Wie bereits im Vorjahr zeigte Force India 2012 zwei Gesichter. Zu Beginn der Saison fuhr das indische Team der Konkurrenz hinterher und hatte zwischenzeitlich sogar Probleme sich für Q2 zu qualifizieren. Im Laufe des Jahres entwickelte sich der Rennstall jedoch zu einem sicheren Punktekandidaten. 46 Punkte und vier Nullrunden aus den ersten elf Rennen, stehen 63 Zählern gegenüber, die Nico Hülkenberg und Paul di Resta in der zweiten Saisonhälfte einfuhren. Dass Force India bei den letzten neun Grands Prix jeweils in die Punkte fuhr, unterstreicht die positive Entwicklung in der zweiten Jahreshälfte.

Der Traum vom Rennsieg: So ging er dahin, Foto: Sutton
Der Traum vom Rennsieg: So ging er dahin, Foto: Sutton

Beim Saisonfinale in Brasilien gelang Force India sogar fast noch der große Wurf. Für zwei Drittel des Rennens sah es so aus, als könnte Hülkenberg den Chaos-Grand-Prix in Interlagos gewinnen oder zumindest den Sprung aufs Podium schaffen. Doch eine Safety-Car-Phase, ein Crash mit Hamilton und eine etwas fragwürdige Durchfahrtsstrafe machten den Traum des indischen Rennstalls zunichte: Hülkenberg überquerte die Ziellinie schließlich als Fünfter. Dennoch: Im Vergleich mit den anderen Mittelfeld-Teams - Mercedes, Sauber, Williams - hinterließ Force India zum Ende des Jahres den mit Abstand besten Eindruck.

Team: Seit Vijay Mallya die Zügel beim früheren Spyker-Rennstall in die Hand genommen hat, gab es in jedem Jahr eine Steigerung. 2012 fällt die Bilanz allerdings nicht ganz so eindeutig aus wie in den Vorjahren. Bei den Punkten gab es zwar erneut eine Verbesserung - von 69 auf 109 Zähler -, dafür ging es in der Team-WM erstmals einen kleinen Schritt zurück: vom sechsten auf den siebten Platz. Das Engagement des indischen Geschäftsmanns ist für das Team aber auch weiterhin Gold wert: Die Mallya-Millionen erlauben Force India, bei der Fahrerwahl ausschließlich nach dem Leistungsprinzip zu entscheiden. Eine Tatsache, die in der lukrativen Teamwertung des Jahres 2012 zumindest einen Platz - sprich: mehrere Millionen - wert war.

Ein weiterer Pluspunkt der Truppe aus Northamptonshire ist die gute technische Basis. Die Entwicklungsabteilung, geleitet vom früheren BAR-Mann Otmar Szafnauer, wartete 2012 mit einem konkurrenzfähigen Auto auf. Einen Beitrag dazu leistete sicherlich das gute Netzwerk. Der Motor kommt von Mercedes, auf technischer Ebene arbeitete Force India weiterhin mit McLaren zusammen, selbst wenn die Kooperation mit dem britischen Team in den letzten beiden Jahren nur noch auf Sparflamme kochte.

Für die Zukunft ist Force India ebenfalls gut aufgestellt: Die Sorge, dass Mallya den Geldhahn nach der Pleite seiner Fluglinie Kingfisher Airline zudreht, stellte sich als unbegründet heraus. Der Teambesitzer kündigte an, dass er seinem Rennstall im kommenden Jahr rund 50 Millionen Pfund (61,5 Millionen Euro) zur Verfügung stellen will. Zudem besitzt das Team mit Sahara India Pariwar einen weiteren solventen Partner.

Auto: Ein Wunderwerk ist der Technik-Abteilung von Force India mit dem VJM05 sicherlich nicht gelungen, dafür aber ein grundsolides und vor allem zuverlässiges Auto. Die Force-India-Fahrer kamen zwar nur selten für einen Spitzenplatz, dafür eigentlich immer für ein Top-10-Finish in Frage. Probleme gab es vor allem in der ersten Saisonhälfte. Neben der schlechten Balance und der mangelnden Traktion kristallisierte sich der überbordende Verschleiß an den Hinterreifen als größter Schwachpunkt heraus. Und es dauerte zu lange, bis das Update, das vor dem Europa-Auftakt in Barcelona vorgenommen wurde, zum Laufen gebracht wurde.

