Paul, Sie sind momentan die wohl gefragteste Person im gesamten Paddock...
Paul Hembery: Ich weiß nicht, ob ich die gefragteste Person bin, aber ja, es gibt momentan natürlich einige Fragen an mich. Andererseits ist das zu Beginn jeder Saison so. Wenn wir etwas verändern, kommt das manchen Teams entgegen, anderen vielleicht etwas weniger. Dadurch kommt es stets zu Diskussionen.

Die vielen Diskussionen sorgen dafür, dass Pirelli immer im Gespräch ist, oder?
Paul Hembery: Wir verhalten uns wie in den vergangenen Jahren. Wir warten ab, was zu Saisonbeginn geschieht. Unser Ziel ist es, eine Herausforderung zu schaffen. Bei den ersten fünf, sechs Rennen kommt es dann zu diesen Diskussionen und danach wird es recht ruhig, wenn die Teams die Situation in den Griff bekommen.

Sie gehen also davon aus, dass es in diesem Jahr genauso ablaufen wird?
Paul Hembery: Wir beobachten die Situation ständig und handeln entsprechend. Wenn es eine einstimmige Entscheidung aller Teams gibt oder wir glauben, dass etwas die richtige Entscheidung ist, dann werden wir reagieren. Dabei muss man aber sehr vorsichtig sein. Man kann schließlich nicht jeden zufrieden stellen.

Als im Training hier in Malaysia teilweise die Gummifetzen geflogen sind, haben manche Leute im Fahrerlager schon gesagt, dass das gefährlich sei...
Paul Hembery: Nein, das ist Quatsch. Die Strecke war wahnsinnig schmutzig und die Autos sammelten unglaublich viel Reifenabrieb auf. Das waren keine Teile, die vom Reifen weggeflogen sind, sondern welche, die aufgesammelt und aufgewirbelt wurden. Bei den Reifenschäden von Sergio Perez und Lewis Hamilton war die Ursache ein Bremsplatten. Das ist also etwas ganz anderes.

Das war also ein Fahrer- und kein Reifenfehler.
Paul Hembery: In aller Fairness müssen wir zugeben, dass die Reifen in diesem Jahr sehr sensibel auf Bremsplatten reagieren. Wir überwachen das und deswegen möchte ich nicht unbedingt sagen, dass es ein reiner Fehler des Fahrers war.

Denken Sie manchmal, dass Sie vielleicht doch einen Tick zu weit gegangen sind mit den Reifenmischungen?
Paul Hembery: Nach erst einem Rennen kann man so etwas nicht sagen. Man muss realistisch sein: Die Teams sind mit ihren Autos noch nicht bei heißen Temperaturen gefahren, lernen erst, damit umzugehen. Solche Aussagen kann man erst nach einigen Rennen treffen. Ich bin etwas überrascht, dass die Leute so reagieren, denn es ist nicht viel anders als in den vergangenen Jahren. Auch da war der Beginn etwas schwieriger.

Kimi Räikkönen hat Paul Hembery mit seinem Comeback schwer beeindruckt, Foto: Lotus F1 Team
Kimi Räikkönen hat Paul Hembery mit seinem Comeback schwer beeindruckt, Foto: Lotus F1 Team

Haben die unerwartet kalten Bedingungen in Australien ihren Teil dazu beigetragen?
Paul Hembery: Nein, aber der Medium-Reifen reagiert vielleicht etwas sensibler auf kühle Temperaturen. Das werden wir beobachten.

Glauben Sie, dass einige dieser Schwierigkeiten früher hätten behoben werden können, wenn wir in Bahrain oder Abu Dhabi getestet hätten?
Paul Hembery: Das würde einen dramatischen Unterschied machen. Die Teams würden die Reifen besser verstehen, aber wir würden auch viel früher eine Rückmeldung zur Performance der Reifen erhalten. Wenn wir dann Änderungen vornehmen müssten, hätten wir auch die Gelegenheit dazu. Natürlich ist es auch nicht ideal, mit einem Auto aus dem Jahr 2010 zu testen, das grundlegend anders funktioniert als die heutigen Boliden.

Damit wären wir schon beim nächsten Thema: Im Fahrerlager kursiert das Gerücht, dass Lotus einen Reifenvorteil haben könnte, weil Pirelli einen 2010er Renault-Testboliden einsetzt...
Paul Hembery: [lacht] Lotus hat ein Rennen gewonnen, genauso wie letztes Jahr schon. Und schon entstehen solche Geschichten. Ich finde, damit würdigt man die Leistung von Kimi [Räikkönen] nicht genug. Lotus hat eine andere Strategie gewählt, nur ein anderes Team hat ebenfalls mit zwei Stopps geplant. Man muss ihnen Respekt dafür zollen, dass sie das Maximum aus ihrem Paket herausgeholt haben.

