Pro: Besseres Auto, mental stärker

von Olaf Mehlhose

Die Mission Hattrick läuft auf vollen Touren: Sebastian Vettel ist auf dem Weg zum dritten Titel nicht mehr aufzuhalten. Neben seiner mentalen Stärke spricht das bessere Auto für den Weltmeister, und auch fahrerisch befindet er sich auf Augenhöhe mit Fernando Alonso. In die Favoritenrolle rückt Vettel aber vor allem die Entwicklung der letzten drei Rennen. In einer Saison, die von Unbeständigkeit geprägt war, gelangen ihm drei Siege in Folge.

Alonso und Vettel schenkten sich auf der Piste überhaupt nichts, Foto: Sutton
Alonso und Vettel schenkten sich auf der Piste überhaupt nichts, Foto: Sutton

Zum Vergleich: Den anderen Spitzenfahrern gelang es nicht einmal, zwei Rennen nacheinander für sich zu entscheiden. Das liegt zum einem an der kontinuierlichen und überaus erfolgreichen Entwicklungsarbeit von Design-Guru Adrian Newey. Der RB8 ist über die Saison gesehen das mit Abstand stärkste Auto im Feld. Schwer vorzustellen, dass sich daran in den vier verblebenden Rennen etwas ändert. Ohne Vettel wäre der Höhenflug von Red Bull aber nicht möglich gewesen.

Der WM-Führende fuhr zuletzt nahezu fehlerlos und war immer zur Stelle, wenn er gefordert war. Mit den Start-Überholmanövern gegen Pastor Maldonado in Singapur und Mark Webber in Korea gelangen ihm zwei extrem wichtige Positionsgewinne. Alonso mag über die Saison gesehen der etwas komplettere Fahrer gewesen sein, allerdings handelt es sich dabei um Nuancen. Und: Über eine schnelle Runde ist Vettel sogar einen Tick stärker einzuschätzen als sein Widersacher.

Die Psyche spricht ebenfalls für den Titelverteidiger. Wie kein anderer Fahrer im Feld kann Vettel alles andere ausblenden und sich einzig auf das anvisierte Ziel - den Titel - konzentrieren: siehe 2010. Als Alonso vor einigen Wochen meinte, für ihn sei Lewis Hamilton der Hauptkonkurrent, ließ sich der 25-Jährige davon nicht aus der Reserve locken. Im Gegenteil: Anstatt auf die Provokation des Spaniers zu reagieren, ließ Vettel Taten, sprich Rennsiege, sprechen und schaffte innerhalb kürzester Zeit den Sprung an die Spitze des Fahrerfeldes.

Alonso hingegen wirkte zuletzt lange nicht mehr so souverän wie noch zur Saisonmitte. Vettel scheint der einzige Fahrer zu sein, der den sonst so abgeklärten Ferrari-Piloten aus der Fassung bringt. Die wiederholten Beschwerden, Vettel habe ihn geblockt oder von der Strecke gedrängt, beweisen, unabhängig von der Schuldfrage, dass ihn der Red-Bull-Pilot nicht kalt lässt. Wie auch: Vettel hatte bereits beim Saisonfinale 2010 die besseren Nerven und scheint auch diesmal der mental Stärkere zu sein.

Contra: Vettel hat keinen Plan B

von Frederik Hackbarth

Dass Vettel heuer mit einem knappen Vorsprung in den Titelkampf gehen könnte, wird ihm nicht entgegenkommen. 2010 war er es, der von hinten angreifen konnte und der Heppenheimer machte sich alle Vorzüge der Rolle des Underdogs zunutze. 2011 hatte er das Problem ob der Überlegenheit Red Bulls schlichtweg nicht. Dieses Jahr ist die Rechnung jedoch schon etwas schwieriger: Mit den Pirelli-Pneus ist nichts mehr sicher, Überraschungen sind nie ausgeschlossen. Passiert etwas Unvorhergesehenes und muss Vettel im Rennen von hinten aufholen, macht er Fehler, seine Paradedisziplin ist das nicht.

Zwei große Rivalen, Foto: Sutton
Zwei große Rivalen, Foto: Sutton

Ein Vettel-Sieg nach einer großen Aufholjagd? Das fehlt noch in der Vita des Heppenheimers. Genau ein solcher Plan B wäre im Endspurt um die abwechslungsreiche Meisterschaft 2012 aber wichtiger denn je. Vettel fährt nicht nur gegen Alonso, er ist jetzt der Gejagte: McLaren, Lotus und Massa haben nur noch ein Ziel: ihn schlagen. Schiefgehen darf da gar nichts. Gibt es wieder einmal Probleme am Red Bull - Stichwort Lichtmaschine - steht er mit dem Rücken zur Wand. Der Druck, sich zu verteidigen, ist ein anderer als der, überholen zu müssen.

Vettels Stärke ist es, ein Rennen von vorne aus zu dominieren - eine blitzsaubere Qualifying-Runde nach der anderen abspulen, den Abstand auf die Verfolger in den ersten Runden schnell so ausbauen, dass es reicht, um aus dem DRS-Fenster zu entschwinden und dann kontrollierte Attacke auf immer schnellere Rundenzeiten - so sieht fast jeder Vettel-Sieg aus. Sein Vorteil: Die Retortenkurse aus der Feder von Herman Tilke unterstützen diesen 'Playstation-Stil' - fast alles lässt sich haargenau vorausberechnen, auf den klinischen Pisten unterscheiden sich die Simulationen kaum noch von den Rennen und andersherum.

Mit Indien, Abu Dhabi und Texas stehen drei dieser Kurse unmittelbar vor der Tür. Addiert man die aktuelle Form des RB8 hinzu - das Auto war zuletzt mehr als eine halbe Sekunde schneller als die Konkurrenz - spricht faktisch viel für Vettel. Blickt man jedoch auf den bisherigen Saisonverlauf, wird auch klar: Genau diese scheinbare Überlegenheit ist trügerisch, sie birgt Gefahren. Schafft es Ferrari, im Wettrüsten doch noch einmal die Oberhand zu gewinnen, hat Red Bull vor allem eines nicht mehr: Zeit, um zu antworten.

Alonso zu unterschätzen wäre falsch. Der Spanier fährt vielleicht die Saison seines Lebens, selbst von Ex-Rivale Hamilton wurde er als verdienter Champion des Jahres ausgemacht. Der Hunger auf den ersten Ferrari-Titel ist so groß wie nie. Vor der Saison war die Scuderia schon abgeschrieben, der F2012 galt gemeinhin als Riesenflop. Wenngleich in Malaysia widrige Bedingungen halfen, war es doch schon im zweiten Saisonrennen soweit und Ferrari gewann völlig überraschend.

Anschließend gab man keine Ruhe und rüstete in einem Tempo nach, wie es wohl kaum einer für möglich gehalten hätte. Nachrüsten, das steht auch seit einigen Rennen wieder ganz oben auf der Prioritätenliste von Domenicalis Mannen. Als Vorbild dient Teil eins der aktuellen Saison: Konnten sie die mehreren Sekunden Rückstand am Anfang des Jahres scheinbar so spielerisch leicht pulverisieren, sollte es ihnen auch jetzt gelingen, das Blatt erneut zu wenden.