Eiszeit in Maranello: Der F2012 blieb bislang klar hinter den Erwartungen zurück, Foto: Ferrari
Eiszeit in Maranello: Der F2012 blieb bislang klar hinter den Erwartungen zurück, Foto: Ferrari

Es war ein harter Winter in Maranello, doch mit der alles lähmenden 'Eiszeit' in Europa hatte das wenig zu tun. Gut - die offizielle Präsentation des Autos musste man wegen der schlechten Wetterverhältnisse in Italien kurzerhand verschieben, doch das dürfte den Roten eigentlich entgegengekommen sein, konnte man folglich den Beginn der Suche nach Ausreden noch ein paar Stunden länger aufschieben. Somit fiel die Antrittsrede etwas anders aus: "Wir brauchen ein besseres Auto und dann müssen wir sicherstellen, dass sich die Fehler, die wir letztes Jahr als Fahrer, aber auch als Team gemacht haben, nicht wiederholen", sagte Star-Pilot Fernando Alonso.

"Natürlich haben wir im Eifer des Gefechts auch einige unbesonnene Entscheidungen getroffen und somit Dinge falsch gemacht. Wir haben den Titel verloren, weil unser Auto nicht so schnell war wie das der Konkurrenz. Aber wir haben den Rückstand auf Red Bull verkürzt und unsere Arbeit verbessert - und das werden wir auch weiterhin machen", erklärte Aldo Costa. Moment einmal - Aldo Costa? Ganz richtig - dieser ist schon längst nicht mehr Technikdirektor bei Ferrari, wurde bereits nach dem Großen Preis von Spanien 2011 von seinen Aufgaben im Team entbunden und dockte anschließend bei Mercedes an.

Chancen aufs Podest gering

Dass Costa mit den oben genannten Zitaten trotzdem hier auftaucht, liegt ganz einfach daran, dass es sich um Aussagen handelt, die ein Jahr alt sind und vor dem Saisonstart 2011 getätigt wurden. Was das beweist? 12 Monate später: Wir schreiben das Jahr 2012. Und nichts hat sich geändert? Falsch. Denn die Situation bei Ferrari ist noch viel schlimmer geworden, als sie es damals war. "Wir wollen Weltmeister werden", sage Teamchef Stefano Domenicali seinerzeit. So etwas hört man dieser Tage schon gar nicht mehr - zu groß scheint die Angst, sich total zu blamieren, wenn es in Melbourne dann mit knapper Not für die Top-10 reichen sollte.

Das Resumé nach den vergangene Woche abgeschlossenen Wintertests war gleichsam eindeutig wie negativ. Pat Fry räumte ein: "Ich bin enttäuscht von unserem aktuellen Performance-Level." Von erheblichem Rückstand war die Rede - und davon, dass das Podest zumindest zu Saisonbeginn wohl außer Reichweite sei. Für Ferrari nichts anderes als eine Katastrophe. Alonso fasste sich nach den ersten Eindrücken vom F2012 kurz und knapp. Sein ernüchternder Ausblick auf den Saisonstart: "Wir werden leiden." Ferrari-Chef Luca di Montezemolo läuft es bei solchen Aussagen eiskalt den Rücken herunter. Eigentlich sollte heuer doch alles besser werden?

"Ich hoffe, es stimmt nicht, dass wir zu Saisonbeginn keine Chance auf die vorderen Plätze haben. Allerdings ist Alonso immer sehr objektiv", musste auch Montezemolo konsterniert feststellen. "Sollte es tatsächlich stimmen, würde ich zumindest gerne wissen, wie lange es dauert, bis wir zurückschlagen können", erklärte der Italiener gehörig angefressen gegenüber der Gazzetta dello Sport. Es würde zwar wohl einige Zeit benötigen, diese ans Tageslicht zu befördern, jedoch gäbe es durchaus auch positive Aspekte am Auto, flüchtete sich der 64-Jährige in grenzenlosen Zweckoptimismus.

Mit Nachdruck fügte er an: "Ich will wissen, warum wir uns in dieser Lage befinden. Und noch viel wichtiger ist es mir, dass wir schnell die notwendigen Änderungen herbeiführen." Änderungen? Stichwort personeller Kahlschlag: Floppt die Saison 2012 noch schlimmer als die des Vorjahres, wird - da kann man sich in Maranello sicher sein - aus dem russischen Roulette recht schnell das rote Roulette.

