Während des Winters war das Gezeter groß: Die Reifen halten nicht bei den kühlen Temperaturen, der Verschleiß ist zu hoch, das Graining zu schlimm und den superweiche Reifen kann man schon nach einer schnellen Runde in die Tonne treten. Einhellige Meinung bei den vergangenen Testfahrten in Barcelona: Der Pirelli-Reifen ist bei diesen kühlen Bedingungen kaum fahrbar und schränkt die Testarbeit ein. Aber alles nicht ganz so schlimm, beim Saisonauftakt in Australien sollte es schließlich viel wärmer werden. Doch das Wetter könnte den Piloten in Melbourne übel mitspielen, denn für den Verlauf des Rennwochenendes soll es nicht so warm werden wie erwartet. Von möglichem Regen einmal ganz abgesehen.

"Jeder hatte sich nach den Bedingungen in Barcelona gefreut, nach Australien zu reisen", sagte Ross Brawn. "Jetzt sind wir hier und haben nahezu das gleiche Wetter wie in Spanien. Ich bin gespannt, wie sich das auswirkt." Valtteri Bottas hat sich die gleiche Wetteranzeige angeschaut und stimmte mit dem Mercedes-Teamchef überein. "Jeder hat erwartet, dass es hier sehr heiß wird", so der Williams-Rookie. "Nun sieht es aber danach aus, dass es am Samstag genauso wird wie in Barcelona." Pirelli war bei seinen Berechnungen für den Großen Preis von Australien von zwei bis drei Boxenstopps pro Fahrer ausgegangen - unklar ist, welche Wetterbedingungen der Reifenlieferant einkalkuliert hatte.

Erstmals ging Pirelli in Australien ein gewisses Risiko ein und nominierte den superweichen Reifen; die Mischung, die in Barcelona arge Probleme bereitete und nach einer Runde kaum noch fahrbar war. Allerdings herrschen im Albert Park andere Bedingungen als auf dem rauen Circuit de Catalunya, der Streckenbelag sollte weitaus gutmütiger zu den fragilen Reifen sein. "Für Barcelona war der Supersoft zu weich, aber hier haben wir eine andere Strecke ohne schnelle Kurven. Das sollte für die Reifen nicht so aggressiv sein", meinte Adrian Sutil. Gleichzeitig erwartete er keine einfache Aufgabe, was den Umgang mit Pirellis weichester Mischung angeht. "Pirelli hat versprochen, dass die Reifen hier länger halten - hoffen wir, dass es stimmt", sagte Vettel. Laut eigener Aussage verzichtete der Weltmeister während der Testfahrten komplett auf einen Run mit den superweichen Reifen.

Sergio Perez, in der Vergangenheit als Reifenflüsterer bekannt geworden, meinte gar, dass sich die Fahrer bis zu einem gewissen Grad ihrem Schicksal fügen müssten. "Die richtige Handhabung ist sehr wichtig", erklärte der McLaren-Neuling. "Aber manchmal kann man auch nichts machen, so wie in Barcelona. Vielleicht ist der Abbau hier genauso hoch." Sollten die Reifen in Melbourne tatsächlich ähnlich wie in Barcelona reagieren, ist ein äußerst überlegter Reifen-Umgang Pflicht. "Man muss die Pace über den gesamten Stint richtig managen", so Brawn. "Eine intelligente Fahrweise und der richtige Umgang mit den Reifen entscheidet das Rennen. Wer den besten Job in Sachen Reifenmanagement macht, liegt vorn - hoffentlich sind wir das."

Gerade Mercedes könnte in Australien zu einer interessanten Angelegenheit werden. In Barcelona hielten die Reifen am Silberpfeil auch über längere Distanzen, zudem stimmten die Rundenzeiten. Als eines der wenigen Autos traf der W04-Bolide häufig das richtige Arbeitsfenster, während sich bei der Konkurrenz der Gummi nur so vom Reifen pellte. Mercedes hatte sich nach den Tests trotzdem etwas Sorgen wegen wärmerer Temperaturen gemacht, die die gleichen Probleme verursachen könnten wie schon in der Vergangenheit. "Letztes Jahr war genau das eine unserer größten Schwachstellen", bestätigte Nico Rosberg. "Aber wir haben viel dazugelernt und ich bin überzeugt, dass wir diesbezüglich nun besser aufgestellt sind."

Teamkollege Lewis Hamilton wollte sich im Vorfeld nicht bange machen lassen und konterte die Reifenproblematik cool aus: "Das ist kein großes Drama, wir sitzen alle im gleichen Boot. Ja, es gibt ein bisschen mehr Graining, aber wir haben doch alle die gleichen Reifen." Gleiche Reifen - ja. Gleiches Auto, gleiche Fahrweise, gleiche Strategie - nein. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die Reifen beim ersten Rennen der neuen Saison das mit Abstand größte Thema werden.