James Allison versprach vor den finalen Tests im spanischen Barcelona viele neue Teile am Lotus E21. Barcelona II, wie die letzten vier Testtage vor dem Saisonauftakt gerne genannt werden, sei sogar die 'ultimative Stufe.' Der Lotus in Barcelona entspreche weitestgehend dem Einsatzwagen in Melbourne, so der Technische Direktor weiter. Entsprechend gespannt blickte die Fachwelt auf die Neuerungen der Teams. Und tatsächlich, es gab sie - die mehr oder weniger großen Umbauten. Motorsport-Magazin.com blickt in der letzten Technikanalyse vor dem Saisonauftakt auf die wichtigsten Technik-Trends aus Barcelona II.

Als Lotus im vergangenen Jahr beim Großen Preis von Deutschland erstmals ein passives DRS zeigte, war das Aufsehen groß. Zwar bekamen die Ingenieure aus Enstone das System nie hundertprozentig zum Arbeiten, so dass ein Renneinsatz 2012 noch nicht möglich war, doch die Mannschaft von Eric Boullier entwickelte das System immer weiter. Durch das Verbot des aktiven Systems gewinnt die passive Technologie, inzwischen auch als DRD (Drag Reduction Device) bekannt, immer mehr an Bedeutung. Mit Lotus, Mercedes, Sauber und Red Bull testeten bereits vier Teams entsprechende Vorrichtungen.

Mercedes und Sauber zeigten ihre Varianten schon beim ersten Barcelona-Besuch. Lotus traf bereits bei den vorangegangenen Tests Vorbereitungen für die endgültige Installation und zeigte schließlich eine ähnliche Lösung wie Sauber und Mercedes. Nur Red Bull beschreitet beim DRD neue Wege. Sind bei der Konkurrenz die Lufteinlässe neben, respektive hinter der Airbox angebracht, ist am Red Bull keine zusätzliche Öffnungen in dieser Region zu erkennen. Eine Möglichkeit besteht darin, dass ein Schlitz unter der Nase - ähnlich dem Ferrari-Schlitz - Luft aufsammelt und über Rohre ans Heck leitet. Bedenkt man, dass die Zuleitung zum vertikalen Steg im Gegensatz zur Konkurrenz recht weit unten angebracht ist, erscheint diese Variante wahrscheinlich.

Red Bull zeigte am RB9 erstmals ein DRD, Foto: Sutton
Red Bull zeigte am RB9 erstmals ein DRD, Foto: Sutton

Was die Red-Bull-Variante ebenfalls von den bisher gekannten unterscheidet, ist das Ausblasen der Luft, die nicht dazu genutzt wird, den Luftwiderstand zu reduzieren. Bei Geschwindigkeiten unter einem bestimmten Grenzwert wird die Luft durch einen Kanal geführt, der nicht am Heckflügel endet sondern normalerweise unter dem Monkey Seat. Red Bull verzichtete in Barcelona bei Verwendung des DRD gänzlich auf einen Monkey Seat und blies die Luft durch eine Öffnung im unteren Heckflügelelement aus. Im vergangenen Jahr testete Adrian Newey das DRD bereits mit Monkey Seat. Dass diese Variante ebenfalls noch getestet wird, scheint sicher, denn am vertikalen Steg befinden sich silberne Abdeckungen auf Höhe des Monkey Seats. Ist dieser Zusatzflügel angebracht, kann über die Öffnungen an dieser Stelle die Luft ebenfalls verwirbelt werden und der Luftwiderstand wird zusätzlich reduziert.

Der Monkey Seat, ein Element das bei allen Teams zunehmend komplexer wird, wird je nach DRD angepasst. Mercedes und Lotus zeigten bereits verschiedene Varianten. Einen Monkey Seat speziell für die Verwendung des DRD und eine Alternative. Die Standardvariante ist bei beiden Teams ein Zusatzflügel, wie er bei vielen anderen Teams auch verwendet wird, die DRD-Variante zeichnet sich durch eine Biegung an der Oberseite aus. Diese sorgt dafür, dass der DRD-Auslass gut integriert werden kann. Lotus experimentierte schon mit zusätzlichen Leitelementen unmittelbar nach dem Auslass. Werden diese Zusatzteile richtig angeblasen, kann sogar zusätzlicher Abtrieb gewonnen werden.

Pontifex Newey

Bei genauem Hinsehen ist auch am RB9 ein Schlitz zu erkennen, Foto: Sutton
Bei genauem Hinsehen ist auch am RB9 ein Schlitz zu erkennen, Foto: Sutton

Die größte Änderung der Barcelona-Tests bekamen die Fans aber an anderer Stelle zu sehen. Williams rückte am Sonntag mit einem neuen Auspuff aus, welcher dem Red-Bull-Auspuff sehr ähnlich ist, weshalb auch die Diskussionen über das strittige Teil am Auspuffschacht hinfällig sind. Durch die Umrüstung von 'Semi-Coanda' auf 'Voll-Coanda' ist Williams nach Lotus und Red Bull der dritte Rennstall, der auf eine Rampe hin zum Diffusor ohne Stufe baut. Auffällig: alle drei Teams fahren mit Renault-Motoren. Dass das kein Zufall ist, dürfte klar sein. Jedoch ist nicht ganz klar, weshalb drei von vier Renault-Teams diese Lösung wählen (können).

Naheliegend ist natürlich das Packaging des Renault-Aggregats. Der RS27, so lautet die interne Bezeichnung für den aktuellen Renault V8, ist bekannt für seine kompakte Bauweise. Trotz kleiner Leistungseinbußen soll der RS27 bei Adrian Newey deshalb erste Wahl sein. Eine weitere Möglichkeit sind die umstrittenen Motoren-Mappings von Renault. Um nicht nur bei Vollgas von den Auspuffgasen zu profitieren, versuchen die Ingenieure einen konstanten Abgasstrom zu erzeugen. Das sollen die Franzosen besser beherrschen als die Konkurrenz aus Italien, Deutschland und England. Über die Legalität der Mappings wird derzeit allerdings hitzig diskutiert.

Ziel des Coanda-Auspuffs ist es, die Abgase trotz strikten Auspuff-Reglements, zielgenau in den 'Magic Gap' zwischen Reifen und Diffusor-Oberseite zu leiten. Um die Gase möglichst genau an entsprechende Stelle zu leiten, baute Adrian Newey eine Rampe, die direkt auf die Diffusor-Oberseite führt. An der Coanda-Oberfläche werden die Gase somit genau dort hingeleitet, wo sie am effektivsten Abtrieb generieren. Allerdings bietet diese Lösung zwei entscheidende Nachteile. Sobald der Motor nicht mehr im Vollgasbetrieb läuft, erzeugt er weniger Abgase und somit auch weniger Abtrieb. Der Anpressdruck des Fahrzeugs auf der Hinterachse ist also in hohem Maße von der Gaspedalstellung abhängig, weshalb die Ingenieure mit den Mappings tricksen wollen.

Adrian Newey übt sich als Brückenbauer, Foto: Sutton
Adrian Newey übt sich als Brückenbauer, Foto: Sutton

Der zweite Nachteil ist, dass durch die Rampe Platz auf der Oberseite des Unterbodens besetzt wird. Bei der 'Semi-Coanda-Lösung' können die Teams die Seitenkästen unten stark einschneiden, so dass viel Luft an die Diffusor-Oberseite gelangt. Design-Papst Adrian Newey umgeht dieses Problem, indem er die Seitenkästen hinten zu Brücken macht. Luft kann somit einströmen, wird unter den Seitenkasten geleitet und kann dann vor dem Diffusor wieder austreten. Somit kann der Nachteil des verbauten Platzes zumindest teilweise kompensiert werden.

Dass die Teams immer noch auf der Suche nach dem perfekten Auspuff sind, verdeutlichen die vielen leicht veränderten Auspuff-Varianten. Am Ferrari F138 war am Auspuffauslass eine kleine Beule zu sehen und die Coanda-Schächte waren erheblich verkürzt. Auch die anderen Teams zeigten bei diesem Detail viele kleine Veränderungen, eine gänzlich neue oder spektakuläre Lösung bliebt jedoch aus.

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Sind nun alle Karten aufgedeckt? Ich denke nicht. James Allison betonte zwar, dass der Lotus aus Barcelona nahezu unverändert in Melbourne an den Start gehen wird, doch ich glaube, dass wir in den Freien Trainings noch einige Detailverbesserungen an nahezu jedem Auto sehen werden. Gespannt bin ich hier vor allem auf Red Bull - ob Adrian Newey nicht doch noch etwas im Köcher hat?

Es wird spannend zu sehen, ob sich ein Team traut, das DRD einzusetzen. Ist das System noch nicht hundertprozentig ausgereift, droht ein Abflug. Andererseits bietet sich die Strecke im Albert Park, da es keine schnellen Kurven gibt, besonders für das passive DRS an. Auch die ständigen Umrüstungen am Auspuff zeigen, dass die Teams noch rätseln. Aber wie heißt es so schön: wer suchet, der findet. Christian Menath