Schluss mit aussagelosen Testzeiten und Rätselraten: ab dem kommenden Freitag startet die Formel 1 endlich in die neue Saison. Beim Australien GP müssen die Teams sprichwörtlich die Hosen herunterlassen und es wird sich zeigen, wer denn nun die Nase nach dem Winter vorn hat. 2012 verspricht ein Jahr der Superlative zu werden, denn noch nie umfasste der Rennkalender 20 Läufe und nie zuvor tummelten sich sechs Weltmeister in der Startaufstellung.

Mit Sebastian Vettel, Jenson Button, Lewis Hamilton, Fernando Alonso, Kimi Räikkönen und Michael Schumacher geht geballtes Siegpotential im Albert Park an den Start. Der Red-Bull-Star gilt allgemein als Top-Anwärter auf den ersten Sieg der Saison, allerdings vermeiden die meisten Beobachter den Begriff der Dominanz. "Grundsätzlich ist derjenige, der den Titel im Jahr zuvor gewinnt, gewöhnlich unter den Favoriten für die nächste Saison", wie es der Heppenheimer zurückhaltend formulierte.

Auf den angeblasenen Diffusor, der Red Bull 2011 einen immensen Startvorteil brachte, muss die Truppe aus Milton Keynes diesmal verzichten. Stattdessen präsentierte Adrian Newey bei den abschließenden Testfahrten in Barcelona ein aufwändiges Update-Paket für den RB8 samt neuer Flügel und veränderter Abgaslösung. Das neue Auto hinterließ während der Tests einen guten Eindruck bei den Longruns, auf Zeitenjagden verzichteten Vettel und Mark Webber. Da das Team aufgrund von Kinderkrankheiten etwas mehr Zeit in der Box verbrachte als geplant, wirkte der RB8 nicht gänzlich souverän.

Einen offensichtlichen Geniestreich bei Neweys neuester Kreation konnte man bislang noch nicht ausmachen. Grund genug, dass die meisten in diesem Jahr McLaren auf Nasenhöhe mit den Bullen sehen. Als einziges der Top-Teams verzichtet die Mannschaft beim MP4-27 auf die Schnabeltier-Front und nach den Test-Sessions wirkte es nicht, als ob der Chrompfeil im Nachteil sei. Vor allem das Fahrer-Duo gilt als Stärke der Briten. "Hamilton und Button ergänzen einander, eine ideale Kombination", meinte etwa Gerhard Berger. "Hamilton ist der Draufgänger, unberechenbar, mit einem wahnsinnigen Speed. Er macht in entscheidenden Momenten Fehler. Button ist zwar nicht so schnell, fährt aber seine Erfolge sehr überlegt und strategisch ein."

Hamilton wurde während der Vor-Saison nimmermüde zu betonen, dass er sein Leben nun im Griff habe und sich ausschließlich auf den Sport konzentrieren wolle. Allein der Anschein eines geläuterten Hamilton lässt die Sieges-Quoten bei den Buchmachern sinken. Anders Ferrari: wer in Melbourne auf einen Sieg der Scuderia tippt und damit Recht behält, dürfte sich über ein hübsches Sümmchen freuen können. In Maranello brennt es kurz vor dem Saisonstart an allen Ecken und Enden. Grund ist der komplett überarbeitete F2012.

Wie schnell ist der F2012 in Melbourne?, Foto: Sutton
Wie schnell ist der F2012 in Melbourne?, Foto: Sutton

Hatte Luca di Montezemolo kurz nach der Präsentation der aggressiven Göttin noch von einer roten Saison gesprochen, klangen seine Worte knapp einen Monat später etwas anders. "Ich will wissen, warum wir uns in dieser Lage befinden, und noch viel wichtiger ist es mir, dass wir schnell die notwendigen Änderungen herbeiführen", polterte der Ferrari-Boss nach den unbefriedigenden Test-Resultaten. Die Ferrari-Spitze um Stefano Domenicali gab offenherzig Probleme beim Verständnis des neuen Autos zu und Fernando Alonso beharrte bereits darauf, dass Australien nur eines von 20 Rennen sei und erst am Ende abgerechnet wird. Warum taucht das strauchelnde Ferrari trotzdem in der Favoriten-Vorschau auf? Weil Maranello wie kaum eine andere Fabrik über Ressourcen verfügt, um ein Auto kurzfristig schnell zu machen. Das klappte schon 2011 bei McLaren. Ob die Truppe um Pat Fry den F2012 angesichts der zahlreichen Baustellen rechtzeitig in den Griff bekommen hat, ist allerdings nicht abzusehen. Abschreiben sollte man die Italiener allerdings in keinem Fall.

Von der Liste der potentiellen Sieger in Melbourne sollte man gleichzeitig Kimi Räikkönen nicht streichen. Lotus beendete den Winter mit insgesamt vier Bestzeiten als Test-Weltmeister. Doch wie in jedem Jahr gilt: niemand kann genau sagen, welche Programme die Teams fuhren und wie viel Benzin die Boliden geladen hatten. Außerdem büßte Lotus aufgrund von Chassis-Problemen wertvolle Testzeit ein. Räikkönens Talent und Speed sind allerdings unbestritten und Lotus konnte bereits im vergangenen Jahr einen Podiumsplatz in Australien verbuchen. "Wir könnten Letzter oder Erster sein - schauen wir, wenn wir dort sind", gab sich der Iceman gewohnt wortkarg.

Bliebe noch Mercedes im Reigen der Top-Teams, denen Siegchancen beim Saisonstart eingeräumt werden. "Mercedes ging einen anderen Weg. Für mich ist das Auto das innovativste von allen und es sieht aus als würde der F-Kanal-Mechanismus gut funktionieren", lobte Niki Lauda den neuen Silberpfeil, durch den sich Ross Brawns Mannschaft einen Schritt nach vorn erhofft. Doch mit Hoffnung gewinnt man keine Rennen und so brachte es Michael Schumacher treffend auf den Punkt: "Endlich hat die Kaffeesatzleserei während der Testfahrten ein Ende und es gibt wieder Racing."

Zum Abschluss noch ein kleiner Griff in die Statistik-Kiste: in der Zeit von 2000 bis 2011 wurden die Sieger des Großen Preis von Australien anschließend neun Mal Weltmeister. Wenn das kein Ansporn ist.