Das 2010er Auto ist ganz anders als die heutigen Autos. Die Testdaten stehen nur uns zur Verfügung und alles wird von unseren eigenen Leuten betreut. Wir müssen immer daran denken: Es liegt erst ein Rennen hinter uns, auch Ferrari und Red Bull haben schnelle Autos. Wenn Lotus acht Rennen in Folge gewinnen sollte, dann müssten wir uns vielleicht Gedanken machen, aber ich bin überrascht, dass Leute jetzt Verschwörungstheorien aufstellen, die auf keinerlei Tatsachen beruhen.

Das überrascht Sie wirklich? So etwas ist in der Formel 1 doch üblich...
Paul Hembery: Ich denke, gerade in der Formel 1 sollten wir diesbezüglich etwas professioneller agieren.

Wie viel Lob für die Reifen schonende Charakteristik des Lotus gebührt Kimi?
Paul Hembery: Er fährt sehr instinktiv, reagiert sehr sensibel auf wechselnde Bedingungen. Als er in die Formel 1 zurückkehrte, hatte diese sich stark verändert - es gab kein Nachtanken mehr, die Reifen waren komplett anders. Die Leute unterschätzen, was für ein riesiger Unterschied das war. Aber Kimi kehrte zurück und kam trotz der dramatischen Veränderungen problemlos zurecht. Das war sehr beeindruckend.

Ein Teil der Lotus-Geschichte ist demnach vor allem eine Kimi-Story.
Paul Hembery: Wie gesagt, wenn er sieben aufeinanderfolgende Rennen gewinnt, dann ist es sicher eine Mega-Story. Ein Rennen zu gewinnen, ist fantastisch, aber warten wir ab, was bei den nächsten Rennen passiert.

In der Öffentlichkeit wird viel darüber diskutiert, ob dies die Formel 1 ist, die wir sehen möchten. Sollten die Reifen so einen großen Einfluss haben?
Paul Hembery: Es ist doch so: Wenn wir einen konservativen Reifen bauen, steht schon lange fest, wer die Weltmeisterschaft gewinnen wird. Wenn die Fans das wollen, sollten sie vorsichtig sein, was sie sich wünschen. Wir hatten in der Vergangenheit schon eine Saison ohne Reifenwechsel und die Zuschauerzahlen sanken. Danach mussten wir mit DRS, KERS und den Reifen Neuerungen einführen, um die Rennen wieder spannender zu machen. Natürlich können wir auch zufällige Regenschauer und Safety Cars einführen. In Amerika gibt es so etwas. Dann können wir Sprinkleranlagen installieren, wie sie Bernie einmal vorgeschlagen hat.

Die Reifen 2013: Schön bunt und Garant für Gesprächsstoff, Foto: Pirelli
Die Reifen 2013: Schön bunt und Garant für Gesprächsstoff, Foto: Pirelli

Was würde sich für Sie ändern, wenn es einen zweiten Reifenhersteller geben würde?
Paul Hembery: Es wäre ein riesiger Unterschied. Dann müssten wir plötzlich auf die Performance der Reifen setzen. Es wäre gänzlich anders. Natürlich könnte es interessant sein, andererseits gibt man Geld aus, um schneller zu sein und kann es nicht kommunizieren. Wenn man gewinnt, waren es das Auto und der Fahrer, wenn man verliert, war es die Schuld der Reifen... Die Formel 1 ist in solchen Fällen ein seltsames Geschäft.

Wie sieht die Zukunft von Pirelli in der Formel 1 aus?
Paul Hembery: Wir befinden uns in der Entscheidungsfindung. Es besteht Interesse und wenn wir eine Einigung erzielen, freuen wir uns darauf, auch im nächsten Jahr dabei zu sein. Wir erhalten grundsätzlich positives Feedback zu unserer Arbeit und versuchen, unseren Teil dazu beizutragen.

Die negativen Kommentare der Fahrer zu Saisonbeginn schaden dem Image von Pirelli also nicht?
Paul Hembery: Nein, denn letztlich fahren alle mit den gleichen Reifen und irgendjemand gewinnt immer am Sonntag - das wird auch morgen so sein.

Und wer gewinnt morgen?
Paul Hembery: Wenn es regnet, ist es schwierig zu sagen. Im Trockenen scheint Sebastian Vettel in einer sehr guten Position zu sein. Sie werden sicher einige Schwierigkeiten haben, aber sie haben eine gute Pace und ich glaube, dass es unter Rennbedingungen besser sein wird. Es ist eine Herausforderung, denn sie nehmen die Reifen recht hart ran. Aber im Laufe des Rennens nimmt die Spritmenge im Tank ab und dann befinden sie sich in einer guten Position.