Über Stock und Stein, Bahnübergang und Zebrastreifen bahnt sich Nico Rosberg seinen Weg. Zwölf holprige Kilometer sind heute seine Renndistanz, ein Mercedes DTM-Bolide sein Fahrzeug. Doch es geht nicht etwa über den Norisring, sein Spielplatz ist die öffentliche Landstraße von Faenza bis nach Brisighella. Hinter den Zäunen, die dort das Areal eingrenzen, drängt sich offenbar der ganze Ort, um einen Blick auf den prominenten Gast zu erhaschen.

Für die richtige Lautstärke sorgt GP2-Pilot Stefano Coletti, der seinen Trident-Boliden auf den Dorfstraßen aufheulen lässt und zur Freude aller ein paar Donuts auf dem Parkplatz vor dem Festsaal dreht. Dabei übertönt er sogar die in traditionelle Gewänder gekleideten Trommler, die stolz Spalier stehen. Just in dem Moment, als am Horizont Rosbergs von zwei Polizeiautos eskortierter Rennwagen auftaucht, öffnet der Himmel seine Schleusen. Das Timing ist fast so gut, wie das der Böllerschüsse und des anschließenden Konfettiregens, als Nico aus dem Auto klettert. Noch bevor er der Menge winken kann, geht es gesäumt von Uniformierten auch schon ab ins Trockene.

Voll konzentriert bei der Arbeit: Die Tifosi liebten Bandini für seine Angriffslust auf der Piste, Foto: Sutton
Voll konzentriert bei der Arbeit: Die Tifosi liebten Bandini für seine Angriffslust auf der Piste, Foto: Sutton

Unvergessene Ferrari-Legende

Der Name Lorenzo Bandini ist auch 2011 noch fest in der Formel 1 verankert - nicht zuletzt aufgrund der gleichnamigen Trophäe, die als begehrteste Nachwuchsauszeichnung der Königsklasse gilt und deren diesjähriger Preisträger Nico Rosberg ist - doch was verbirgt sich hinter der Ehrung im Gedenken an den italienischen Ferrari-Piloten, der 1967 in Monaco ums Leben kam? Bandini war Zeit seines Lebens ein Kämpfer - in der damaligen italienischen Kolonie Lybien geboren, starb bald nach der Familienrückkehr nach Italien sein Vater. Bandini zog im Alter von nur 15 Jahren von Zuhause aus und ging nach Mailand, um dort als Mechaniker zu arbeiten und seine Familie finanziell zu unterstützen.

Diese Tätigkeit brachte ihn früh zum Motorsport - erst auf zwei, dann auf vier Rädern. Nach anfänglichen Versuchen bei Bergrennen, machte er sich durch einen Klassensieg bei der Mille Miglia einen Namen. 1961 folgte auf einem von der Scuderia Centro Sud eingesetzten Cooper der erste Auftritt in der Königsklasse im belgischen Spa. Dank respektabler Leistungen bekam er bereits in der folgenden Saison die Chance, im Monoposto- und Sportwagenprogramm der Scuderia Ferrari zu fahren und schlug sich mit Platz drei beim Werksdebüt in Monte Carlo hervorragend.

Monaco entwickelte sich für Bandini zur Schicksalsstrecke: 1965 und 1966 kämpfte er im Fürstentum um den Sieg - 1967 verbrannte er im Hafen von Monte Carlo, Foto: Sutton
Monaco entwickelte sich für Bandini zur Schicksalsstrecke: 1965 und 1966 kämpfte er im Fürstentum um den Sieg - 1967 verbrannte er im Hafen von Monte Carlo, Foto: Sutton

Seinen einzigen Formel-1-Sieg erzielte er zwar 1964 auf dem Flugplatzkurs in Zeltweg - doch die Straßen des Fürstentums schienen es ihm besonders angetan zu haben. 1965 belegte er in Monaco den zweiten Platz und auch 1966 stellte das gleiche Ergebnis Bandinis Saisonhöhepunkt dar. Als er ein Jahr später erneut auf dem zweiten Rang lag, kam es zur Katastrophe. Nach einer leichten Kollision am Start, hatte Bandinis Motor ein Ölleck - der Italiener musste in dem angeschlagenen Boliden höchste Anstrengungen aufwenden und verlor in der Schlussphase des langen Rennens immer mehr die Konzentration.

