Der Große Preis von China steht unmittelbar bevor, schon in drei Tagen heulen die Motoren auf dem Shanghai International Circuit auf. Doch das beherrschende Thema in der Formel 1 sind immer noch die kontroversen Aktionen des Malaysia GP. Der ehemalige Formel-1-Pilot und heutige WEC-Fahrer Alexander Wurz glaubt aber nicht, dass die Stallorder-Affären der Königsklasse geschadet haben, im Gegenteil: "Diese Aktionen bringen Interesse, erhöhen die Einschaltquoten. Unter dem Strich ist die Formel 1 der Sieger - vom Geschäftsmodell."

Die andere Seite ist der Sport, wo Wurz durchaus Probleme sieht: "Von der sportlichen Ideologie lässt sich darüber diskutieren, ob die Maßnahmen einiger Teams korrekt waren." Bei Red Bull habe für den Österreicher die Problematik schon früh begonnen, nämlich in Runde 28, als Vettel sein Team dazu aufforderte, Mark Webber aus dem Weg zu räumen, weil er zu langsam sei. "Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Webber die Reifen gut eingeteilt, konnte als passende Antwort seine Führung auf fünf Sekunden ausbauen. Sebastian war nicht in der Lage, zu kontern", analysierte Wurz.

Nachdem beide Red-Bull-Piloten das Feld souverän anführten, gab Teamchef Christian Horner die berüchtigte Anweisung 'Multi 21' aus. Demnach wurde das Rennen auf Red-Bull-Seite neutralisiert, beide Piloten sollten das Rennen materialschonend auf ihrer derzeitigen Position beenden - in der Reihenfolge Webber vor Vettel. "Hätte Red Bull nicht diese Stallorder ausgesprochen, hätte Webber mit 99,9-prozentiger Sicherheit den Erfolg nach Hause gefahren. An diesem Tag war er vom Reifen-Management besser", ist sich der Niederösterreicher sicher.

Dass Vettel überhaupt noch eine Chance hatte, führt Wurz lediglich darauf zurück, dass sich Webber an die Teamorder hielt, wie er bei Spox verriet: "Er akzeptierte den Funkspruch, schraubte die Leistung zurück. So kam Vettel ran und konnte der Versuchung nicht widerstehen, vorbei zu fahren." Nicht nur, dass Sebastian Vettel ein Eigentor schoss, wie Wurz gegenüber Motorsport-Magazin.com nach dem Rennen erklärte, die Situation veranschaulichte erneut die teaminterne Situation. "Auf dem längsten Ast bei Red Bull sitzt Vettel. Das Team hat keinen Versuch unternommen, ihn zurück zu pfeifen."

Ob sich der Heppenheimer an entsprechende Anweisungen gehalten hätte, hält Wurz für fraglich, doch die fehlenden Konsequenzen auf Teamseite stimmen ihn nachdenklich. "Wenn du etwa dem kleinen Kind sagst, du darfst die Schokolade nicht essen, aber es isst sie trotzdem, musst du darauf reagieren und eine erzieherische Maßnahme tätigen." Dass der österreichische Rennstall so handelt, ist für den 39-Jährigen verständlich, schließlich hätte Red Bull keine Alternative zu Vettel und wolle es sich mit dem Dreifachweltmeister nicht verscherzen. "Auf dem Markt gibt es keinen Piloten, welchen sie in den RB9 setzen könnten mit der Gewissheit, er würde über Jahre hinweg ein konstant überragendes Niveau halten."

Schmerzensgeld in Millionenhöhe

Für Mark Webber ist diese Situation alles andere als einfach, "eine doppelstellige Millionen-Summe, um sich mit diesem Schmerz abzufinden" macht das Standing im Team jedoch erträglich. Alternativen hat der Australier nicht, wie Wurz meint. "Ich glaube aber, im Augenblick wird er diese bittere Pille schlucken. Er ist noch immer in einem Team, mit welchem er Erfolge feiern kann." Mit Glück auf seiner Seite und Pech auf Vettels, könnte er sogar um die Weltmeisterschaft mitfahren. "Ansonsten spielt er eben die zweite Geige, verdient gutes Geld und zählt zu den Stars der Szene. Ganz einfach!", konkludierte Wurz.

"Man kann sie schwer vergleichen", entgegnete Wurz auf die Frage, wie sehr sich Vettel und Schumacher ähneln würden, schließlich seien sie unterschiedliche Charaktere. Eine Gemeinsamkeit sieht er im Talent, mit dem beide zweifelslos gesegnet sind. Dieses würden beide auch auf eine 'kompromisslose Art' ausschöpfen, mit dem Ergebnis 'Grands Prix und Titel zu gewinnen'. Einen genauen Zahlenwert hatte der Österreicher auch parat: "Schumacher wurde sieben Mal, Vettel drei Mal Weltmeister - da kommt man auf knapp unter 50 Prozent. Das würde fast passen."

Mercedes darf sich glücklich schätzen

Nicht nur bei Red Bull gab es nach dem Malaysia GP viel Diskussionsbedarf, auch bei Mercedes wurde hitzig über die ausgesprochene Teamorder debattiert. Auch wenn weder Nico Rosberg, noch Lewis Hamilton mit der Art und Weise zufrieden waren, wie sie den Grand Prix beendeten, sieht Wurz dennoch Positives: "Trotzdem holten sie nicht zum verbalen und medialen Rundumschlag aus, das ist ein riesen Vorteil." Weniger gut findet der 69-fache GP-Teilnehmer die Tatsache, dass die Teamorder überhaupt ausgegeben wurde.

Auch bei Mercedes gab es Diskussionsbedarf, Foto: Sutton
Auch bei Mercedes gab es Diskussionsbedarf, Foto: Sutton

"Du teilst dir Reifen und Sprit ein, um in der letzten Runde, gut genug zu sein. Ziel ist es, die Distanz schnellstmöglich zu absolvieren." Wenn nach eine gewissen Renndistanz allerdings jedes Rennen eingefroren würde, würden die Piloten nur noch bis zu jenem Zeitpunkt denken und versuchen, genau dann vor dem Teamkollegen zu sein. "Es ginge einzig darum, den anderen zu schlagen. Dadurch würde das Team Schaden tragen." Auch der mentale Aspekt ist für ihn nicht vernachlässigbar. "Du bist am Limit, unter Adrenalin - das ist eine brutale Geschichte, die man nicht einfach verdaut."

Daran, dass die teaminterne Mercedes-Hierarchie nach Malaysia in Stein gemeißelt ist, glaubt Wurz nicht. "Mit Garantie werden Rosberg und sein Management messerscharf versuchen, eine Erklärung zu finden." Generell bringt Wurz aber Verständnis für die Herangehensweise der Teams auf. "Stallorder verstehe ich, solange sie nicht ausartet - wie damals bei Ferrari auf dem A1-Ring mit Michael Schumacher und Rubens Barrichello."