Zunächst einmal sei der jährlich zu hörende Tenor wiederholt: Melbourne ist eine atypische Rennstrecke, auf der nicht die Qualitäten eines Formel-1-Autos zählen, die normalerweise gefordert sind. Wer über eine schlechte Aerodynamik verfügt, kann durch gute Traktion diese Schwäche in Australien zumindest halbwegs überdecken. Dennoch lassen sich erste Schlüsse ziehen, wer bei den Testfahrten geblufft hat und wer dort bereits alles zu zeigen wagte.

Bei der Frage, wer das schnellste Auto hat, muss ganz klar McLaren genannt werden. Überraschenderweise ist das Auto, mit dessen Charakteristik die Ingenieure bewusst gegen den Strom geschwommen sind, das schnellste Auto down under gewesen. So groß wie in der Qualifikation, als Hamilton zwischenzeitlich sieben Zehntel vor allen anderen lag, ist der Abstand jedoch nicht. Im Qualifying waren die Mercedes, im Rennen die Red Bull sehr nahe dran. Und Jenson Button war im Albert Park schon immer stark.

Die Leistung von Red Bull war im Rennen stärker als es zunächst im Qualifying den Anschein machte. Wenn man den Aussagen von Dr. Helmut Marko Glauben schenken darf, dass Vettels Fahrzeug nicht gut abgestimmt gewesen ist, schlummert hier noch mächtig Potenzial. Überraschenderweise hat sich die Qualistärke aus dem Vorjahr in eine Schwäche verwandelt. Möglicherweise war das Qualifying aber auch schlicht ein Ausrutscher.

Flexiflügel ade?

Die Hoffnung währte nur kurz: Im Renntrimm konnte Mercedes noch nicht ganz Schritt halten, Foto: Sutton
Die Hoffnung währte nur kurz: Im Renntrimm konnte Mercedes noch nicht ganz Schritt halten, Foto: Sutton

Red Bull kann sich nun in Malaysia auf eine Strecke konzentrieren, die den aerodynamischen Qualitäten des RB8 entgegen kommen sollten. Es wird spannend zu sehen sein, ob McLaren in diesem Bereich ausreichend aufgeholt hat, um Red Bull auf aerodynamisch anspruchsvollen Strecken herausfordern zu können. Einem Trick scheinen die Regelmacher auf die Schliche gekommen zu sein: Der Frontflügel verbog sich am RB8 nicht mehr so sehr wie noch 2011.

Das große Rätsel bleibt Mercedes. Nach einer sehr starken Qualifying-Performance waren die Silberpfeile im Rennen zu langsam, nahmen die Reifen zu hart ran und erwiesen sich im Falle Schumachers auch noch als unzuverlässig. Mit keinem dieser drei Probleme waren die Sternenkrieger während der Wintertestfahrten konfrontiert. Vor allem der hohe Reifenverschleiß sollte zu denken geben, denn nun folgt mit Malaysia eine der reifenmordendsten Strecken überhaupt im Kalender.

Während Silber im Rennen enttäuschte, zeigte Rot in Anbetracht der Leistungen bei den Testfahrten und in den Trainingssitzungen zumindest im Falle von Fernando Alonso eine ansprechende Leistung. Der Spanier wuchs wieder einmal über sich hinaus und klassierte den Ferrari auf einer Position, wo das Fahrzeug vom Speed her eigentlich gar nicht hingehört. Entwarnung kann aber erst gegeben werden, wenn Ferrari diese Leistung in Malaysia bestätigen kann. Es ist gut vorstellbar, dass sich erst dort die Schwächen des F2012 zeigen werden.

Starke Vorstellung von Sauber

Eng geht es zu im Mittelfeld, Foto: Force India
Eng geht es zu im Mittelfeld, Foto: Force India

Nach den Wintertests war zu erwarten, dass Lotus stark sein würde. Der dritte Startplatz von Romain Grosjean übertraf dann aber alle Erwartungen. Aus welchem Grund auch immer versäumte es das Team, Kimi Räikkönen auf weichen Reifen in Q1 herauszuschicken, Resultat P18, doch der Finne rehabilitierte sich im Rennen. Durch die harten Zweikämpfe im Mittelfeld konnte er das wahre Potenzial des Fahrzeugs nur selten zeigen. Die Rundenzeiten bei freier Fahrt waren durchaus sehenswert. Grosjean bekam unterdessen nicht die Chance, sich zu beweisen, da er früh ausfiel.

Ebenfalls zu den positiven Überraschungen zählt das Sauber-Team. Nachdem die Schweizer Truppe in den vergangenen Jahren bei den Wintertests immer wieder aufhorchen ließ, in den Rennen dann aber diese Performance nicht abrufen konnte, waren die Glanzlichter bei den diesjährigen Testfahrten durchaus aussagekräftig. Vom reinen Speed her ist Sauber in Australien gut genug für den fünften Platz gewesen. Die Frage ist jedoch: Können Sauber und Lotus die starke Performance auch durch die Saison bringen? Auch im Vorjahr waren beide Teams gut gestartet, sind aber im Laufe der Saison immer weiter zurückgefallen.

Zu den Enttäuschungen zählt zweifellos Force India. Nach einer Tagesbestzeit im Winter war das Team von Vijay Mallya zusammen mit Lotus der Geheimfavorit. Doch die Vorstellung erinnerte an die vergangenen Jahre: Nach einem starken Saisonabschluss war der Start in die neue Saison wieder einmal nicht überzeugend. Das Highlight bleibt der zweite Platz von Hülkenberg im zweiten freien Training. Zwar schaffte es der Deutsche auch ins Q3 und Paul di Resta holte im Rennen noch glücklich einen Punkt, doch von den Leistungen bei den Testfahrten war Force India weit entfernt.

Williams sensationell

Die starke Vorstellung von Maldonado wurde nicht mit Punkten belohnt, Foto: Sutton
Die starke Vorstellung von Maldonado wurde nicht mit Punkten belohnt, Foto: Sutton

Auch Toro Rosso hat bei den Wintertests besser ausgesehen als im Rennen. In der Schlussphase brillierten Daniel Ricciardo, der ein fantastisches Rennen mit einem in Kurve 1 beschädigten Auto fuhr, und Jean-Eric Vergne, der sich für sein erstes Formel-1-Rennen auch nicht verstecken braucht, durch die weiche Reifenmischung. Von allen Mittelfeldteams haben die Jungbullen vermutlich noch das größte Steigerungspotenzial. Man darf gespannt sein, was das frühere Minardi-Team in Malaysia reißen kann.

Die Sensation überhaupt ist jedoch Williams, auch wenn das Team punktelos blieb. Das Personalroulette scheint sich ausgezahlt zu haben und der FW34, der unter der Leitung von Mike Coughlan entwickelt wurde, entpuppte sich zumindest im Falle Maldonado als Goldgriff für Melbourne. Doch ähnlich wie bei Ferrari müssen die Lobeshymnen noch warten; erst in Sepang wird sich zeigen, ob der Williams des Jahrgangs 2012 auch aerodynamisch mit der Konkurrenz mithalten kann; ein Punkt, an dem es oft beim Traditionsteam haperte.

Am Ende des Feldes gibt es nicht viel Neues zu berichten. Caterham scheint der Anschluss ans Mittelfeld doch nicht gelungen zu sein, zusätzlich muss nun binnen weniger Tage die gebrochene Lenkstange untersucht werden. Nur wenn ausgeschlossen werden kann, dass so ein Defekt noch einmal vorkommt, wäre ein Start in Sepang zu verantworten. Performancetechnisch blieb der erhoffte Sprung ins Mittelfeld aus, Caterham fuhr in Australien im Niemandsland. Möglicherweise kann Timo Glock das Team von Tony Fernandes ein wenig ärgern, wenn Marussia den MR01 verstehen lernt.

Unterirdische Leistung von HRT, Foto: Sutton
Unterirdische Leistung von HRT, Foto: Sutton

Jedenfalls war die Leistung des ehemaligen Virgin-Teams beachtlich. Mit einem Auto, das nie getestet wurde, zeigte Timo Glock eine ansprechende Leistung. Die Frage ist nun, wie viel Potenzial noch im MR01 steckt. Im Qualifying fehlten zwei Sekunden auf Caterham, doch bei dem großen Testrückstand könnte das wettzumachen sein. Der 14. Platz im Rennen könnte in der Teamwertung noch einmal wichtig werden.

Ein Kommentar zu HRT erübrigt sich nahezu. Seit Colin Kolles das sinkende Schiff verlassen hat, scheint nichts mehr zu funktionieren. Es ist fraglich, ob das mittlerweile zu 100 Prozent spanische Team es überhaupt bei einem Rennen schaffen wird, die 107-Prozent-Regel zu erfüllen. Die Zukunft des Rennstalls, der Angaben Kolles' zufolge in völlig ungeeignete Hallen umgezogen ist, ist ungewisser denn je. In sportlicher Hinsicht gibt es noch die Hoffnung, dass ähnlich wie Marussia noch Potenzial im Fahrzeug steckt, das zuvor nicht getestet worden war.