2011 gibt es viele Neuerungen - unter anderem die neuen Reifen von Pirelli. Die Fahrer kritisierten im Vorfeld, dass die Reifen zu schnell und zu stark abbauen. Pirelli konterte, indem man betonte, dadurch die Show zu verbessern. Wie sehen Sie die Situation?
Alexander Wurz: Da die Pirelli-Reifen Einheitsreifen sind und somit für jeden die Reifen mitsamt ihren Stärken und Schwächen gleich sind, ist diese Diskussion eigentlich gleichgültig. Bei den Piloten handelt es sich eben um Perfektionisten, die immer alles bis ins letzte Detail optimieren wollen. Dass sie sich aufregen, ist normal. Persönlich finde ich es cool, wenn der Reifen abbaut, denn damit kommen auch andere Qualitäten der Piloten zum Ausdruck, die man sonst nicht immer sehen kann wie die Renntaktik, bessere Setup-Arbeiten oder ein cleverer Fahrstil, um den Reifen zu schonen. Ein gutes Beispiel ist Alain Prost. Er hat sich zu seiner Zeit als Reifenprofessor etabliert und wurde bekannt durch seine clevere und reifenschonende Fahrweise.

Dank KERS und verstellbarem Heckflügel sollen die Fans mehr Überholmanöver zu sehen bekommen. Wird die Rechnung aufgehen oder werden die Kritiker Recht behalten, die davon ausgehen, dass sich die Vorteile beider Systeme gegenseitig aufheben?
Alexander Wurz: KERS ist eher ein Hilfsmittel, um schneller zu beschleunigen. Nur durch KERS alleine erhöht sich der Top-Speed nicht oder nur minimal. KERS kann helfen, sich näher zum Vordermann zu bringen, aber nicht wirklich um zu überholen. Deshalb könnte der Heckflügel, wenn er abgesenkt wird, echten Top-Speed bringen und somit das Überholen erleichtern. Also reden wir hier von zwei fast verschiedenen Themen, die sich nicht gegenseitig aufheben. Was sie auf jeden Fall tun, beide Dinge erschweren das Leben des Piloten, denn der muss nicht nur 1000 Prozent am Limit fahren, sondern auch noch die mentale Kapazität aufbringen, um alle technischen Produkte, die er zur Verfügung hat, fehlerfrei zu nutzen.

Sie haben es angesprochen, die Fahrer sind angesichts der neuen Techniken und der zahlreichen Knöpfe am Lenkrad ziemlich gefordert und vielleicht sogar überfordert. Könnten die vielen Knöpfe zum Problem werden, wenn es an Strecken geht wie Monaco, wo es keine Geraden und damit keine Zeit zum Nachdenken gibt?
Alexander Wurz: Mit Sicherheit ist das eine extreme Belastung der menschlichen Aufnahmefähigkeit. Nicht nur, dass es ohnehin schon nur wenige Menschen auf der Welt schaffen, die F1-Renner im Sinne des Erfinders zu bewegen, jetzt werden ihnen auch noch Denksportaufgaben gegeben. Mit Sicherheit wird es einige Male geben, wo die Fahrer überlastet sein werden. Ein weiterer Punkt ist, wenn ein junger Fahrer aufrückt, denn der hat dann ein ziemlich hartes Lernpensum vor sich.

Was sagen Sie zur Kritik, dass durch technische Hilfsmittel wie KERS oder den Heckflügel die Brisanz und das fahrerische Können des Piloten nicht mehr im Vordergrund stehen und dadurch die Überholmanöver zu künstlich werden?
Alexander Wurz: Ich glaube, ich war einer der Ersten, der das neue Reglement kritisch betrachtet hat. Mein Standpunkt als Fahrer war immer, dass wenn ich ein Überholmanöver schaffe, will ich als der 'Hero' gelten. Ein Überholmanöver soll eine Heldentat sein und als diese auch begeistern. Sollte das Überholen zu leicht werden, dann fehlt dieser Reiz. Hier ist am besten der Vergleich zum Fußball.

Es gibt Spiele, die keines oder nur wenige Tore haben und dann gibt es Spiele, die viele Tore haben. Es gibt Spieler, die mehr Tore schießen können als Andere, genauso wie es Piloten gibt, die besser überholen als andere. Aber die Faszination der Formel 1 liegt nicht nur im Überholen, es zählt das ganze Spektrum, das die Formel 1 darstellt - und dieses gesamte Bild zieht Jahr für Jahr mehr Fans vor die TV-Schirme.

Sollte durch Heckflügel & Co. die Unfallgefahr 2011 steigen, wollen sich die Fahrer zusammensetzen und über eine Änderung des Reglements beratschlagen. Sie sind in der Fahrergewerkschaft GPDA vertreten. Wie viel Einfluss haben die Fahrer wirklich?
Alexander Wurz: Ich bin zwar kein Mitglied mehr, aber immer noch ein Vertreter der GPDA gegenüber der FIA. Da wir alle im selben Boot sitzen, was die Sicherheit betrifft, gibt es hier grundsätzlich keine wirkliche Gefahr, dass die FIA was ganz anderes will als die Piloten. Beim Thema Sicherheit ist ein Miteinander der einzige Weg und dieser wird von allen Parteien seit Jahren schon sehr gut beschritten. Bei politischen und wirtschaftlichen Aspekten sieht das Ganze schon wieder anders aus, aber das ist ein anderes Thema, das die GPDA nicht als Gruppe betrifft. Die GPDA ist für die Sicherheit und nicht für die kommerziellen Interessen der Fahrer da.

Immer für eine spektakuläre Einlage gut: Alex Wurz fuhr zwischen 1997 und 2007 69 Rennen in der Formel 1, Foto: Sutton
Immer für eine spektakuläre Einlage gut: Alex Wurz fuhr zwischen 1997 und 2007 69 Rennen in der Formel 1, Foto: Sutton

Die Piloten bekommen ein akustisches Signal, wenn sie den Heckflügel verstellen dürfen. Zudem gibt es bei manchen Teams Soundhinweise beim Hochschalten. Würden Sie sagen, dass man sich damit schon in Richtung einer ferngesteuerten Formel 1 bewegt?
Alexander Wurz: Die Idee mit den akustischen Signalen kam schon vor mehr als 10 Jahren auf, und zwar von mir. Ich habe das quasi damals in die Formel 1 eingeführt. Seither haben viele mein System übernommen, sich mit akustischen Signalen das Leben einfacher zu machen. Der Grund ist ganz einfach, die Augen sind im Rennsport ein absolut überfordertes Sinnesorgan.

Warum soll ich beim Hochschalten auch noch meinen Fokus auf die Drehzahlanzeigen lenken, wenn mir der Gehörsinn ebenso zur Verfügung steht? Ich habe damals bei Benetton Renault den Auftrag gegeben, ein Piepsen im Ohr zu haben, wenn die optimale Drehzahl erreicht ist und das funktioniert perfekt. Das hat gar nichts mit ferngesteuert zu tun, sondern ist lediglich ein cleveres Herangehen, um die menschlichen Sinnesorgane effizient zu nutzen.

Bernie Ecclestone will zukünftig mit künstlichen Regenrennen indirekt in das Renngeschehen eingreifen und damit das Spektakel erhöhen. Ihre Meinung zu dieser Idee?
Alexander Wurz: Warum nicht? Von außerhalb des Cockpits betrachtet, ist es eine geile Idee. Jedoch wer schon einmal ein F1-Auto im Regen, egal ob künstlich oder natürlich, gefahren hat und mit Aquaplaning und so gut wie null Sicht zu kämpfen hatte - sprich die Piloten - die wollen davon nicht wirklich was hören. Solange man alleine auf der Strecke ist, ist das Fahren im Regen eigentlich echt lässig. Jedoch im Pulk zu fahren, kann aufgrund der eingeschränkten Sichtverhältnisse extrem gefährlich und unberechenbar werden. Das ist mit Sicherheit die innere Einstellung jedes Piloten, obgleich manche mehr als Macho in den Medien auftreten.

Es wird immer mehr investiert, damit die F1-Show besser und besser wird. Aber ist das wirklich notwendig oder könnte der Schuss nach hinten losgehen?
Alexander Wurz: Ich glaube, wir sind nicht die einzige Industrie, die Geld in ihr Produkt investiert. Es ist eigentlich ganz simpel - wir leben in einer selbstregulierenden Welt. Je mehr Medien und Fans sich für die Formel 1 interessieren, desto höher ist der Gegenwert für die Hersteller und Sponsoren. Und desto mehr Geld ist im Umlauf und desto mehr wird verdient und wieder investiert. Ich sehe das total positiv!

Sebastian Vettel hat zuletzt Befürchtungen geäußert, dass die Zuseher vor den TV-Schirmen zur "Raupe Nimmersatt" werden und nach immer mehr Unterhaltung fragen könnten. Sehen Sie diese Problematik auch?
Alexander Wurz: Im Winter gab es eine Gesprächsrunde mit Sebastian, zwei anderen Piloten, Charlie Whiting und mir, in der es um dieses Thema ging. In Zeiten, in denen wir nicht nur als Sport, sondern auch als Unterhaltungsindustrie gelten, in diesen Zeiten sind wir sozusagen in Konkurrenz mit Hollywood und der Play Station. Wir müssen dem Kunden, sprich dem Fan etwas bieten, was ihn schlichtweg bewegt.

Wenn wir hier als Formel 1 nicht mitziehen, dann graben wir uns unsere eigene Existenz ab. Auch wenn es als Sportler nicht das ist, was man will, ist nun einmal der Unterhaltungswert der Sportart in unserer Gesellschaft extrem wichtig und als Hauptsportart ist es somit Teil deines Lebens. Deshalb brauchen wir nicht die Leben der Piloten gefährden, aber das ganze Produkt Formel 1 - von TV-Produktion bis zum Live-Erlebnis für die Zuseher vor Ort - muss mit der Entwicklung der anderen Medien und Freizeitwelten mithalten.

Das Interview mit Alexander Wurz stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: