wenigen graut es jetzt schon davor, im Rennen einen Reifenwechsel vornehmen zu müssen. Beispiel gefällig? "Es war beeindruckend - als würde man zwei völlig unterschiedliche Autos fahren", sagte Felipe Massa in Bezug auf die Balance des Autos auf den beiden Mischungen. Im Training ging es um nichts, doch im Rennen werden sich die Piloten schnell an die neuen Gegebenheiten gewöhnen müssen, um nicht allzu viel Rundenzeit einzubüßen. "Im Rennen werden wir aber sicherlich nicht viele Stints auf den weichen Reifen sehen", merkte Vettel an.

Bei all den Beschwerden gebührt das Schlusswort diesmal Kimi Räikkönen: "Der Reifenabbau ist völlig normal. Das Gejammer ist immer groß, aber bisher haben wir in den Rennen gesehen, dass die Reifen länger halten als vorher angenommen."