Nach dem Saisonauftakt in Melbourne meinte Toto Wolff, dass wohl niemand die Pirelli-Reifen zu 100 Prozent verstehen wird. Am Freitag bestätigte Christian Horner den Rennleiter von Mercedes. "Ich denke, dass niemand im Fahrerlager die Reifen komplett versteht, um ehrlich zu sein", so Red Bulls Teamchef. Am Rande des Großen Preis von Malaysia geht es nicht nur um Reifenverständnis, sondern auch das Verständnis für die Reifen. Viele Fahrer haben die Nase voll, dass die Pirellis scheinbar zum Mittelpunkt der Formel 1 geworden sind. Wurde früher in den Interviews noch über Aerodynamik, einzelne Kurven und Co. geredet, dreht sich derzeit alles um die Reifen: Warum bauen sie so schnell ab? Wird es besser? Wie viele Boxenstopps im Rennen, und so weiter.

Nicht wenige Piloten winken inzwischen genervt ab, wenn es um die knifflige R-Frage geht. "Reifen, Reifen, Reifen. Es geht nur noch um die Reifen", meinte etwa Mark Webber. Vor allem Red Bull wurde nach Melbourne ein Reifenproblem zugesprochen, schließlich war der RB9 das dominante Auto am Wochenende, hatte im Rennen selbst aber mit den Pneus zu kämpfen. Horner sagte jedoch, dass dieses Problem allgemein gelte. "Nicht nur meine Fahrer nutzen die Reifen ab", betonte er. "Das ist ein Problem aller Fahrer."

Reifenverständnis hin oder her; pikant wird die Angelegenheit aus einem anderen Betrachtungswinkel: Läuft die Formel 1 Gefahr, zu langsam zu werden? "Wir wollen schneller fahren und nicht wie mein Großvater zehn Runden lang langsam fahren müssen und erst dann wieder Gas geben, sondern das gesamte Rennen pushen", machte Daniel Ricciardo deutlich. Als Vergleich zog er die Qualifyingzeiten aus der GP2 heran, die etwa auf dem Niveau der F1-Longruns in Malaysia lagen. Laut Sebastian Vettel sei es derzeit nicht möglich, dass volle Potenzial des Autos auszuschöpfen, weil der Reifenfaktor zu dominant ist. Horner zu dieser Diskussion: "Was wir vermeiden wollen, ist, dass Fahrer dort draußen ihre Kreise ziehen und unterhalb des Performancelevels ihres Autos liegen und nicht in der Lage sind, einem anderen Auto dicht zu folgen. Andernfalls ist das kein Rennfahren."

Schlüsselfaktor Reifen. In Melbourne herrschten sehr kühle Bedingungen, in Sepang ist es hingegen extrem heiß. Besondere Aggregatzustände, die natürlich das Verhalten der Reifen beeinflussen. Bislang scheint aber nur klar, dass es bei beiden Bedingungen Probleme gibt. Auch auf dem Sepang International Circuit flogen die Fetzen - die Reifenfetzen. "Der Reifenverschleiß ist durch die Bank schon enorm", sagte Nico Hülkenberg. "Vor allem hinten nutzt er sich sehr stark ab. Es dauert nicht lange, dann ist kein Gummi mehr auf der Felge." Dies gelte für beide Reifenmischungen, obwohl Pirelli schon mit seiner härtesten Kombination - Medium/Hart - aufschlägt.

Hülkenberg wollte die Reifen jedoch nicht als Ausrede gelten lassen. Zwar sei es manchmal hart, wenn man im Auto sitze und die Reifen so extrem schnell abbauen - es sei aber auch für alle die gleiche Situation. "Das ist doch jedes Jahr so", sagte Hülkenberg. "Es dauert immer ein bisschen, bis es alle verstanden haben." In der Tat: Nach dem 7-Sieger-in-7-Rennen-Saiosonstart 2012 stellte sich recht bald eine Hackordnung ein und die Top-Teams machten die Spitze größtenteils unter sich aus. Reifendiskussionen verkamen mit fortschreitender Zeit zum Randthema.

In diese Kerbe schlug auch Paul Hembery, der stets betonte, dass die schnell abbauenden Reifen von der FIA gewollt seien und keinesfalls eine exklusive Idee des Reifenlieferanten seien. "Ehrlich gesagt kann man die Aussagen der Fahrer aus den letzten zwei Jahren nehmen und nach den ersten drei Rennen waren sie stets gleich", so der Pirelli-Motorsportchef. Gerade zu Beginn der Saison sei dies immer der Fall, wenn die Teams mit ihren Autos das Maximum ausloten. Nach dieser Phase würden sich Fahrer und Teams daran gewöhnen.

"Wir hatten eines der spannendsten Rennen in Melbourne seit Jahren. Sollen wir die Rennen etwa langweiliger machen", fragte Hembery rhetorisch in die Runde. Eine Antwort gab es von Horner: "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich mehr Reifenabbau gefordert hätte. Aber wir haben erst ein Rennen gesehen. Um ein klares Bild zu erhalten, müssen wir noch warten. Lasst uns mit einem Urteil warten, bis ein paar Rennen mehr bestritten sind."