Auf der Jagd nach dem führenden Denny Hulme touchierte er am Eingang der Hafenschikane leicht die Streckenbegrenzung, was seine Linie veränderte und zum Einschlag in die Strohballen an der Hafenkante auf der gegenüberliegenden Seite führte. Der Ferrari ging sofort in Flammen auf, die sich durch das auslaufende Benzin und das viele Stroh in einen riesigen Feuerball verwandelten. Aufgrund der schlechten Ausrüstung der Streckenposten konnte Bandini erst nach über drei Minuten aus dem Inferno befreit werden. Doch für ihn kam jede Hilfe zu spät - drei Tage später erlag er im Krankenhaus seinen schweren Verbrennungen.

Skurril: Rosberg fuhr mit einer DTM-C-Klasse über öffentliche Landstraßen zur Preisverleihung nach Brisighella, Foto: Mercedes GP Petronas
Skurril: Rosberg fuhr mit einer DTM-C-Klasse über öffentliche Landstraßen zur Preisverleihung nach Brisighella, Foto: Mercedes GP Petronas

Tradition verpflichtet

Jahre später entschloss sich eine Gruppe aus Bandinis Heimatort Brisighella gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Witwe einen Preis im Andenken an den 42-fachen GP-Starter zu stiften, der auch auf der Langstrecke erfolgreich war und unter anderem die 24 Stunden von Le Mans, Daytona sowie die Targa Florio gewann. "Die Ehrung erhält zumeist ein junger Fahrer, weil diese passend zu Bandini Aggressivität und Kampfgeist ausstrahlen", erklärt Francesco Asirelli, Vizepräsident der alljährlichen Veranstaltung. "Es gibt ein Komitee aus mehreren Leuten, die über die Vergabe der Preise und Ehre entscheiden - nicht nur für den Piloten, sondern auch für Ingenieure und andere Leute aus dem Motorsport, die sich verdient gemacht haben."

Die Auszeichnung der Jury, zu der auch Giancarlo Minardi gehört, ist dementsprechend begehrt. Als erster Pilot erhielt 1992 Ivan Capelli die Trophäe, die früher im Rahmen des Italien GP vergeben wurde. Zu den Gewinnern zählen unter anderem so klangvolle Namen wie Michael Schumacher, Jacques Villeneuve, Fernando Alonso und Sebastian Vettel. Schumacher und Lewis Hamilton sind die einzigen beiden Piloten, denen die Ehre zuteil wurde, als sie bereits Champion waren. Die Tatsache, dass sich unter den Siegern trotzdem insgesamt sieben Weltmeister befinden, ist Beleg für das Fachwissen und den richtigen Riecher der Jury.

In diesem Jahr fiel die Wahl auf Nico Rosberg, der 2010 seinen erfahrenen Teamkollegen fest im Griff hatte. Zur Belohnung gab es eine Fahrt im DTM-Mercedes über die Straßen der Provinz Ravenna, deren Ziel schließlich die Preisübergabe in Brisighella war. Bereits nach wenigen Fragen auf der Pressekonferenz haben die Einheimischen den Mercedes-Star in ihr Herz geschlossen - er spricht fließend Italienisch und hält das auch den gesamten Abend über durch.

Zudem sorgt Nico mit der Antwort auf die Frage nach seinem Kindheitsidol für lautes Gelächter: "Häkkinen!", entfährt es Rosberg - denn auch dieser habe immer Schumacher geschlagen. So ganz haben die Tifosi dem Rekordweltmeister seinen Weggang von Ferrari also nicht verziehen. Die Schadenfreude scheint groß. Rosberg, der den Preis als dritter Deutscher verliehen bekommt, konzentriert sich an seinem großen Abend aber doch lieber auf das Ambiente und nicht auf die Rivalen.

Mit dem stolzen Preisträger beim Gala-Dinner zu seinen Ehren: Das Motorsport-Magazin besuchte Nico Rosberg in Italien, Foto: Frederik Hackbarth
Mit dem stolzen Preisträger beim Gala-Dinner zu seinen Ehren: Das Motorsport-Magazin besuchte Nico Rosberg in Italien, Foto: Frederik Hackbarth

Eine Zeremonie der anderen Art

"Es ist wirklich eine witzige Veranstaltung. Für mich ist es immer schön, nach Italien zu kommen - ich finde die Leute hier sehr nett und komme mit ihnen gut klar", verrät er am Rande der Verleihung im Gespräch mit dem Motorsport-Magazin. Seine besten Freunde seien Italiener und er würde die lockere Lebensart und Kultur sehr schätzen, so Rosberg, der ein wenig ins Schmunzeln gerät: "Die Zeremonie war etwas Anderes, etwas Besonderes. Dabei kann man auch einmal lachen, denn die italienischen Traditionen sind durchaus unterhaltsam."

Gemeint ist damit beispielsweise das kollektiv inbrünstige Schmettern der Nationalhymne durch den ganzen Saal, der ein oder andere Geschenkkorb mit Produkten aus der Region, sowie die Erkenntnis, dass Pyrotechnik in Italien scheinbar nicht einmal vor geschlossenen Räumen halt macht. Rein sportlich sei dieser Tag für ihn aber ein Schub und zusätzliche Motivation. "Besonders wenn ich jetzt sehe, wer die Trophäe vor mir so alles erhalten hat - das ist schon toll und Musik in den Ohren aller Motorsport-Fans. Es ist mir eine Ehre", sagt Rosberg stolz und fügt hinzu: "Es geht nicht nur um den sportlichen Erfolg, sondern auch um die menschliche Seite und das ist schön."

Ausgerechnet in der Hafenschikane - Rosberg kam dem Geist Bandinis in Monaco 2011 näher als ihm lieb gewesen sein durfte, Foto: Sutton
Ausgerechnet in der Hafenschikane - Rosberg kam dem Geist Bandinis in Monaco 2011 näher als ihm lieb gewesen sein durfte, Foto: Sutton

Nach der Verleihung geht es zum Gala-Dinner in einen ebenso großen, wie feierlich dekorierten Nebenraum, den auf einer Seite ein endlos langes Buffet mit italienischen Köstlichkeiten ziert. Während des Essens folgen Scherze mit Nachwuchsmann Coletti und Fotos mit Fans, sowie Ski-Weltmeister Christof Innerhofer aus Südtirol, der im Rahmen des Events ebenfalls eine Auszeichnung erhalten hat.

Der Geist von Lorenzo Bandini, dem großen Kämpfer und Namensgeber der Ehrung, liegt selbst als der Abend langsam ausklingt allgegenwärtig über der Veranstaltung. Nicht zuletzt, weil Rosberg genau eine Woche vor der Verleihung in Monaco an exakt jener Stelle ausgangs des Tunnels heftig abflog, wo sich Bandinis tödlicher Unfall zugetragen hatte. Nico stieg nach seinem Crash in der Schikane, in der auch schon Karl Wendlinger, Jenson Button und wenige Stunden nach ihm Sergio Perez schwere Unfälle hatten, unverletzt aus - ein Glück, das Bandini seiner Zeit verwehrt blieb.

Die Reportage über Nico Rosbergs Auftritt bei der Verleihung der Bandini-Trophäe stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Analysen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: