Der dreimalige Formel-1-Weltmeister Sir Jackie Stewart glaubt nicht, dass eine lange Saison mit bis zu 20 Grands Prix für einen Overkill bei den Fans sorgt: "Ich denke eher bei den Mechanikern und bei den Teams." Dabei rechnet Stewart in dieser Saison ohnehin mit lediglich 19 Rennen, weil er nicht an einen Türkei GP glaubt. Mit einer Formel-1-Saison, die von März bis November nahezu alle zwei Wochen ein Rennen in einem anderen Land austrägt, sei für den Schotten allerdings das Limit erreicht.

Stewart 1972 auf der Nordschleife, Foto: Sutton
Stewart 1972 auf der Nordschleife, Foto: Sutton

"Aber es ist viel besser als zu jener Zeit, in der ich gefahren bin. Als ich gefahren bin, hatte eine Saison nur 11 Rennen. Das war offensichtlich nicht genug", blickte er rund 40 Jahre zurück. Allerdings brachte das den Vorteil mit sich, dass Fahrer in verschiedenen Rennserien zugleich an den Start gehen konnten - respektive mussten, wie Stewart sagt: "Als Jim Clark, Graham Hill, Jack Brabham, Jochen [Rindt], Francois [Cevert] und ich Rennen gefahren sind, haben wir nicht so viel Geld für einen Formel-1-Vertrag erhalten. Also mussten wir uns nach anderen Rennserien umsehen."

Über sein kumuliertes Einkommen wollte sich der Schotte aber nicht beklagen, jedoch betonte er, dass er für dieses Geld sehr viel mehr Arbeit verrichten musste, als das ein Formel-1-Pilot heute tut. Für Stewart sind es die hohen Fahrergehälter und nicht der dichte Rennkalender, die hauptsächlich dafür verantwortlich sind, dass sich Formel-1-Fahrer nicht auf fremdes Terrain begeben: "Ich denke, wenn die Fahrer es wirklich wollten [in anderen Rennserien zu starten], könnten sie es machen. Das Problem ist, dass sie inzwischen alleine mit ihrem Formel-1-Vertrag so viel Geld verdienen, dass sie das Extrageld nicht benötigen."

Dass die Piloten wegen komplizierter Sponsorenverträge und Markenbindung nicht in mehreren Rennserien starten könnten, hält Stewart für einen Vorwand, schließlich sei nicht jede Marke in jeder Rennserie vertreten. Wie unkompliziert ein solcher Gaststart ablaufen könnte, machte er am Beispiel von Lewis Hamilton deutlich: "Lewis Hamilton könnte einfach zu Mercedes sagen, er möchte drei, vier oder fünf DTM-Rennen fahren."

Zwar seien die vielen Starts und häufigen Testfahrten zu seiner Zeit sehr kraftraubend gewesen - in seiner ersten Weltmeistersaison überquerte er 68 Mal den Atlantik -, doch sie boten auch die Möglichkeit, verschiedenste Dinge auszuprobieren. "Ich habe als Fahrer sehr viel mehr gelernt, weil ich so viele verschiedene Autos gefahren bin. Ich habe gelernt, mit anderen Teamchefs umzugehen und mit anderen Mechanikern zu arbeiten, ich habe es gelernt, an einem Tag einen schwächer motorisierten Formel-2-Boliden zu fahren und am nächsten Wochenende ein 800 PS starkes Can-Am-Auto zu bewegen."

Stewart 1970 in einem Ford Escort, Foto: Sutton
Stewart 1970 in einem Ford Escort, Foto: Sutton

In den unterschiedlichen Motorsportkategorien musste sich Stewart auf neue Länder, neue Teamkollegen und andere Fahrzeuge einstellen. Genau darin habe jedoch die besondere Herausforderung damals bestanden, die zu einer höheren Motorsport-Genugtuung und einem erhöhten Lerneffekt geführt hat. "Ich glaube, dass viele der heutigen Piloten diese Erfahrungen nie gemacht haben. Und deshalb haben sie vielleicht nie ihr volles Potential ausschöpfen können", überlegte der Schotte.

Dabei ist sich die Formel-1-Legende sicher, dass Gaststarts der Formel-1-Stars allen Beteiligten helfen würden. Zum einen sei es für jeden Fahrer der Königsklasse eine Herausforderung, sich mit dem Meister einer anderen Serie zu messen. Zum anderen würde ein spektakulärer Gaststarter Fans an die Rennstrecken locken. "Ich denke, es wäre für den Motorsport gut", bilanzierte Stewart.