Wie ist es überhaupt zu deinem neuen Job als Fahrer-Coach bei Williams gekommen? Kam das Team auf dich zu?
Alex Wurz: Ich habe ja immer schon gern und viel im Coaching-Bereich gearbeitet, ob mit unserem Radteam, mit Nachwuchsfahrern - oder in gewisser Weise auch mit meinen Teamkollegen im Sportwagen-Bereich. Und das ist bei all denen immer sehr gut angekommen und hat auch mir sehr viel Spaß gemacht. Das war immer etwas, was ich mir für die Zukunft weiter aufbauen wollte. Und mein Kontakt zu Williams, gerade zur Ingenieurs-Ebene, ist ja nie abgerissen, wir sind immer in Verbindung geblieben. Und von der Seite ist man dann auch auf mich zugekommen, speziell Mark Gillan. Der Rest vom Board hat gesagt, das sei eine gute und innovative Idee – das müssen wir probieren.

Woher kommt dein Talent fürs Coaching?
Alex Wurz: Ob es ein Talent ist, wird sich erst noch mit den Resultaten und den Aussagen der Fahrer zeigen. Natürlich ist es viel einfacher, mit einem jungen Fahrer zu arbeiten. Das funktioniert am besten in der Formel-3- oder GP2-Zeit. Das weiß ich auch von der FIA Young Driver Academy. Hier ist es spezifischer, weil es in Graubereiche und feine Details hinein geht. Deshalb müssen sich der Fahrer und ich besser kennen lernen, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Alex Wurz hält in Barcelona die Augen auf, Foto: Sutton
Alex Wurz hält in Barcelona die Augen auf, Foto: Sutton

Kommt es dir da entgegen, dass die technischen Feinheiten schon immer deine Stärke waren?
Alex Wurz: Ich bin in einer Fahrertrainingsfamilie groß geworden, da ging es schon immer um Fahrzeugdynamik und die physischen Gesetze. Auch in der Schule gehörte Physik immer zu meinen Spezialfächern. Hinzu kommt meine analytische Herangehensweise. Dem Team ging es also nicht nur darum, dass ich ein erfahrener F1-Pilot bin, sondern dass ich genau diese Punkte weitervermitteln kann. In diesem Zusammenhang habe ich den Vorteil, dass wir zu meiner Zeit endlose Reifentests gefahren sind. Das können die Teams heute durch die Testbeschränkung gar nicht mehr. Also hoffe ich, dass ich den einen oder anderen Tipp und Kniff einbringen kann.

Wie gut kennst du die beiden Williams-Fahrer?
Alex Wurz: Bruno [Senna] kenne ich eigentlich am besten, obwohl ich ihn gar nicht so gut kenne. Wir haben uns im Fahrerlager kennen gelernt und gesprochen, aber zu sagen, dass ich ihn richtig gut kenne, wäre übertrieben. Pastor [Maldonado] kenne ich gar nicht und Valtteri [Bottas] lerne ich auch erst kennen.

Ist viel Potenzial vorhanden, damit die Fahrer auch auf deine Ratschläge eingehen?
Alex Wurz: Ja, ich bin hier, um Eindrücke zu sammeln und zu sehen, wie die Fahrer damit umgehen wollen. Ich kann niemandem etwas aufzwingen, das sind gestandene Rennfahrer, die schnell Auto fahren können. Da muss man auch mit viel Respekt herangehen. Mit Bruno habe ich heute mehr Zeit verbracht, weil er nicht gefahren ist. Da geht es schon richtig in Details hinein. Bruno hat ein sehr gutes Hintergrundwissen und ist sehr smart, was Fahrzeugdynamik und physikalische Gesetze angeht. Deshalb haben wir schon einige kleinere Details besprochen.

