Der Druck auf den Flügeln des neuen Mercedes ist enorm - nicht nur bei der rasanten Kurvendurchfahrt und den Belastungstests der FIA, sondern vor allem unter den Argusaugen der Medien. Der silberne Traum ist seit Anfang 2010 unverändert: "Michael soll wieder siegen", verrät Ross Brawn, "und Nico sein erstes Rennen gewinnen." Der neue F1 W03 ist in Nico Rosbergs Augen jedoch noch nicht ganz soweit. "Aber wir könnten die Top-Teams durchaus ärgern."

Spitz ist die Nase des Silberpfeils mit der ebenso markanten wie ulkigen Stufennase schon einmal. Ob Rosberg und Michael Schumacher damit in dieser Saison auch ins Schwarze treffen, bleibt abzuwarten - die ersten Anzeichen waren zumindest besser als in den vergangenen beiden Jahren.

"Man will immer ein siegfähiges Auto haben, und ich sehe keinen Grund, warum dieses es nicht sein sollte", gab sich Brawn überzeugt. "Ich bin mir sicher, dass sie im Vergleich zum vergangenen Jahr besser sind, wo sie ja wirklich schrecklich hinterher fuhren", sagt Christian Danner. "Ich glaube aber nicht, dass sie an Red Bull und McLaren herankommen - vielleicht an Ferrari."

Das Team Stein für Stein setzten Ross Brawn und Norbert Haug im Mercedes-Baukasten aufeinander. Die Aufrüstung brachte Verstärkungen auf allen Ebenen mit sich, die bekanntesten Gesichter darunter sind der ehemalige Ferrari-Technikchef Aldo Costa und Brackley-Rückkehrer Geoff Willis. Angesichts des Ingenieurs-Starensembles befürchtete Ex-F1-Teamchef Eddie Jordan im Motorsport-Magazin sogar einen von zu vielen Köchen verdorbenen Brei - doch Brawn & Co beschwichtigten, alle Neuzugänge würden sich perfekt ergänzen und hätten ihre eigenen Fachgebiete.

Abseits des Personalzuwachses verzeichnete Mercedes im Winter auch einige namhafte neue Sponsoren und Partner. Die Integration der Mercedes Performance-Marke AMG in den Teamnamen soll zudem nicht nur kosmetische und marketingtechnische Vorteile bringen, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen der Chassisfabrik in Brackley, der Motorenfabrik in Brixworth und den AMG-Experten zum Ausdruck bringen, vor allem im Hinblick auf künftige KER-Systeme und Motoren.

Der neue Silberpfeil lief bei den Tests wie ein Uhrwerk, Foto: Sutton
Der neue Silberpfeil lief bei den Tests wie ein Uhrwerk, Foto: Sutton

Die Fahrer Das Fahrerduo bleibt auch im dritten Jahr des Werksteams unverändert: Nico Rosberg und Michael Schumacher nehmen erneut Anlauf, den ersten Sieg eines reinrassigen Silberpfeils in der Neuzeit zu erzielen. Ganz besonders Rosberg hat sich seinen ersten GP-Triumph ins Lastenheft geschrieben: "Wenn ich das richtige Auto bekomme, bei dessen Aufbau ich selbst helfen kann, dann werde ich gewinnen."

In den vergangenen beiden Saisons hatte Rosberg seinen erfahrenen Teamkollegen vor allem im Qualifying fest im Griff - der Stand von 30:8 im Quali-Duell spricht eine deutliche Sprache. Dennoch war Schumacher gerade im Rennen immer wieder einen Tick besser unterwegs als Rosberg. "Es wird immer hart und eine Herausforderung", so Rosberg. "Ich bin aber zuversichtlich, dass ich auch dieses Jahr vor Michael sein kann."

Das Auto Groß war der Aufschrei, als Mercedes bereits im Dezember 2011 bekannt gab, dass der neue Silberpfeil das Licht der Welt erst beim zweiten von gerade einmal drei Wintertests erblicken würde. Ist das Team im Verzug? Will Mercedes eine Geheimwaffe vor den neugierigen Augen der Konkurrenz verstecken? Das Team beschwichtigte: es gibt keinen Grund zur Sorge - weder für die eigenen Fans, die sich vor Problemen fürchteten, noch für die Medien und Konkurrenten, die spektakuläre Tricksereien erwarteten.

Am Ende war alles halb so wild: der F1 W03 debütierte zwar erst beim ersten Barcelona-Test, kam dort allerdings schon mit etlichen Kilometern von Filmaufnahmen und einem - von den anderen Teams genehmigten - Privattest an den Circuit de Catalunya. Dort erwies er sich als äußerst zuverlässig, drehte im Durchschnitt die meisten Runden aller Neuwagen und hinterließ auch auf die Distanz gesehen einen guten Eindruck, teilweise auf dem Niveau von McLaren.

Das KERS und der V8-Motor im Heck des Silberpfeils gelten auch weiterhin als das Maß der Dinge in der Formel-1-Welt. Nun soll auch die Aerodynamik nachziehen, obwohl sie noch nicht in den Sphären eines Adrian Newey angelangt ist. Trotzdem machte schon vor dem Shakedown des F1 W03 das Gerücht von einem Wunderfrontflügel mit integriertem F-Kanal die Runde. Nach den Testeindrücken benannte Helmut Marko die große Innovation so: "Sie haben ein System, das mit der Betätigung von DRS auch einen F-Kanal öffnet - das können wir bis Melbourne nicht nachbauen."

Saisonziel: Podestplätze und der erste Sieg

Nico Rosberg peilt den ersten GP-Sieg an, Foto: Sutton
Nico Rosberg peilt den ersten GP-Sieg an, Foto: Sutton

PRO Mit dem F-Kanal im Frontflügel sorgte Mercedes bei den Testfahrten für Gesprächsstoff. Viele hatten bereits über einen Technik-Coup spekuliert, nachdem es hieß, dass Mercedes erst beim zweiten Test mit dem F1 W03 anrückt. Als Coup kann der F-Kanal nicht wirklich bezeichnet werden, vor allem im Vergleich zu seinem angeblasenen Diffusor aus dem Vorjahr. Allerdings hat Mercedes die längere Entwicklungszeit im Windkanal optimal genutzt. Bei den Testfahrten machte der F1 W03 einen guten Eindruck - sowohl in Sachen Speed als auch Konstanz. Das für 2012 gesteckte Ziel - Platz drei in der Konstrukteurswertung - scheint erreichbar. (Kerstin Hasenbichler)

Contra: Selbst bei Mercedes sind alle realistisch genug, um trotz aller Ambitionen immer wieder zu betonen, dass man über einen Winter nicht den Sprung von Rang vier auf Rang eins schaffen kann. Warum also sollte den Team-Mitgliedern widersprochen werden? Der F1 W03 mag ein Sprung nach vorne, das Team an wichtigen Stellen gut ergänzt und die Fahrer stark sein, dennoch ist es schwer vorstellbar, dass McLaren und Red Bull wirklich schon in Reichweite gelangt sind. Selbst Norbert Haug hat erklärt, dass es in der Formel 1 fünf Jahre bis zum ersten Sieg dauern kann, Mercedes geht als Werksteam in sein drittes. Warum sollte man ihm widersprechen? (Falko Schoklitsch)