Ein Formel-1-Bolide ist mehr als nur ein Auto. Es ist eine Ansammlung technischer Ideen genialer Köpfe. Eines dieser Genies ist Adrian Newey. Wie die Boliden der Konkurrenz ist der von ihm konstruierte Red Bull RB7 mit KERS und DRS ausgestattet, doch eine ganz spezielle Technikidee lässt die Konkurrenz blass aussehen - der flexible Frontflügel.

Sobald Sebastian Vettel und Mark Webber die 300 km/h-Schallmauer durchbrechen, entwickelt der Frontflügel ein Eigenleben, jedenfalls so lange man mit McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh spricht. Durch speziell in die Kohlefaser eingebackene Faserstrukturen biegt sich der Frontflügel bis fast zum Boden, ohne dabei gegen die vom Reglement vorgegebenen Richtlinien zu verstoßen. Der flexible Frontflügel des RB7 ist allerdings nicht die einzig geniale Konstruktion, die es im Laufe der Formel-1-Geschichte gegeben hat.

Heckflügel

In der heutigen Zeit wäre ein F1-Bolide ohne Heckflügel undenkbar, doch das war nicht immer der Fall. Den Vorreiter aller Flügel entwickelte Ferrari. 1968 schickte die Scuderia mit dem Ferrari 312 F1 erstmals einen Boliden mit Heckflügel an den Start. Die Flügelkonstruktion sorgte für maximalen Abtrieb. Je mehr Abtrieb ein Bolide hat, desto besser liegt er auf der Straße. Deshalb ließ die Konkurrenz mit Kopien nicht lange auf sich warten und bald war jeder Bolide in der Königsklasse mit einem Heckflügel ausgestattet.

Der sechsrädrige Tyrell war Mitte der Siebziger der Hingucker im Fahrerlager, Foto: Sutton
Der sechsrädrige Tyrell war Mitte der Siebziger der Hingucker im Fahrerlager, Foto: Sutton

Sechsrädriger Tyrell

Auf der Suche nach dem entscheidenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz gehen die Designer und Konstrukteure in der Formel 1 teilweise eigenwillige Wege. Dabei entstehen außergewöhnliche Konstruktionen wie der sechsrädrige Tyrell P34. Um den Luftwiderstand zu verringern, entwickelte Tyrell-Konstrukteur Derek Gardner einen Boliden, dessen Vorderachse vier kleinere Räder besaß. Durch die kleinen, hintereinander angebrachten Vorderräder konnte die Frontpartie wesentlich flacher gestaltet werden, wodurch sich Tyrell weitaus höhere Geschwindigkeiten auf den Geraden versprach, bei mindestens ebenso guten Kurveneigenschaften aufgrund der erhöhten Bodenhaftung mit sechs Rädern.

Trotz immenser Kritik erwiesen sich Gardners Prognosen als richtig. Der P34 bestand seine erste Feuerprobe mit Auszeichnung und wurde 1976 erstmals ins Rennen geschickt. Insgesamt holte der P34 in 30 Rennen eine Pole Position und einen GP-Sieg. Nach erheblichen Reifenproblemen stampfte Tyrell 1977 allerdings das Konzept des P34 ein.

Massedämpfer

Während der sechsrädrige Bolide von Tyrell jedem sofort ins Auge stach, war die revolutionäre Idee bei Renault 2005 nicht so deutlich zu erkennen. Beim Großen Preis von Brasilien setzte das Weltmeisterteam erstmals einen Schwingungstilger, besser bekannt als Massedämpfer, ein und verschaffte sich damit einen nicht zu unterschätzenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz.

Der Massedämpfer war einer der Trümpfe bei Fernando Alonsos Titelfahrt 2005, Foto: Sutton
Der Massedämpfer war einer der Trümpfe bei Fernando Alonsos Titelfahrt 2005, Foto: Sutton

In der Frontpartie des Renaults bauten die Ingenieure ein um die neun Kilogramm schweres System ein, das die Vibrationen linderte und somit die aerodynamische Wirkung optimierte. Als die Gegner sich des Vorteils bewusst wurden, wurde sofort Beschwerde bei der FIA eingelegt. Von den Stewards wurde der Massedämpfer genehmigt, doch die FIA stempelte das System als illegal ab. Bei den Dämpfern handelte es sich laut der FIA um bewegliche aerodynamische Hilfsmittel, die das Reglement verbietet. Fernando Alonso ließ das Urteil kalt, schließlich hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits zwei WM-Titel eingefahren.

Traktionskontrolle

Mitte der 90er Jahre war in Estoril erstmals ein F1-Bolide mit Traktionskontrolle unterwegs. Durch das System sollte das Durchdrehen der Räder beim Beschleunigen verhindert werden. Im Laufe der Jahre perfektionierten die Ingenieure das System und erreichten einen nicht für möglich gehaltenen Entwicklungsstand. Egal ob es sich um Geraden, Kurven, griffigen oder rutschigen Untergrund, hohe oder niedrige Strecken- oder Reifentemperaturen, viel oder wenig Abtrieb handelte, die Traktionskontrolle arbeitete immer optimal. "Die Traktionskontrolle macht das Fahren nicht einfacher. Sie bringt dich nur auf ein anderes Level beim Limit", erklärt Alexander Wurz.

Die innovativen Lösungen am Lotus 78 wissen auch heute noch zu beeindrucken - so zum Beispiel Takuma Sato und Bruno Senna bei Demofahrten in Suzuka 2010, Foto: Sutton
Die innovativen Lösungen am Lotus 78 wissen auch heute noch zu beeindrucken - so zum Beispiel Takuma Sato und Bruno Senna bei Demofahrten in Suzuka 2010, Foto: Sutton

Ground Effect

Eine der wahrscheinlich bahnbrechendsten Ideen in der Geschichte der Formel 1 setzten Ralph Bellamy und Peter Wright in die Tat um. Die Beiden entwickelten 1978 die Wing-Cars von Lotus und perfektionierten den "Ground Effect". Die Unterseite der Seitenkästen war wie ein umgekehrter Flügel geformt und durch die intelligente Anordnung von Kanälen bildete sich unter dem Boden des Boliden ein Unterdruck, der das Auto auf den Asphalt presste und damit höhere Kurvengeschwindigkeiten zuließ. Durch den "Ground Effect" war der Anpressdruck des Lotus 78 dreimal größer als jener der Konkurrenz.

Um diesen Vorteil gegenüber den Gegnern so lange wie möglich geheim zu halten, lenkte Lotus die Aufmerksamkeit von der aerodynamischen Neuheit gezielt weg, indem man bei Boxenstopps oder in der Startaufstellung die Mechaniker stets das Differenzialgetriebe mit einem Tuch verhüllen ließ. Statt dem "Ground Effect" schrieben die Gegner die Überlegenheit der Lotus-Boliden dem Getriebe zu. "Dieses Auto war ein Meisterwerk - wie gemacht für die Straße", erzählte einst Mario Andretti, der sich dank des Systems 17 Jahre nach Phil Hill zum zweiten amerikanischen Weltmeister krönte.

F-Kanal

Um Luftströme drehte sich auch 2010 alles in der Formel 1. McLaren hatte bei den Wintertests ein ominöses System am Start, mit dem sich die Luftströmung hinter dem Flügel unterbrechen ließ. Schon bald war der F-Kanal in aller Munde. Mittels eines Lufteinlasses direkt vor dem Fahrercockpit war es McLaren möglich, einen Luftfluss durch das Cockpit zu leiten. Die Luft wurde durch das Monocoque geführt und trat am Heck über ein Luftloch am Ende der Motorabdeckung wieder aus.

Die Piloten konnten den Luftfluss individuell steuern, indem sie das Einflussloch mit dem Ellbogen abdeckten oder offen ließen. Der dadurch gewonnene Abtrieb brachte McLaren ca. 6 km/h mehr an Höchstgeschwindigkeit auf der Geraden. "Wenn McLaren den Flügel lahm legt, dann geht's bei denen auf der Geraden ab", erzählte damals Nico Rosberg. Das aktuelle Reglement verbietet aerodynamische Hilfsmittel, die vom Fahrer gesteuert werden - somit ist der F-Kanal nicht mehr erlaubt.

Jenson Button & Brawn GP: Weltmeister 2009 - auch auf Grund des Doppeldiffusors, Foto: Sutton
Jenson Button & Brawn GP: Weltmeister 2009 - auch auf Grund des Doppeldiffusors, Foto: Sutton

Carbon

Damals revolutionär, heute aus der Formel 1 nicht mehr wegzudenken, ist der Werkstoff Carbon. McLaren-Ingenieur John Barnard gelang mit dem ersten Carbon-Chassis 1981 ein Genie-Streich. Bei Carbon handelt es sich um einen Faser-Kunststoff-Verbundwerkstoff, bei dem Kohlenstoff-Fasern - meist in mehreren Lagen - als Verstärkung in eine Kunststoff-Matrix eingebettet werden. Die Vorteile für die Formel 1 waren enorm. Zum einen ist Carbon leichter als Metall, was einen Vorteil bei der Gewichtsverteilung einbringt. Zum anderen ist Carbon extrem fest und sicher. Im Laufe der Jahre wurde der Carbon-Verbundstoff in der Formel 1 unter Hochdruck weiterentwickelt und noch sicherer gemacht. Wie sicher zeigte der Horror-Unfall von Robert Kubica 2007 beim Großen Preis von Kanada in Montreal, als er mit 250 km/h in eine Betonmauer einschlug und danach nahezu unverletzt aus seinem Boliden ausstieg.

Doppeldiffusor

Die Formel 1 besitzt viele Grauzonen und Konstrukteure nutzen diese im Kampf um die entscheidenden Hundertstel nur allzu gern aus. Mit dem Doppeldiffusor bewegten sich Brawn GP, Williams und Toyota 2009 in dieser Grauzone. Während die Konkurrenz mit Hilfe des Diffusors mehr Abtrieb für ihre Boliden erzeugte, konstruierten Brawn GP & Co. eine eigene Version - den Doppeldiffusor. Dieser brachte einen Zeitvorteil von bis zu einer halben Sekunde.

Der eigentliche Diffusor schloss wie eine Rampe am hinteren Teil des Unterbodens an, doch der Doppeldiffusor verfügte über eine zweite, kürzere Platte. Durch Löcher im Unterboden strömte die Luft in den oberen der beiden Diffusoren und sorgte damit für einen noch höheren Abtrieb. 2011 wurde das Reglement verschärft und der Einsatz des Doppeldiffusors verboten. Der Diffusor bleibt dennoch ein Thema: Red Bull machte den angeblasenen Diffusor salonfähig, Renault bastelte mit den nach vorne gerichteten Auspuffrohren eine eigene Variante, der Anströmung des Unterbodens und des Diffusors.

Die Übersicht über die besten Technikideen der F1 stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: