Maranello. Ein rotes Tuch, ein neues Auto, das nächste Kapitel eines Mythos beginnt. Luca di Montezemolo weiß, was Millionen von Tifosi von Ferrari erwarten. Mit sechs simplen Wörtern bringt er die Erwartungshaltung auf den Punkt: "In diesem Jahr müssen wir gewinnen." Der F150 wurde mit nur einem Ziel vor Augen gebaut - dem Gewinn beider WM-Titel. Endlich besitzen die Tifosi wieder eine rote Göttin, denken sie jedenfalls. Szenenwechsel. Zurück in Italien.

Die Septembersonne brennt auf den Paddock von Monza. Schweißperlen rinnen über die Stirn, aber die Audienz beim Ferrari-Chef lässt auf sich warten. Vor der internationalen Presse wird diese Ehre zunächst den italienischen Kollegen zuteil - das kann dauern. Zwölf Rennen, nur ein Sieg. Das rote Denkmal bröckelt. Der Chef muss sich rechtfertigen, warum der Ferrari 150°Italia mehr Namen als Siege im Lebenslauf vorzuweisen hat.

Da zählt es wenig, dass Fernando Alonso in Silverstone ausgerechnet beim 60-jährigen Jubiläum des ersten Ferrari-Sieges triumphierte. Tradition wird in Maranello groß geschrieben, aber in der Gegenwart zählt nur eins: Erfolg - ein Begleiter, den sich die vermeintliche rote Göttin allen Hoffnungen, Wünschen und lautstarken Ankündigungen zum Trotz in dieser Saison nicht dauerhaft anlächeln konnte.

Ausgangspunkt

F150, F150th Italia, 150°Italia - der neue Ferrari war schon verwünscht, bevor sich ein einziges Rad in Fiorano gedreht hatte. Was als gut gemeinte Geste zum 150-jährigen Bestehen der Republik Italien begann, endete als Posse in einem albernen Namensstreit mit Ford. Dabei hatte Ferrari im Winter ganz andere Probleme: Lange knabberte das Team am Last-Minute-Titelverlust von Abu Dhabi. Ein Sündenbock für den Tiefschlag war schnell gefunden: der Kopf von Chefingenieur Chris Dyer rollte.

"Ich werde es müde, die Meisterschaft im letzten Rennen zu verlieren", sprach Montezemolo das Trauma selbst in Monza noch an. "Das ist in den vergangenen Jahren zu häufig passiert." Mit dem 2011er Ferrari, egal wie man ihn am liebsten bezeichnet, droht dieses Schicksal nicht. Bereits der Saisonstart erinnerte an den des Vorjahres: Ferrari kam nicht in die Gänge, Red Bull und McLaren gaben den Takt vor.

Schwer in der Kritik: Aldo Costa musste seinen Hut nehmen, Foto: Sutton
Schwer in der Kritik: Aldo Costa musste seinen Hut nehmen, Foto: Sutton

Innovationen

Brawn hatte den Doppeldiffusor, McLaren hatte den F-Kanal, Red Bull hatte den angeblasenen Diffusor und Ferrari hatte stets das Nachsehen. Die Scuderia hinkte bei allen technischen Quantensprüngen der vergangenen Jahre durchweg hinterher - so auch in dieser Saison. "Ferrari hat als letztes der drei Topteams verstanden, was es mit dem angeblasenen Diffusor auf sich hat", kritisiert Christian Danner. Bald gestand das Team selbst, dass der 150°Italia zu konservativ und innovationslos war. Es fehlte einfach das gewisse Etwas.

Böse Zungen könnten behaupten: wie viel Kreativität soll man von einem Team erwarten, dessen Präsident alle paar Monate die gleichen Reden und Forderungen (dritte Autos für die Topteams, Nachteile durch das Testverbot, zu viel Wert auf der Aerodynamik...) auf den verstaubten Tisch bringt? Auch dafür war schnell ein Sündenbock gefunden: der Kopf von Technikchef Aldo Costa rollte.

Rote Diva oder rote Göttin? Ferrari war oft von der Tagesform abhängig, Foto: Sutton
Rote Diva oder rote Göttin? Ferrari war oft von der Tagesform abhängig, Foto: Sutton

Speed

Der 150°Italia ist bei Leibe kein schlechtes Formel-1-Auto - doch er ist auch in keinem Bereich überlegen. "Ferrari ist verflixt gut mit vollen Tanks, aber sobald das Auto leichter wird, ist der Vorteil weg", analysiert Marc Surer. Das ermöglicht gute, aber keine sehr guten Platzierungen. Das größte Problem des Boliden ist seine Wetterfühligkeit - das Motto lautet rote Diva statt roter Göttin. "Ferrari hat nach wie vor eine Schwäche, wenn es kalt ist", sagt Surer. "Sie funktionieren auf der harten Reifenmischung nicht gut." Mit diesem Phänomen kämpft vor allem Felipe Massa, aber auch Fernando Alonso hat Probleme, die Reifen im Qualifying auf den Punkt zum Funktionieren zu bringen. Deshalb ist das Auto auf die Distanz oftmals stärker als auf einer schnellen Runde.

Weiterentwicklung

So ernüchternd der Speed des Ferrari bei den ersten Rennen war, so stark verbesserte das Team im Laufe der Saison das Auto. Erneut eine Parallele zur Vorsaison, in der Ferrari ebenfalls einen Fehlstart hinlegte, dann aber bis zuletzt um den Titel mitfuhr, unter anderem weil Red Bull und Sebastian Vettel viele Punkte unnötig verschenkten - diesen Gefallen taten sie Ferrari in diesem Jahr nicht mehr.

Gleichzeitig kam die Entwicklungsmaschinerie in Maranello diesmal nicht so gut in Schwung wie noch 2010. Ein Problem mit einem falsch kalibrierten Windkanal zwang Ferrari sogar dazu, in den Toyota-Kanal auszuweichen. Neben dem Reifenproblem entpuppte sich vor allem das Meistern des angeblasenen Diffusors als schwieriges Hindernis. Einen kurzfristigen Höhenflug erlebte Ferrari bei der zwischenzeitlichen Einschränkung des Zwischengases in Silverstone - nach der Rückkehr zum Valencia-Reglement ging das Auto aber wieder in der Verfolgerrolle in Deckung.

Zuverlässigkeit

In vielen Bereichen ist der 150°Italia kein typischer Ferrari. Statt erfolgreich, dominant und hochgelobt, ist er vor allem eines: unauffällig. Zumindest in den Defektlisten der Formel-1-Welt ist dies eine Auszeichnung. Abgesehen von einem Getriebedefekt bei Felipe Massa in Spanien erwies sich das Auto als äußerst zuverlässig - weder Motor noch KERS bereiteten größere Probleme. Dafür schieden ausgerechnet in Monza beide Autos von Ferrari-Kunde Sauber wegen Getriebeschäden aus.

Die Analyse des 150°Italia stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: