Gerade einmal drei Testtage absolvierte Marussia im Winter - und das mit dem alten Auto. Oder sollte man sagen: Immerhin? Fakt ist: In Barcelona war man dabei immer drei bis vier Sekunden von der Spitze entfernt. Was bleibt, ist eine abermals mehr als ernüchternde Saisonvorbereitung. Beispiel gefällig? Timo Glock spulte im Winter fast viermal so viele Kilometer auf dem Fahrrad ab, wie mit dem Auto. "Es ist natürlich nicht ganz einfach, wenn ich auf dem Rad sitze und mir abends im Internet anschaue, wie die Kollegen ihre Runden drehen - aber so sieht die Situation nun einmal aus", musste der Deutsche ernüchtert feststellen.

Dass Glock dazu gezwungen war, sich außerhalb des Autos auf die Arbeit an seiner persönlichen Fitness zu konzentrieren, lag vor allem an den strengeren Crashtestregeln der FIA, die seit 2012 greifen. So müssen die Teams diese nun bereits vor den Tests erfüllen - Marussia brach das letztendlich das Genick, denn das Team musste das Debüt des MR01 mehrmals verschieben, nachdem man bei den Tests durchfiel. Die drei Tage mit dem Vorjahresmodell waren dann ein Tropfen auf den heißen Stein und selbst dabei gab es Probleme - auf Grund eines Aufhängungsschadens musste man in Spanien zu allem Überfluss vorzeitig abbrechen.

Wirklich zufriedene Gesichter sah man bei der Vorstellung des MR01 nicht, Foto: Marussia F1 Team
Wirklich zufriedene Gesichter sah man bei der Vorstellung des MR01 nicht, Foto: Marussia F1 Team

Das Team: Dabei standen die Vorzeichen eigentlich gar nicht so schlecht. Der große Umbruch war angedacht - zu sehen ist er bisher nicht. Lediglich auf dem Papier sind größere Veränderungen zu erkennen. Aus Virgin Racing wurde Ende 2011 das Marussia F1 Team. Parallel gab man im vergangenen Herbst eine weitreichende Technik-Partnerschaft mit McLaren bekannt, von der man sich einen weiteren Aufschwung erhofft. Vom teilweise fehlgeleiteten Technik-Visionär Nick Wirth trennte man sich, verpflichtete mit Pat Symonds einen namhaften Berater.

Doch die Mittel bleiben limitiert: "Wir sind eben ein kleines Team mit momentan 170 Mitarbeitern. 2012 werden wir noch die 200er Marke knacken, aber die wirklichen Auswirkungen wird man erst am Auto für 2013 erkennen", erklärte Symonds gleich bei seinem Antritt. Verbessern wollte man sich trotzdem und strukturierte die Aerodynamik-Abteilung völlig um. Die CFD-Arbeit und der Windkanal werden nun zusammen genützt, man passt sich folglich den erfolgreicheren Teams an und hält nicht mehr nur stur an riskanten Philosophien fest. Es bestehen also durchaus Gründe zur Hoffnung - wann die gewünschte Besserung jedoch eintreten wird, ist nicht abzusehen.

Wann verliert Glock die Geduld?, Foto: Sutton
Wann verliert Glock die Geduld?, Foto: Sutton

Die Fahrer: Mit der langfristigen Bindung von Timo Glock hat sich Marussia einen großen Gefallen getan - ob das jedoch andersherum genauso gilt, ist mehr als fraglich. Glock ist de facto zu gut für ein Hinterbänklerteam. Doch als einer von fünf Deutschen in der Serie und aus Mangel an Alternativen, bleibt dem Hessen derzeit keine andere Option, will er in der F1 bleiben. Dass er kein leistungsgerechtes Material zur Verfügung gestellt bekommt, birgt jedoch hohes Frustpotenzial. Auch, dass der 29-Jährige das aus den beiden vergangenen Jahren im Team schon gewohnt ist, macht es kaum besser. Wunder kann auch er nicht alleine bewirken.

Als Teamkollege steht Glock mit Charles Pic ein Rookie zur Seite. Auf Hilfe bei der eigentlich so wichtigen Fahrzeugentwicklung kann das Team diesbezüglich nicht hoffen. Zwar hat Pic mit durchaus starken Leistungen in unteren Formelkategorien überzeugt, wurde 2009 Dritter in der Formel Renault 3.5 und letztes Jahr Vierter im F1-Unterhaus GP2 - trotzdem sitzt er vornehmlich auf Grund seines umfangreichen Sponsorenpakets im Auto. Dass ihm nun fast die komplette Vorbereitung seiner ersten Saison fehlt, hat zudem weitreichende Auswirkungen, wie auch Manager Olivier Panis zugab: "Der Anfang wird so natürlich sehr schwierig für ihn. Die Situation ist traurig und frustrierend."

Endlich auf der Strecke: In Silverstone fuhr der neue Bolide die ersten Kilometer, Foto: Marussia
Endlich auf der Strecke: In Silverstone fuhr der neue Bolide die ersten Kilometer, Foto: Marussia

Das Auto: Traurig und frustrierend sind gute Stichwörter, denn den angedachten Sprung nach vorne mag man vom neuen MR01 so gar nicht erwarten. Die Crashtest-Probleme und damit verbundenen, fehlenden Testkilometer, können der Performance des Boliden nur geschadet haben. Ein KERS hat man aus Kostengründen auch 2012 nicht an Bord - der angepeilte Anschluss ans etablierte Mittelfeld scheint so nahezu unmöglich. Immerhin hat das Team das Hauptaugenmerk vorrangig auf die wichtigen aerodynamischen Komponenten gelegt, in der Vergangenheit die klare Achillesferse der britisch-russischen Truppe.

Immerhin optisch macht sich das bezahlt. Marussia verzichtet als bislang einziges Team neben McLaren auf die unansehnliche Stufennase, wirkt so insgesamt aufgeräumter und etwas detaillierter, wenngleich große Finessen vorerst nicht erkennbar sind. Das Auto darf somit getrost als konservativ bezeichnet werden. Symonds bestätigt das: "Für uns ist es nicht an der Zeit, innovativ zu sein. Wenn man so weit von der Spitze weg ist, geht es eher darum, seine Arbeit gut zu machen, sich jeden Bereich anzusehen und Schritt für Schritt zu verbessern. Das ist ein unglaublich langer Weg." Wie dieser ohne Mut und zündende Ideen jedoch erfolgreich beschritten werden soll, bleibt das Geheimnis des Teams.

Saisonziel: Vorletzter

PRO: Obwohl Marussia nicht wie geplant an den Testfahrten teilnehmen konnte, präsentierte das Team am Montag immerhin den neuen MR01. Die ganzen Hoffnungen ruhen auf der technischen Kooperation mit McLaren. Diese soll das Team im dritten Formel-1-Jahr nach vorne bringen. Der Vergleich zu Force India, die ebenfalls diesen Weg wählten, stimmt zumindest positiv. Wirklich weit vorne anzugreifen, dürfte zwar schwierig werden - aber HRT, die ähnlich schlecht in das Jahr 2012 gestartet sind, sollte man erneut im Griff haben. (Marion Rott)

CONTRA: Der Winter sei für Marussia eine lange und frustrierende Zeit gewesen, gab John Booth angesichts der eklatanten Probleme beim Fahrzeugbau des MR01 zu. Sorry, Mr. Booth: Auch im Sommer wird es nicht besser. Marussia - bisweilen alles andere als konkurrenzfähig - muss die ersten Rennen des Jahres zur Testarbeit missbrauchen. Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorauszusagen, dass das nichts werden kann. (Robert Seiwert)