Auch in der Saison 2012 hat die Kritik der Formel 1 am von den Stewards oftmals verhängten Stafmaß wieder neue Höhen erreicht. 2013 wird das kaum anders sein, die Regeln sind zum Teil kompliziert, kontrovers und unverständlich - doch viele Zuschauer irren, wenn nach einer strittigen Szene und anschließenden Bestrafung oder eben dem Ausbleiben dieser von blinden Kommissaren und deren Unfähigkeit die Rede ist. Ähnlich wie im Fußball scheint der Druck auf die Schiedsrichter immer größer zu werden - diese sehen sich, ob ihrer fehleranfälligen Tatsachenentscheidungen, die oftmals in krassem Kontrast zu den durch detaillierte Zeitlupen später festgestellten tatsächlichen Sachverhalten stehen, vor dem Hintergrund der längst überlegenen technischen Hilfsmittel vor die Herkulesaufgabe gestellt, fehlerfrei zu agieren, obwohl sie Menschen und eben keine Maschinen sind.

Genau an diesem Punkt unterscheiden sich die Unparteiischen im Stadion jedoch von denen an der Strecke. Denn so viel Transparenz, Technik-Hilfe und allumfassende Einsicht in alle Belange wie die Regelhüter der F1, haben ihre Kollegen in anderen Sportarten kaum. Selbst die Möglichkeit des unbegrenzten zeitlichen Aufschubs gibt es - etwa wenn auf den Monitoren an der Strecke aufleuchtet: 'Der Vorfall zwischen Fahrzeug Nummer 1 (Sebastian Vettel) und Fahrzeug Nummer 5 (Fernando Alonso) wird nach dem Rennen untersucht.' De facto können die Rennstewards dann auch noch explizite Meinungen einholen und alle Beteiligten befragen. Reicht das immer noch nicht aus, kann die ganze Angelegenheit überdies an die nächsthöhere Instanz und das Sportgericht der FIA weitergegeben werden.

Onboard, Streckensicherung & Funk

Hinter verschlossenen Türen: Bei strittigen Szenen tagen die Stewards oft auch noch bis in die späte Nacht hinein, Foto: Sutton
Hinter verschlossenen Türen: Bei strittigen Szenen tagen die Stewards oft auch noch bis in die späte Nacht hinein, Foto: Sutton

Zweifel an den Entscheidungen der Rennleitung sind für Diskussionen unter Fans also schön - spätestens beim Blick in den mit allerlei High-Tech vollgepackten Kontrollraum der Rennleitung wird aber klar: Hier noch Fehlentscheidungen zu machen, wird schwer. Laien sind hier keineswegs am Werk. Was dem Zuseher - egal ob zuhause vor dem Fernsehbildschirm oder draußen an der Strecke - oft verborgen bleibt: Die Stewards haben Zugriff auf wesentlich mehr entscheidende Materialien als alle anderen. Das erwarten die Fans auch. Doch in Wahrheit haben die Regelhüter noch ganz andere Möglichkeiten, bevor Maldonado zurückversetzt, Hamilton mit einer Geldstrafe belegt oder Grosjean gesperrt wird.

Seitens der FIA war zuletzt nicht umsonst schon vom 'Cyber Stewarding' die Rede. Gary Connelly, Vorsteher der Rennkommissare, erklärt: "Wir haben natürlich jedwede Videoaufzeichnung - dabei handelt es sich sowohl um die Bilder, die ausgestrahlt wurden, aber vor allem auch um die, die nicht rausgegangen sind, vom Kommunikations-TV-System des Formel-1-Managements (FOM) aber trotzdem aufgezeichnet wurden." Hinzu kommen die Bilder aller festinstallierten Streckensicherungskameras, die nur ganz selten und in Ausnahmefällen an die Öffentlichkeit gelangen. Connelly fährt fort: "Auch verfügen wir selbstredend über alle Onboardaufnahmen aus allen Autos und eine Verfolgung per GPS ist uns ebenso möglich."

Geballte Manpower: Wenn die Stewards antreten, bleibt nichts mehr ungesehen, Foto: Sutton
Geballte Manpower: Wenn die Stewards antreten, bleibt nichts mehr ungesehen, Foto: Sutton

Damit lässt sich zu jeder x-beliebigen Sekunde feststellen, wo ein Auto gerade ist und vor allem ob es vor, nach oder zeitgleich zu einem anderen Konkurrenten eine Stelle passiert. "Uns steht zudem der komplette Funkverkehr zur Verfügung. Das wird dann besonders wichtig, wenn es darum geht, ob ein Team seinen Fahrer gewarnt hat, dass er ein Auto aufhält oder ob ein Pilot diese Anweisung mutwillig ignoriert hat." Die neueste Errungenschaft machte Connelly besonders stolz: "Seit diesem Sommer können wir nun direkt und in Echtzeit auf die Telemetriedaten aller Autos zugreifen." Totale Überwachung also. "Für uns ist das sehr, sehr hilfreich, da wir nun bei einem Zwischenfall die Telemetriedaten mit denen von vorangegangenen Runden übereinander legen können. Anhand dieser Funktion können wir zum Beispiel feststellen, ob ein Fahrer unter gelben Flaggen ein Fehlverhalten an den Tag gelegt hat."

Präzedenzfälle auf Abruf

Zusammenfassend erklärt der Chef-Steward: "Wenn man all dies zusammenfügt, bekommt man ein ziemlich allumfassendes Bild, was gerade los ist. Und genau deshalb werden manchmal auch Entscheidungen getroffen, die viele Leute dann nicht nachvollziehen können - das liegt aber ganz einfach daran, dass sie nie die Informationen hatten, die den Stewards zugänglich waren." FIA-Renndirektor Charlie Whiting veranlasste jüngst, dass mittlerweile auch alle Entscheidungen der Rennleitung aus den Vorjahren auf den Laufwerken des Kontrollzentrums gespeichert und jederzeit abrufbar sein müssen. Damit soll dem Ruf nach der Gewährleistung einer klareren Linie und Einheitlichkeit bei den Entschlüssen und dem Strafmaß nachgekommen werden.

Kurzum: Ganz bewusst werden Präzedezfälle herausgekramt, anhand denen die Fahrer gewarnt sein hätten müssen, bis zu welcher Grenze ihr Verhalten tolerierbar und wann es zu viel des Guten ist. Passend zur hochmodernen Formel 1 ist mittlerweile also auch die Sportbehörde im neuen Jahrtausend angekommen - und das mit allen Werkzeugen und Instrumenten, die sie sich zueigen macht. Der gewöhnliche Fan neigt trotzdem gerne dazu, sich bei kontroversen Entscheidungen der Stewards zu denken: "Die Kochen auch nur mit Wasser." Wer einmal den Blick in das Herzstück der F1-Strecken dieser Welt geworfen hat, muss einräumen: Hier brodelt längst etwas ganz anderes.