Nicht Schumacher, Ascari oder Fangio - auch nicht Lauda, Scheckter oder Räikkönen. Der große Liebling der Tifosi ist bis heute ein Pilot, der keinen Weltmeistertitel für die Scuderia Ferrari einfahren konnte und doch mindestens so legendär ist, wie der italienische Traditionsrennstall selbst. Gilles Villeneuve musste um alles in seiner Karriere kämpfen, nur seinen unbändigen Grundspeed und das scheinbar schier unerschöpfliche fahrerische Talent bekam der Kanadier in die Wiege gelegt.

So liebten die Tifosi ihren Villeneuve: Wie in Zandvoort 1979 war er durch nichts zu stoppen, Foto: Sutton
So liebten die Tifosi ihren Villeneuve: Wie in Zandvoort 1979 war er durch nichts zu stoppen, Foto: Sutton

Am 18. Januar 1950 in Saint-Jean-sur-Richelieu im frankokanadischen Québec geboren, waren es in jungen Jahren zunächst Schneemobilrennen, die ihn zum Motorsport brachten. Parallel sammelte er im Alter von nur 17 Jahren in einem aufgemotzten Ford Mustang in der regionalen Drag-Szene auch erste Erfahrungen auf vier Rädern. Bald packte ihn die Leidenschaft für Asphaltrennen und er erwarb in der Jim Russell Racing School auf der malerisch gelegenen Naturstrecke Mont Tremblant seine professionelle Rennlizenz. Anschließend trat er in der Formel Ford an, siegte gleich auf Anhieb in sieben von zehn Läufen und empfahl sich schließlich für die größere Formel Atlantic.

1975 gewann das Ausnahmetalent bei sintflutartigen Regenfällen dort sein erstes Rennen. Dass er bei schwierigen Wetterbedingungen besonders herausragte, erklärte Villeneuve damit, dass die Sicht bei seinen geliebten Schneemobilrennen noch viel schlechter sei. Diese fuhr der Jungspund auch weiterhin, vornehmlich da in den Anfangsjahren seiner Karriere das Geld knapp und er auf Kufen dermaßen erfolgreich war, dass er sich dadurch die Teilnahme an Autorennen finanzieren konnte.

F1-Debüt mit McLaren

Das erste Rennen Villeneuves war sein einziges ohne Ferrari, Foto: Sutton
Das erste Rennen Villeneuves war sein einziges ohne Ferrari, Foto: Sutton

1976 startete Villeneuve in der Formel Atlantic voll durch, gewann bis auf ein Rennen alle Läufe des Jahres und sicherte sich die Meisterschaft - ein Kunststück, das er im Folgejahr wiederholte. Auf Grund seiner eindrucksvollen Leistungen in Nordamerika durfte er sich im Juli 1977 in Silverstone erstmals auch in der Formel 1 versuchen. Ein elfter Platz für McLaren beim Debüt blieb sein einziges Rennen in der Königsklasse, das er nicht in einem Ferrari bestritt. Bereits Ende der Saison heuerte Villeneuve bei der Scuderia an, wurde bei seinem Heimrennen in Mosport Zwölfter. Der letzte Lauf des Jahres in Fuji endete jedoch tragisch - Villeneuve wurde in einen Unfall mit Ronnie Peterson verwickelt, bei dem ein Zuschauer und ein Streckenposten ihr Leben ließen.

1978 kehrte er als Stammfahrer für Ferrari an die Strecke zurück. Nach vielen Ausfällen zu Beginn des Jahres, verbesserte sich seine Performance zusehends. Beim fünftletzten Lauf in Österreich fuhr Villeneuve als Dritter erstmals aufs Podest, das Saisonfinale auf dem neuem Circuit Ile Notre-Dame im verregneten Montreal, der später auch nach seinem prominenten Premierensieger benannt wurde, gewann der Kanadier. Dass er zunächst Teamkollege Carlos Reutemann, später Stallgefährte Jody Scheckter unterlegen war, der sich 1979 den WM-Titel für Ferrari sicherte, interessierte die Fans der Roten weniger.

Viel mehr waren sie fasziniert vom Mut und der Hingabe, mit der Villeneuve Rennen fuhr - immer auf der letzten Rille, immer über dem Limit und niemals mit einem Gedanken an das Risiko. Weggefährte Chris Amon erklärte einmal: "Im Rennauto kannte Gilles keine Furcht. Sein Mut rührte aber eher vom sachlichen Akzeptieren des Risikos, als von Ignoranz oder mangelnder Einsicht. Er wusste, wie es war, sich zu verletzen - aber er akzeptierte das." Bereits in der Formel Atlanic hatte sich Villeneuve bei einem Unfall einmal das Bein gebrochen. "Er weigerte sich zuerst, wahrzuhaben, dass er verletzt war. Nicht wegen des Schocks, sondern einfach, weil er nicht glauben konnte, dass so etwas passiert. Als er das aber verstanden hatte, nahm er auch das Risiko an", so Amon.

Liebling der Tifosi

Die besten Beweise für seinen ungebrochenen Wagemut lieferte der Kanadier in seiner zweiten kompletten Ferrari-Saison. Unvergessen sein rundenlanger Zweikampf mit Rene Arnoux auf dem Weg zu Platz zwei in Dijon - legendär auch sein Auftritt im holländischen Zandvoort wenige Wochen später. Mit einem Reifenschaden eigentlich bereits ausgeschieden, fuhr Villeneuve aus den Fangzäunen und dem Kiesbett zurück auf die Strecke, um das Rennen auf drei Rädern wieder aufzunehmen. Völlig fern der realistischen Grenzen der Physik, setzte der in seiner eigenen Welt lebende Rennfahrer den Grand Prix fort, bis schließlich die komplette Radaufhängung seines Ferrari 312T4 in Fetzen hinter dem Boliden herschleifte.

Zwischen Villeneuve & Pironi ging es nicht lange gut, Foto: Sutton
Zwischen Villeneuve & Pironi ging es nicht lange gut, Foto: Sutton

Die Zuschauer verehrten den 67-fachen GP-Starter für seinen unermüdlichen Kampfgeist und sein verwegenes Wesen. Neben der Vizeweltmeisterschaft in jenem Jahr sicherte sich Villeneuve in seiner Karriere insgesamt zwei Pole-Positions und sechs Grand-Prix-Siege, darunter 1981 auch einen im Motorsport-Mekka Monaco. 1982 hatte der zweifache Familienvater, dessen Sohn Jacques später selbst in der Formel 1 fuhr und 1997 den Weltmeistertitel gewann, mit dem Ferrari 126C2 erstmals nach zwei durchwachsenen Saisons wieder das Material, um nach der Krone zu greifen. Gemeinsam mit seinem schnellen Teamkollegen Didier Pironi, der bereits in der Vorsaison zur Scuderia gestoßen war, rieb er sich jedoch in einem erbitterten internen Duell auf.

Zwischen den beiden Ferrari-Stars entwickelte sich schnell eine große Rivalität, die in den kontroversen Ereignissen beim Großen Preis von San Marino in Imola gipfelte. Um Sprit zu sparen, hatte die Scuderia ihre beiden in Führung liegenden Piloten angewiesen, die Pace an der Spitze herauszunehmen und den Doppelerfolg sicher ins Ziel zu bringen. Der Zweitplatzierte Pironi brach jedoch den Nichtangriffspakt und überholte Villeneuve in der letzten Rennrunde in der Tosa-Kurve, um diesem den Sieg wegzuschnappen. Der Kanadier war anschließend zutiefst enttäuscht und sprach mit seinem französischen Stallkollegen kein Wort mehr. Schon beim folgenden Lauf in Zolder wollte sich Villeneuve rächen.

Stil stand im Vordergrund

Keke Rosberg erinnerte sich Jahre später an Villeneuve - und auch dessen Frust über den ungerecht verlorenen Sieg: "Gilles war wahrscheinlich der verrückteste Bastard, den ich jemals getroffen habe. Im Vergleich zu Prost oder Lauda war er ein ganz verschiedener Typ Fahrer. Das Siegen bedeutete auch ihm alles, aber es zählte auch die Art und Weise, wie er gewann. Er nahm jedes Rennen als neue, ganz persönliche Herausforderung an. Dabei war er ein unglaublich harter Racer - aber immer fair. Für ihn war es Sport, er würde einem immer den Platz zum Überleben geben." Die Tragik des Gilles Villeneuve ist, dass ihm dieser Platz am 8. Mai 1982 selbst ausging.

Acht Minuten vor dem Ende der Qualifikation zum Großen Preis von Belgien befand sich Villeneuve auf einer schnellen Runde, um den zu diesem Zeitpunkt vor ihm liegenden Pironi noch abzufangen und sich eine bessere Ausgangsposition in der Startaufstellung zu erfahren. Als er im schnellen Abschnitt auf der Rückseite des Fahrerlagers über eine Kuppe kam, lief er auf den langsamen March-Ford von Jochen Mass auf. Der Deutsche befand sich nicht auf einer schnellen Runde, blockierte jedoch die Ideallinie. Als Mass Villeneuve im Rückspiegel sah, wechselte er auf die rechte Spur, um dem Ferrari links die Rennlinie zu überlassen. Der Kanadier hatte sich jedoch schon dazu entschieden, Mass vor der folgenden Rechtskurve innen zu überholen und seinerseits die Spur gewechselt.

Die Tragödie von Zolder

Vom Ausscheren des March wurde er überrascht und konnte nicht mehr ausweichen. Der Ferrari Villeneuves krachte in das Heck des Vordermannes und stieg in die Luft auf. Bei Geschwindigkeiten jenseits der 200 Stundenkilometer schlug der Bolide anschließend auf die Wiese neben der Fahrbahn auf und zerbarst in seine Einzelteile. Villeneuve verlor dabei seinen Helm und wurde mitsamt der Sitzschale, an die er immer noch geschnallt war, im hohen Bogen über die Strecke und die Fangzäune auf der anderen Seite geschleudert. Zwar waren innerhalb weniger Sekunden nachfolgende Piloten und der Rennarzt an der Unglücksstelle und zogen Villeneuve aus den Fangzäunen - wenngleich der Puls des Kanadiers zu fühlen war, atmete dieser jedoch nicht mehr und sein Gesicht war blau angelaufen.

In Zolder schlug das Schicksal eiskalt zu, Foto: Sutton
In Zolder schlug das Schicksal eiskalt zu, Foto: Sutton

Villeneuve wurde anschließend mit dem Helikopter in das Universitätskrankenhaus der nahegelegenen Stadt Löwen geflogen, wo das medizinische Personal einen Genickbruch feststellte. Trotz der sofort eingeleiteten lebenserhaltenden Maßnahmen, erlag der 32-Jährige um 21.12 Uhr seinen schweren Verletzungen. Das Ferrari-Team zog nach der Schocknachricht den zweiten Boliden von Pironi für das Rennen am Sonntag zurück und reiste vorzeitig aus Belgien ab. Eigentlich die falsche Antwort auf das unbarmherzige Schicksal, war doch vor allem ein Wort im Vokabular des Gilles Villeneuve nicht existent: Aufgeben. In Maranello bauten sie ihrem Idol anschließend ein Denkmal - dem Liebling von Enzo Ferrari, dem Liebling der Tifosi... der unvergessenen Nummer 27.

Die Reportage über Gilles Villeneuves spektakuläre und viel zu kurze Karriere in der Formel 1 stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Analysen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: