Die Saison 2012 bewegt sich langsam auf die Halbzeit zu. Wie fällt Ihre Bilanz bisher aus?
Gerard Lopez:Ich würde sagen, dass die Bilanz fast nur positiv ausfällt. Wir wissen, dass wir vom Speed her dabei sind, dass das Auto auf fast allen Strecken funktioniert. Einzig negativ ist, dass wir ein paar Ausfälle und Rückschläge im Qualifying hatten, aber ich bin guter Dinge.

Jubelsturm bei Lotus: Kimi Räikkönen siegt in Abu Dhabi, Foto: Lotus F1 Team
Jubelsturm bei Lotus: Kimi Räikkönen siegt in Abu Dhabi, Foto: Lotus F1 Team

Lotus zählt zu den positiven Überraschungen des Jahres. Im letzten Jahr konnte das Team zu Beginn der Saison ebenfalls gute Ergebnisse einfahren, danach ging die Leistungskurve allerdings bergab. Was hat Lotus getan, um das 2012 zu verhindern?
Gerard Lopez: Die Frage ist viel mehr, was wir im Vorjahr nicht getan haben. Die Leistungskurve ist im vergangenen Jahr nicht abgefallen, weil wir keinerlei Weiteentwicklungen hatten. Wir waren eines der Teams, mit den meisten Entwicklungsstufen. Das Problem war allerdings, dass das Auto um ein Auspuffsystem herum gebaut wurde, was nach vier oder fünf Rennen nicht mehr in der Art und Weise, wie wir es genutzt haben, von der FIA zugelassen war. Das Chassis ist vorgegeben, somit konnten wir das Auto die gesamte Saison nicht mehr verändern. Wir konnten nicht mehr auf ein Auspuffsystem wechseln, das nach hinten rausgeblasen hat. Damit war die ganze Saison verkorkst. Dieses Jahr ist das Auto gut. Anders als im Vorjahr sind wir nicht mehr so extreme Wege gegangen, somit haben wir keine Angst, dass wir mit der Entwicklung nicht weiter mithalten können. Es könnte eher der Fall sein, dass andere Dinge nicht funktionieren, wie das im ersten Rennen der Fall gewesen ist.

2011 wählte Lotus eine aggressivere Herangehensweise an das Auto, dieses Jahr war es Ferrari. In beiden Fällen ging die Strategie nicht auf. Kann man daraus schließen, dass der konservative Weg in der aktuellen Formel 1 erfolgreicher ist?
Gerard Lopez: Es scheint so zu sein, einfach weil wir alle so eng beieinander liegen. Sobald man etwas probiert und es nicht hundertprozentig funktioniert, fällt man von 1 auf 12, 13, 14 oder 15 zurück. Speziell in dieser Saison liegen zwischen der Spitze und dem Mittelfeld nur eine halbe Sekunde oder sechs Zehntel - da ist man schnell Top oder Flop. Ich würde nicht sagen, dass die Herangehensweise konservativ ist, aber man muss mehr in die Detailsuche gehen und wenn man in Bereichen extremere Wege gehen will, dann muss man diese langsam über die Freitagstests einführen. Man kann etwas nur auf das Auto schrauben, wenn man sich zu 100 Prozent sicher ist. Vermutlich ging Ferrari dieses Jahr einen aggressiveren Weg, wir haben es im Vorjahr definitiv getan. Es hätte sich auch ausgezahlt, wenn sich die Auspuffregelung nicht verändert hätte. Aber so ist es halt.

Schrecksekunde in Spa: Romain Grosjean fliegt ab, Foto: Sutton
Schrecksekunde in Spa: Romain Grosjean fliegt ab, Foto: Sutton

Mit Kimi Räikkönen und Romain Grosjean setzt Lotus auf zwei Piloten, die 2012 nach einer Pause in die Formel 1 zurückkehrten. Wie zufrieden sind sie mit der bisherigen Leistung und wie viel können sich die Fans von beiden noch erwarten?
Gerard Lopez: Ich bin schon sehr zufrieden, vor allem mit Kimi. Er hat sehr vielen Leuten gezeigt, dass er sein Comeback gut hinbekommen hat. Er gibt alles und bringt seine maximale Leistung, aber ich denke, da kommt noch etwas, wenn er immer mehr Qualifyings und Rennen gefahren ist. Bei Romain empfinde ich die gleiche Zufriedenheit. Wir wussten, dass er sehr schnell ist. Bei ihm ist es wie bei Kimi eine Sache der Erfahrung.

Wann haben Sie Räikkönen zum ersten Mal getroffen und welchen Eindruck hatten Sie von ihm?
Gerard Lopez: Das war vor sechs oder sieben Jahren. Es war schwer, sich einen Eindruck von ihm zu machen, weil ich mehr über andere Leute von ihm wusste. Damals habe ich nicht mit ihm selbst gesprochen, das ist jetzt ganz anders. Er ist wirklich ein toller Mensch.

Beim Rennen in Bahrain schaffen es beide Lotus-Fahrer aufs Podium, Foto: Sutton
Beim Rennen in Bahrain schaffen es beide Lotus-Fahrer aufs Podium, Foto: Sutton

Jeder scheint eine Meinung über Räikkönen zu haben. Er selbst geht in allen Dingen seinen eigenen Weg - er testet beispielsweise nicht im Simulator, weil er es nicht mag. Lotus scheint das zu akzeptieren. Ist das der Grund, warum er nach seinem Comeback so schnell wieder vorne mitfahren konnte?
Gerard Lopez: Kimi passt einfach zu uns. Bei uns gibt es keine Politik. Es gibt keinen Nummer 1- und keinen Nummer 2-Fahrer. Wir verlangen von einem Fahrer zuallererst, dass er gut fährt und dann kommt der ganze Rest. Und auch den ganzen Rest versuchen wir so zu managen, dass es nicht übertrieben ist. Kimi und ich reden auch sehr direkt miteinander. Der letzte Punkt ist, dass bei uns im Team eine super Stimmung herrscht. Das Team ist mehr eine große Familie. Kimi fühlte sich bei uns sofort wohl, aber nicht weil wir ihn so genommen haben wie er ist, sondern weil er so wie er ist, gut zu uns passt.

Lotus fährt derzeit in der Liga von Red Bull, McLaren, Ferrari und Mercedes. Kann Lotus auch finanziell mit diesen Teams mithalten? Schließlich haben Sie bis jetzt noch keinen Titelsponsor...
Gerard Lopez: Wir geben jetzt nicht viel weniger oder mehr aus, als wir das vorher getan haben. Wir haben einfach die richtigen Entscheidungen getroffen. Wir haben weiterhin ins Werk investiert. Mittelmaß oder nur irgendwie in der Formel 1 mitzufahren, ist nicht unser Ding. Es ist nicht die Frage, ob wir finanziell mithalten können, sondern ob wir an der Rennstrecke mithalten können. Da scheinen wir im Moment ganz gut dabei zu sein.

Ehre, wem Ehre gebührt: Kimi Räikkönen wird für Platz drei in der Fahrer-WM geehrt, Foto: FIA
Ehre, wem Ehre gebührt: Kimi Räikkönen wird für Platz drei in der Fahrer-WM geehrt, Foto: FIA

Welchen Wert stellt die Formel 1 für ihr Unternehmen Genii generell dar?
Gerard Lopez: Es ist kein normales Unternehmen, sondern eher eine Plattform. Die ganzen Unternehmen, die wir haben, werden wie die Formel 1 geschäftlich gehandhabt. Verschiedene Unternehmen sind auch sehr bekannt, wir sagen auch nicht sehr oft, wo wir unsere Hände im Spiel haben. Aber diese Unternehmen sind jetzt nicht das Mega-Highlight, wenn es um Medienberichterstattung geht. Die Formel 1 ist hingegen sehr medienträchtig und von daher ist es für uns eine super Plattform. Aber die Formel 1 definiert nicht unsere Geschäfte. Wir haben um die 60 Beteiligungen in verschiedenen Firmen, die Formel 1 ist eine davon. Von außen betrachtet, ist die Formel 1 natürlich ein Unternehmen, das jeder sieht und kennt, aber auf keinen Fall definiert uns die Formel 1.

Ist ein Formel-1-Team aus Ihrer Sicht ein ganz normales Unternehmen oder gelten in der Formel 1 doch andere Spielregeln als in der Wirtschaft?
Gerard Lopez: Zum Teil sind es die gleichen, nur auf zwei Ebenen gelten andere Spielregeln. Erstens ist es emotional. Normalerweise arbeitet nicht die ganze Firma an einem Sonntag, wo es ums Gewinnen oder Verlieren geht. Das bringt natürlich starke Emotionen - und wir sind im Team alle sehr emotional gebunden. Das ist vielleicht der große Unterschied. Zweitens ist das F1-Feld sehr klein. Es gelten hier zum Teil die gleichen Regeln wie in der Wirtschaft, nur alles passiert schneller, persönlicher und auf geringem Raum. Es ist ein bisschen wie ein Kondensat von dem, was man von außen kennt.

In der Konstrukteurswertung landet Lotus auf Rang fünf, Foto: Sutton
In der Konstrukteurswertung landet Lotus auf Rang fünf, Foto: Sutton

Hinter den Kulissen wird fleißig am neuen Concorde Agreement gearbeitet. Ein Streitfaktor ist dabei immer wieder das Budget - eine mögliche Obergrenze.
Gerard Lopez: Wenn Geld im Mittelpunkt steht, dann gibt es immer Diskussionen, Streit oder was auch immer. Ich befürworte eine Obergrenze, aber ich würde keine Zahl nennen. Das wäre falsch. Wenn man sich einigen könnte, dann wäre ich für eine Obergrenze.

Was macht für Sie persönlich die Faszination Formel 1 aus?
Gerard Lopez: Für mich ist es ziemlich einfach. Ich mag Autos. Ich mochte von klein auf Rennen. Wenn ich ein bisschen Zeit habe, dann setze ich mich auch selbst hinters Lenkrad. Von Zeit zu Zeit fahre ich GT-Rennen. Für mich ist die Formel 1 die höchste Klasse des Motorsports. Das beinhaltet Faszination, was Technik, Performance und Logistik angeht. Das ist schon das Maximale. Wenn man Motorsport liebt, kann man auch die Formel 1 nur lieben.

Wenn Sie selbst Rennen fahren, lautet dann die Devise "Dabei sein ist alles" oder "Vorne dabei sein, ist alles"?
Gerard Lopez: Nein, nein! Wenn ich ein Rennen fahre, will ich schon vorne dabei sein.

Eric Boullier ist mit seinen Piloten zufrieden, Foto: Sutton
Eric Boullier ist mit seinen Piloten zufrieden, Foto: Sutton

Mit welcher Platzierung am Ende des Jahres wären Sie in der Konstrukteurswertung zufrieden?
Gerard Lopez: Nach wie vor wollen wir Vierter werden, unabhängig davon, wo wir jetzt stehen. Das heißt nicht, dass wir nicht mehr alles geben werden, wenn wir Zweiter oder Dritter sind. Wir werden sicher versuchen, die Position zu verteidigen, aber wir haben ein Programm abzuspulen. Das Programm heißt, 2012 mindestens Vierter zu werden. Platz vier wäre okay, Platz fünf wäre eine Mega-Enttäuschung, weil wir auf dieser Position schon im Vorjahr waren. Alles über Platz vier hinaus wäre positiv.

Wann glauben Sie ist das Team bereit, um die WM mitzukämpfen?
Gerard Lopez:Wir möchten ab 2014 um die WM mitfahren. Alles, was schneller kommt, werden wir natürlich nehmen. Aber mitfahren, heißt nicht gewinnen, sondern zu wissen, dass wir ein Gesamtpaket haben, das uns erlaubt, an der Spitze zu fahren. Wir unternehmen alles, um es an jedem Sonntag hinzubekommen, aber wir wollen uns auch die Zeit geben, um das aufzubauen.

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