Hektik & Panik

Wenn Fernando Alonso derzeit schnelle Autos sehen will muss er sich an die Strecke stellen und der Konkurrenz zuschauen, Foto: Sutton
Wenn Fernando Alonso derzeit schnelle Autos sehen will muss er sich an die Strecke stellen und der Konkurrenz zuschauen, Foto: Sutton

"Sie müssen um jeden Preis das Rollen von Köpfen vermeiden - eine Reaktion, die bei Ferrari leider typisch ist, wenn die Dinge nicht so laufen wie geplant", hatte Joan Villadelprat, ehemaliger McLaren, Benetton und eben auch Scuderia-Mitarbeiter, nach der Costa-Entlassung bereits vergangenen Sommer festgestellt. Hinzugefügt hatte der Spanier: "Der Druck auf sie ist im Moment brutal. Aber in einem Unternehmen wie Ferrari darf man nicht in Panik verfallen." Nun ist der Druck größer denn je. In den italienischen Medien wird bereits spekuliert, welches leitende Teammitglied als Erstes den Hut nehmen muss. Domenicali? Fry? Lanzone? Marmorini? - Alles Leute, auf deren Schultern die Costa-Aufgaben nach dessen Ausbootung verteilt worden waren.

Doch genau da schließt sich für Ferrari der Teufelskreis. Die Costa-Entlassung war ein Fehler. Das dürfte nun feststehen, denn noch mehr schaden können hätte dieser auch nicht - ganz im Gegenteil aber vielleicht den Impetus geben, der einen wieder ein Stück weit nach vorne gebracht hätte, so wie bereits 2010. Seine Nachfolger sind an dieser Aufgabe scheinbar gescheitert. Montezemolos Problem ist nur: Bald hat er keine Leute mehr zum Entlassen. Wenn alle gehen, wer soll dann nachfolgen? Maranello geht das (noch nicht verheizte) Personal aus, denn auf dem Markt besteht lediglich ein rares Angebot. Hätte man sich beispielsweise einmal rechtzeitig um Sam Michael bemüht - nun ist dieser Zug abgefahren und macht in Woking Station.

Schlechte Zeiten für Italien

Apropos McLaren: Zuletzt war bei Ferrari sogar von derart massiven Umbauten am Chassis die Rede, dass man noch einmal durch den strengen FIA-Crashtest müsse. Für Domenicalis Mannen eigentlich eine Schmach erster Güte, wenngleich es abseits aller Eitelkeiten vielleicht gar nicht so schlecht wäre, die Flucht nun konsequent nach vorne anzutreten. Ein ähnliches Szenario erlebte im Vorjahr McLaren. Nach den schlechten Wintertests schmiss der Rennstall all seine Pläne um und fand binnen zwei Wochen rund eine Sekunde. Wo die Unterschiede zwischen dem genauestens strukturierten und klinisch sauberen Technology Centre im Süden Londons und dem bisweilen hektischen Treiben in der Ferrari-Fabrik zu Maranello begraben sind, sollte allerdings auf der Hand liegen.

Etwas Gutes und einen potenziell großen Profiteur hat das Ganze dann aber doch noch: Felipe Massa. Von seiner diskutablen Personalie sollte schon bald der Druck weichen, denn den bekommt nun die Teamführung ab und das mit voller Breitseite. Ferrari hat im Moment ganz andere Probleme als die Fahrerfrage. Fast scheint es so, als befinde man sich derzeit zurück auf dem Weg in die Neunzigerjahre. Da war doch was? Exakt - es nannte sich graues F1-Mittelfeld, Sieglosigkeit, Durststrecke, kurzum Mittelmaß.

Maranello könnte das diesmal schwer verkraften. Die Tifosi werden derzeit auf eine harte Probe gestellt. Erstmals seit 1969 wird dieses Jahr wohl eine komplette F1-Saison ohne italienischen Piloten stattfinden. Na dann wenigstens das Flaggschiff aufrechterhalten - quasi Italiens letzte Erfolgsbastion im ach so geliebten Motorsport. Doch über Maranello hängen dieser Tage dunkle Wolken. Man braucht wahrlich kein Geschichtsprofessor zu sein, um gewisse Leitsprüche der Historie trotzdem zu bejahen. Einer davon ist: Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder. Domenicali selbst war das Gesicht des Ferrari-Umbruchs nach Todt...