Wirklich aufwärts ging es paradoxerweise erst nach dem Entwicklungsstopp im August. Force India verstand das Auto von Rennen zu Rennen besser und wurde in der zweiten Saisonhälfte kontinuierlich stärker. Vor allem den immensen Reifenabbau bekam das Team immer besser in den Griff. "Wir sind viel sicherer geworden, die Reifentemperaturen zu kontrollieren", erklärte Hülkenberg seinerzeit. "Man glaubt gar nicht, wie viel sich durch Feintuning und das richtige Setup rausholen lässt." In der Tat: Beim Brasilien Grand Prix war Hülkenberg jederzeit in der Lage, den Speed der Spitze mitzugehen. Auch di Resta wäre ohne seinen Abflug kurz vor Rennende sicher unter den ersten Zehn gelandet.

Fahrer: Die beiden Piloten waren im Jahr 2012 das große Kapital von Force India. Nur dank der konstant starken Leistungen von Hülkenberg und di Resta gelang es, das Williams-Team, eigentlich mit einem besseren Auto ausgestattet, in der Konstrukteurs-WM hinter sich zu lassen. Bemerkenswert war vor allem die Performance von Hülkenberg, der das Force-India-Duell nach einem Jahr Formel-1-Abstinenz überraschend deutlich zu seinen Gunsten entschied.

Paul di Resta hatte im Force-India-Duell das Nachsehen, Foto: Sutton
Paul di Resta hatte im Force-India-Duell das Nachsehen, Foto: Sutton

Im Vergleich mit seinem Teamkollegen schnitt der 25-Jährige in fast allen Kategorien besser ab: In der Fahrerwertung schloss er mit Platz elf drei Ränge besser ab als di Resta, das Qualifying-Duell entschied er mit 12:8 zu seinen Gunsten. Zudem landete er häufiger in den Punkten - elf Top-10-Ankünften stehen neun von di Resta gegenüber - und schaffte auch einmal öfter den Sprung in Q3 (6:5) als sein Force-India-Rivale. Kein Wunder, dass das Fazit des Rückkehrers durchweg positiv ausfiel. "Wir hatten noch nie so viele Punkte. Wenn man bedenkt, dass sich Sauber und Williams stark verbessert haben, war es ein gutes und erfolgreiches Jahr. Ich denke, wir können stolz darauf sein, was wir erreicht haben", resümierte er.

Einziger Wermutstropfen für Force India: Spitzenfahrer Hülkenberg greift im kommenden Jahr bei Konkurrent Sauber ins Lenkrad. Böse Worte waren von der Teamführung jedoch nicht zu hören - im Gegenteil. "Nico war einer der Stars dieser Saison. Er hat genau das abgeliefert, was wir von ihm erwartet haben und dem Team sehr geholfen. Er hat eine große Zukunft in der Formel 1 vor sich und wir wünschen ihm alles Gute", sagte Teambesitzer Mallya. Der Vorgänger Hülkenbergs könnte auch sein Nachfolger werden. Adrian Sutil gilt derzeit als Favorit auf ein Steuer bei Force India.

Pro: Aus den Möglichkeiten das Maximum herausgeholt, so lässt sich die Saison von Force India kurz zusammenfassen. Um vor Sauber zu landen, war der Abstand zu Beginn des Jahres zu groß, aber immerhin gelang es dank eines starken Endspurts - Force India sammelte in jedem der letzten sieben Rennen Punkte - noch Williams von Platz acht zu verdrängen. Neben der Zuverlässigkeit zeichnete sich das Auto vor allem dadurch aus, dass es anders als beispielsweise Sauber auf nahezu jedem Streckenlayout konkurrenzfähig war. Gerade die zweite Saisonhälfte sollte die Verantwortlichen zuversichtlich stimmen. Nach den Top-Teams Red Bull, Ferrari, McLaren und Lotus hatte Force India nach der Sommerpause das fünftbeste Auto. Die Perspektive für die kommende Saison ist glänzend: Bei nahezu unverändertem Regelwerk ist der VJM05 eine glänzende Basis für den 2013er-Boliden. Olaf Mehlhose

Contra: Bei Force India zeigte sich dieses Jahr mehr oder weniger das gleiche Bild wie in der Saison zuvor. In der zweiten Saisonhälfte sammelte das Team deutlich mehr Punkte als in der ersten, konnte in jedem Rennen mindestens einen Fahrer unter die Top-10 bringen. Das Manko des Teams: Vijay's Vision, wie die Ausblicke des Teamchefs auf die Rennwochenenden stets betitelt werden, tritt spät ein - zu spät. Wenn Force India in der nächsten Saison die Top-Teams ernsthaft gefährden will, dann muss das Team von Saisonbeginn an bei der Musik sein. Annika Kläsener