Bruno hat gestern gemeint, er wolle dein Gehirn auseinandernehmen und jedes kleine Detail heraussaugen...
Alex Wurz: Super, dafür bin ich da. Ich kann mein Wissen nur noch in den Papierkorb werfen, denn ich fahre "nur" noch für Toyota in Le Mans – das ist meine Stärke -, aber ich habe keine Formel-1-Ambitionen mehr.

Was sagst du Leuten, die meinen, dass deine Verpflichtung nur beweise, dass das Team kein Vertrauen in seine beiden Fahrer habe...
Alex Wurz: Natürlich wird das der eine oder andere so sehen, aber dann muss man sich nur mal in anderen Industrien umsehen. Amerika ist das Land des Coachings, das lauter profitable Firmen hat. Jeder Topmanager oder Sportler wie Fußballer oder Golfer greifen darauf zurück. Der Coach von Tiger Woods spielt nicht besser Golf als Tiger Woods, aber er weiß ganz genau, was er sagen soll, wenn sein Schützling vielleicht schlecht drauf ist oder mit welchem Schläger er aus dem Sand rausschlagen soll.

Rennfahrer stehen am Wochenende unter Druck und können deswegen nicht alle Informationen verarbeiten. Ich habe diesen Druck nicht und fasse vielleicht eine Kleinigkeit auf, die ins Puzzle passt. Als aktiver F1-Fahrer hätte ich wahrscheinlich auch zunächst negativ reagiert und gesagt: Fahrercoach, das brauche ich nicht. Es geht aber nicht darum, zu sagen, ob ein Fahrer im vierten oder fünften Gang um die Kurve fahren soll – es sind ganz andere Bereiche betroffen. Ich habe mit Jenson Button und Pedro de la Rosa gesprochen und die waren begeistert davon.

Alex Wurz traf Bruno Senna schon als FIA-Steward, Foto: Sutton
Alex Wurz traf Bruno Senna schon als FIA-Steward, Foto: Sutton

Ein Beispiel aus Le Mans: dort gibt es eine eingangs blinde Kurve, ziemlich schnell, vierter Gang, Betonwand außen. Wir lagen alle ungefähr auf einem Niveau, aber Marc Gené hat in dieser Kurve ein paar Hundertstel verloren. Irgendwann haben wir darüber gesprochen und er hat gefragt, wieso hast du dort mehr Speed in der Kurve? Dann kamen wir auf eine ganz simple Sache: beim Einlenken schaute er rechts außen in die Kurve, weil dort ein Grasbüschel wuchs, von dem er glaubte, dass er darauf das Heck verlieren könnte und mit 200 in die Betonmauer knallen würde. Ich hatte dort noch nie hingeschaut. Ich fahre in den blinden Scheitelpunkt hinein, stelle mir hinter der Betonwand den Scheitelpunkt vor und den visiere ich an – ich schaue nicht nach rechts. Nach der nächsten Runde kommt er zu mir und sagt: Das funktioniert super. Ganz simpel, aber das Gespräch mit jemandem, der das schon erlebt hatte, hat ihm geholfen.

Könnte es auch helfen, wenn du beim Test dir an der Strecke die Autos anschaust?
Alex Wurz: Ich werde alle Informationen weitergeben.

Kommentierst du weiterhin für den ORF?
Alex Wurz: Klar, das geht. Die großen Entscheidungen fallen bis zum Qualifying, danach ist eh alles eingefroren. Das geht sich aus. Es ist auch noch ein Probejahr hier bei Williams.

Williams ist ebenfalls in einem Übergangsjahr. Siehst du im Team Potenzial?
Alex Wurz: Natürlich sehe ich das Potenzial, aber es benötigt Zeit. Sieh dir den aktuellen Weltmeister an: Red Bull hat vier Jahre gebraucht, um einen Podestplatz einzufahren – da sind sie alle in Monaco in den Pool gesprungen. Nach sechs Jahren haben sie dann den Titel gewonnen, mit einem Budget, das nur die drei Topteams haben.