"Die Formel 1 ist wie ein Gefängnis", sagte Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo nachdem feststand, dass die V8-Motoren wohl der Vergangenheit angehören würden. "Es handelt sich hier um die Formel 1 - das sollte einfach die absolute Spitze in Sachen technischer Entwicklung sein", polterte er damals weiter. Der Italiener störte sich vor allem daran, dass aus der Formel 1 keine für Straßen-Ferraris relevanten Technologien mehr stammten. Kurze Zeit später wiederlegte sich Montezemolos These jedoch. Zwar wird es in Zukunft wohl auch weiterhin keinen zwangsbeatmeten V6-Motor in Ferraris Straßensportwagen geben, doch andere Innovationen fanden Serienanwendung. So wird der Enzo-Nachfolger mit einer in der Formel 1 entwickelten KERS-Einheit an die erlesene Kundschaft ausgeliefert.

Die komplette Antriebseinheit - Motor samt KERS, Foto: Mercedes-Benz
Die komplette Antriebseinheit - Motor samt KERS, Foto: Mercedes-Benz

Der harte Wettbewerb in der Formel 1 brachte Fortschritte und Lösungen hervor, die über die Serienforschung alleine nicht möglich gewesen wären. Sowohl beim Gewicht, als auch bei der Effizienz des KERS gab es gravierende Fortschritte. So war das erste von Mercedes High Performance Powertrains entwickelte System noch 107 Kilogramm schwer und konnte nur einen Wirkungsgrad von 39 Prozent aufweisen. Wie rasant der Fortschritt in der Königsklasse voranschreitet, belegen folgende Werte: nur ein Jahr später brachte die KERS-Einheit nur noch 63,5 Kilogramm auf die Waage, im Jahr 2013 sind es noch lediglich 24 Kilogramm. Die Effizienz des Systems konnte dabei auf zuvor undenkbare 80 Prozent erhöht werden.

Williams versuchte 2009 mit einem selbstentwickelten Schwungradspeicher die elektrische Speicherung von Energie zu umgehen. Zwar konnte sich das System in der Formel 1 nicht bewähren, Hersteller in anderen Serien wurden aber auf diese Technologie aufmerksam und setzten sie - unter anderem bei den 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring und in Le Mans - erfolgreich ein. Unlängst wurde bekannt, dass Williams mit Alstom einen Partner gefunden hat, der das System gemeinsam mit dem Traditionsrennstall weiterentwickeln wird und in der Folge im Schienenverkehr einsetzten will. Das französische Unternehmen verspricht sich Emissionseinsparungen von bis zu 15 Prozent.

Die Einführung der neuen Motoren 2014 birgt für die Formel 1 eine große Chance. Die Königsklasse folgt dem allgemeinen Trend der Automobilindustrie bei der Reduktion von Hubraum und Zylinderanzahl der Motoren - bei zumindest gleichbleibender Leistung versteht sich. Bei den Motoren brachte die Formel 1 in den letzten Jahren keine nennenswerten Innovationen hervor. Das mag vor allem daran gelegen haben, dass Modifikationen reglementbedingt nur noch in sehr geringem Maße erlaubt waren. Doch mit einer völlig neuen Motorengeneration wird die Forschung auf diesem Gebiet wieder vehement vorangetrieben. Die neuen Turbo-Aggregate sollen beim Verbrauch erhebliche Fortschritte verzeichnen können. Rennen müssen ab 2014 mit maximal 100 Kilogramm Treibstoff bestritten werden, das ist ein Drittel weniger als bisher und in Relation zur Leistung ein absoluter Spitzenwert.

Innovationen & Technologietransfer

Mit KERS hielt nicht zum ersten Mal eine F1-Technologie Einzug in Straßenautos. Die Leitfunktion der Formel 1 gilt mittlerweile für eine Vielzahl an Bauteilen. Die F1 brachte in den vergangenen 62 Jahren viele technische Innovationen wie Allradantrieb, Gasturbinen, elektronische Kupplungen, Datarecorder, aktive Radaufhängungen und doppelte Vorderradachsen mit Vierradlenkung hervor.

Selbst beim Lenkrad werden viele Funktionen aus der Formel 1 übernommen, Foto: Ferrari
Selbst beim Lenkrad werden viele Funktionen aus der Formel 1 übernommen, Foto: Ferrari

Einige technische Innovationen wie Leichtbau mit Aluminium und Titan, Kohlefaserwerkstoffen, keramischen Scheibenbremsen und Drive-by-Wire waren in ähnlicher Art zuvor im Flugzeugbau zu finden, kamen allerdings erst über die Weiterentwicklung in der Formel 1 ins Blickfeld der Serienproduktion und somit auf die Straßen. So gehörte Aluminium lange zu den exotischen Werkstoffen im Serienwagenbau: durch die Erprobung in der Formel 1 fand es schnell den Weg in die Straßenautos, wo heute vielfach Leichtmetallmotoren verwendet werden. Aber auch komplette Fertigungsverfahren wurden von den F1-Teams und Herstellern für die Serienproduktion übernommen, um die Teile schneller fertig zu stellen.

Auf diese Weise trägt die Formel 1 auch zum Umweltschutz bei. Denn bei hohen Drehzahlen haben Formel 1- und Serienmotoren den gleichen Feind: die Reibung. Sowohl F1- als auch Serieningenieure versuchen die Reibung zu verringern, weil sich eine höhere Reibung negativ auf den Verbrauch auswirkt. Beide Seiten wollen die Verluste bei hoher Drehzahl so niedrig wie möglich halten, weshalb die Serienproduktion direkt von den Ergebnissen auf der Rennstrecke profitieren kann. Gleiches gilt für die Elektronik. Auch auf diesem Gebiet finden Elektroniksysteme in Serienautos Verwendung, die in Formel 1-Boliden erprobt und entwickelt wurden.

Formel 1 und Serie

Die Formel 1 strebt nach dem maximal technisch Machbaren. Von der Konstruktion dieser hocheffizienten, ultraleichten, supersicheren und angesichts ihrer Belastungen auch extrem haltbaren Boliden können Ingenieure vieles für den Serienbau lernen - etwa über besonders saubere Verbrennung oder noch höhere passive Sicherheit. So verbrennt ein rund 780 PS starkes Formel 1-Auto derzeit pro PS nur 2,5 Mal so viel Treibstoff wie sein 165 kW (224 PS) starker straßenzugelassener Cousin - 2014 wird sich dieser Wert nochmals verbessern. Ein Rennwagen geht also keineswegs verschwenderisch mit Energie um - Effizienz ist hier wie dort das höchste Gebot.

Auch die Sicherheit profitiert vom technologischen Fortschritt, Foto: Sutton
Auch die Sicherheit profitiert vom technologischen Fortschritt, Foto: Sutton

Ein aktuelles Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Formel 1 und Serienproduktion ist der neue Mercedes-Benz SLS AMG Electric Drive, der in der Motorenschmiede in Brixworth entstand. Der Elektrorenner beschleunigt von 0 auf 100 km/h in 3,9 Sekunden und bezieht seine Energie aus zwölf Modulen mit je 72 Lithium-Ionen-Zellen. Die silbernen Zellen sind äußerst dünn und leicht - in Form und Gewicht fühlen sie sich in der Hand fast wie ein handelsübliches Tablet an. Ein hochauflösendes Retina-Display sucht man natürlich vergeblich, doch mit 864 iPads (12x72) unter der Haube könnte man sicher auch keinen Elektro-Supersportwagen antreiben...

Bei vielen Herstellern ist es üblich, dass spezialisierte Serien-Ingenieure ein bis zwei Jahre lang im Rennteam arbeiten und dort ihr Know-how in Bereichen wie Aerodynamik, Fahrverhalten und Qualitätssicherung einbringen. Im Gegenzug übernehmen sie die effiziente und reaktionsschnelle Arbeitsweise der Formel 1 und nehmen wiederum neues Wissen in die Serienproduktion ein.

Auch die Sicherheit gehört zu den unverzichtbaren Merkmalen eines jeden (Renn-)Autos, ganz gleich, ob es sieben oder nur einen Sitzplatz hat. In der "Kontaktgruppe Industrie" des Automobil-Weltverbands FIA - Initiator des strengen Euro NCAP Crashtests - forschen die Hersteller mit daran, die besten Lösungen für aktive und passive Sicherheit aus der Formel 1 in den Serienbau zu transferieren.

Redaktionskommentar

Der SLS E Drive leistet sagenhafte 552 kW, ca 750 PS, Foto: Mercedes-Benz
Der SLS E Drive leistet sagenhafte 552 kW, ca 750 PS, Foto: Mercedes-Benz

Motorsport-Magazin.com meint: Als Motorsportfan bin ich es gewohnt, mir in regelmäßigen Abständen anhören zu müssen, wie umweltschädlich und wie nutzlos die Formel 1 doch sei. Abgesehen davon, dass ein Fußballspiel grundsätzlich auch nicht viel sinnvoller ist, sehe ich die Formel 1 weder als umweltschädlich noch als nutzlos an. Sicher kommen in der Königsklasse des Motorsports fossile Brennstoffe zum Einsatz, die in der Folge Treibhausgase emittieren. Doch der technologische Fortschritt, von dem zweifellos auch Serien-PKWs profitieren, sorgt dafür, dass Motoren immer effizienter werden.

In der Formel 1 messen sich 20 Mal im Jahr die 22 besten Piloten der Welt, Testfahrten gibt es kaum mehr. Wenn ein Serienauto durch die Entwicklung nur im Geringsten vom Verbrauchsvorteil profitieren kann, ist das eine überaus nachhaltige Angelegenheit - bedenkt man die Milliarden von Kilometern, die jährlich auf öffentlichen Straßen zurückgelegt werden.

Kritiker werden entgegnen, dass auch ohne die Formel 1 ein technologischer Fortschritt möglich ist. Ich meine, es muss erst einmal ein Unternehmen gefunden werden, dass jährlich hunderte Millionen zusätzlich für die Forschung ausgibt. Der Ansporn für die Ingenieure ist durch ständiges Kräftemessen auf der Strecke höher, so dass mit einer ganz anderen Motivation gearbeitet wird. Der Williams-Deal zeigt, dass die Formel 1 nach wie vor technologischer Vorreiter ist und dass es keineswegs nur auf Schnelligkeit ankommt. (Christian Menath)