Über fehlendes Medieninteresse können sich die deutschen Piloten nicht beschweren: Weltmeister Sebastian Vettel und Mercedes-Star Nico Rosberg stehen ohnehin immer im Rampenlicht; und Adrian Sutil hat spätestens seit der Sektglas-Affäre um den luxemburgischen Geschäftsmann Eric Lux an Profil gewonnen - auch wenn es sicherlich nicht immer die Publicity war, die sich der Force-India-Pilot gewünscht hat. Bei so vielen Charakterköpfen gerät manchmal in Vergessenheit, dass es in Deutschland einen Fahrer gibt, der seinen berühmten Landsleuten beim Start der neuen Formel-1-Saison am kommenden Wochenende in Melbourne problemlos die Show stehlen könnte: Nico Hülkenberg.

Im Alter von gerade einmal 25 Jahren kann er ebenfalls schon auf eine bewegte Karriere zurückschauen. Beispiel gefällig? 2010 raste Rookie Hülkenberg beim Großen Preis von Brasilien auf die Pole Position - in seinem 18. Rennen, selbst Vettel gelang dieses Kunststück erst im 22. Anlauf - und wurde trotzdem gegen den millionenschweren Pastor Maldonado ausgetauscht. 2011 lieferte er als Testfahrer bei Force India so starke Leistungen ab, dass ihn der indische Rennstall anstelle von Adrian Sutil zum Stammfahrer beförderte. Und damit nicht genug: Seine Comeback-Saison war derart beeindruckend, dass ihn Sauber als Nachfolger des zu McLaren abgewanderten Sergio Perez verpflichtete.

"Wie er seine Chance erkannt und genutzt hat, hat uns sehr imponiert", bestätigte Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn seinerzeit. "Wir sehen in ihm die Stärke, das Potenzial, das unser Auto hoffentlich haben wird, in vollem Maße zu nutzen." Bei allem Lob macht Kaltenborn damit auch klar, was Sauber von dem Deutschen erwartet: Punkte, Podestplätze und möglichst auch den ersten Sieg. Und Hülkenberg macht durchaus den Einduck, als sei er der Führungsrolle, die ihm beim schweizerischen Rennstall angedacht ist, gewachsen. Neben seinem unverkennbaren Speed überzeugt der Deutsche durch eine erstaunliche Reife, die Beobachter manchmal daran zweifeln lässt, dass er 2013 erst seine vierte Saison in der Königsklasse absolviert.

Nico Hülkenberg: Gelingt ihm in Melbourne ein Einstand nach Maß?, Foto: Sutton
Nico Hülkenberg: Gelingt ihm in Melbourne ein Einstand nach Maß?, Foto: Sutton

Denn: Nicht nur das Team, auch die Experten hat Hülkenberg inzwischen von seinen Fähigkeiten überzeugt. Nach Meinung von Motorsport-Magazin.com Experte Christian Danner steht Sauber nach der Verpflichtung des WM-Elften sogar besser da als im Vorjahr. "Hülkenbergs Verpflichtung war für Sauber wie ein Sonnenschein", sagte er. "Im Gegensatz zu Kamui Kobayashi, der sich nie großartig weiterentwickelt hat, ist er ein echtes Maß für das Auto." Sollte alles passen, sei der Blondschopf auch in der Lage, die Top-Piloten zu fordern. "Hülkenberg ist ein Fahrer mit Weltmeister-Potenzial", meinte der 54-Jährige. "Bei Force India hat er di Resta abgebügelt. Jetzt lautet die Frage, ob Sauber ein gutes Auto gebaut hat."

Exklusiv hat Danner diese Meinung keineswegs. Hülkenbergs früherer Förderer Josef Kaufmann, Teamchef der deutschen Talentschmiede Josef Kaufmann Racing, traut seinem ehemaligen Schützling ebenfalls den großen Wurf zu. "Wenn er ein gutes Auto bekommt, kann er Weltmeister werden", sagte er im Interview mit Motorsport-Magazin.com. "Für mich gehört er zu den fünf besten Fahrern in der Formel 1." Diese Einschätzung gilt allerdings nur für trockene Verhältnisse, bei Regen sei Hülkenberg eine Klasse für sich. "Bei nassen Bedingungen ist er unschlagbar, für mich der Beste", meinte Kaufmann.

Auf Anhieb Top-Leistungen?

Wetterkapriolen sind beim Saisonstart Down Under nicht unbedingt zu erwarten, dennoch wäre es keine große Überraschung, wenn Regenkönig Hülkenberg auch im aller Voraussicht nach staubtrockenen Albert Park an die guten Leistungen des Vorjahres anknüpft. Kaltenborn erwartet jedenfalls nicht, dass der Hoffnungsträger großartige Probleme mit der Umstellung auf das neue Team hat. "Wir haben den Vorteil, dass er ein erfahrener Pilot ist - das haben wir bereits gemerkt", erzählte sie. "Der Anpassungsprozess ist viel kürzer." Wie kurz, das wird sich erst in Melbourne zeigen. Doch selbst wenn der Sauber-Pilot beim Auftakt in Australien noch nicht mit außergewöhnlichen Leistungen aufwartet, dass Hülkenberg einer jener Piloten aus Deutschland ist, die in Zukunft häufiger im Rampenlicht stehen werden, daran scheinen derzeit nur wenige zu zweifeln.