Dass man es als Virgin-Pilot nicht leicht hat weiß auch Timo Glock - was sollen da erst seine ständig wechselnden Teamkollegen sagen?, Foto: Sutton
Dass man es als Virgin-Pilot nicht leicht hat weiß auch Timo Glock - was sollen da erst seine ständig wechselnden Teamkollegen sagen?, Foto: Sutton

Das zweite Virgin-Cockpit neben Timo Glock kommt einfach nicht zur Ruhe. Seit dem F1-Einstieg der Truppe aus Dinnington 2010, klettert jedes Jahr ein anderer F1-Neuling ohne Erfahrung ins Auto - das wird sich auch in der kommenden Saison nicht ändern. Bereits zwei Stunden nach Rennende in Interlagos schickte Virgin eine Pressemitteilung heraus, um zu verkünden, dass der junge Franzose Charles Pic in Zukunft Stammpilot Jerome D'Ambrosio ersetzt und bewies damit in Sachen Timing das gleiche Fingerspitzengefühl, mit dem man den geschassten Belgier schon bei seiner Ankunft an der Strecke von Interlagos vor den Kopf gestoßen hatte, als man ihm direkt vor dem wichtigen Saisonfinale seinen Abschied mitteilte.

"Wir behalten die Nachwuchskategorien natürlich immer voll im Auge und Charles ist jemand, dessen Weg wir die letzten Jahre über immer verfolgt haben", verkündete Teamchef John Booth bei der Bekanntgabe seiner jüngsten personellen Neuerwerbung. Gleiches konnte man in den Vorjahren auch schon bei der Vorstellung von Lucas di Grassi und dem nun in Ungnade gefallenen D'Ambrosio lesen, was die Authentizität und Glaubwürdigkeit der Aussagen des Briten selbstredend in arge Zweifel zieht. Fakt ist: D'Ambrosio hat sich in seiner Debütsaison sportlich nicht schlecht geschlagen. Diese Meinung vieler Experten im Fahrerlager wird auch durch Resultate belegt.

Der Belgier steigerte sich im Jahresverlauf trotz eines hoffnungslos unterlegenen Autos kontinuierlich und holte Ergebnisse im Rahmen seiner Möglichkeiten. Mit einem starken 14. Rang beim Auftakt in Australien und im Regen von Kanada, stellte er das beste Ergebnis der Teamgeschichte ein. P14 hatte auch Di Grassi im Vorjahr schon einfahren können, wobei erwähnt werden sollte, dass auch der hochgeschätzte Timo Glock im Virgin bisher nie über dieses Ergebnis hinauskam, das scheinbar das Limit des schwachen MVR-Boliden darstellt. Dass die Gründe für die Ablösung D'Ambrosios durch Pic, die bereits seit Wochen ein offenes Geheimnis war, durchaus auch finanzieller Natur sind, ist in Zeiten von Pay-Drivern keine Überraschung.

Große Chance oder nur Kanonenfutter?

Für Pic stellt sich bei der Betrachtung der Karriereverläufe seine Vorgänger aber viel mehr die Frage, ob sein Geld, beim ab nächsten Jahr als Marussia startenden Team, so gut angelegt ist. Di Grassi und D'Ambrosio sind wie Pic mit guten Ergebnissen aus der GP2 aufgestiegen, haben dort Rennen gewonnen und sobald genügend Sponsorengelder vorhanden waren, einen Deal mit der britisch-russischen Truppe abgeschlossen, um sich ihren F1-Traum zu erfüllen. Nach einer frustrierenden Saison in einem zu langsamen und oftmals unfahrbaren Auto, folgte dann jedoch die große Ernüchterung - und später der Rauswurf.

Virgin hat grünes Licht gegeben: Nach den Rookiestests in Abu Dhabi darf Charles Pic auch 2012 für das Team fahren - sehr zum Leidwesen von Jerome D'Ambrosio, Foto: Sutton
Virgin hat grünes Licht gegeben: Nach den Rookiestests in Abu Dhabi darf Charles Pic auch 2012 für das Team fahren - sehr zum Leidwesen von Jerome D'Ambrosio, Foto: Sutton

Chancen sich im Virgin für höhere Aufgaben zu empfehlen? Kaum möglich... Booth erklärte nach der Trennung von D'Ambrosio: "Ich wünsche ihm alles erdenklich Gute - er hat eine aufregende Zukunft vor sich." Doch da sind sich die Experten, trotz allen zweifelsohne vorhandenen Talents, nicht mehr so sicher. Dem 25-Jährigen wird der Lobgesang des Ex-Arbeitgebers kaum helfen, ein neues Cockpit zu finden - auch wenn der 19-fache GP-Starter selbst gerne daran glauben mag: "Ich werde zwar nächstes Jahr nicht mehr beim Team sein, aber sie waren trotzdem glücklich mit meiner Saison." Seine Leistungen seien im Fahrerlager nicht unbemerkt geblieben - das stimmt.

Ob das etwas hilft, ist auf dem derzeit vollkommen überfluteten Fahrermarkt aber eine ganz andere Frage. Wenn möglicherweise selbst Adrian Sutil, Rubens Barrichello und Bruno Senna 2012 ohne Cockpit dastehen, kann sich D'Ambrosio mental schon einmal auf den Werdegang Di Grassis vorbereiten, der sich mittlerweile mit gelegentlichen Reifentests für Pirelli irgendwie in der Branche zu halten versucht. Böse Zungen könnten behaupten: So wie die Rookies bei Virgin scheinbar verheizt werden, sollte Pic lieber noch ein bisschen länger auf seinen Einstieg in die Königsklasse warten, will er nicht auch als Kanonenfutter enden.

Kappen vom Ex-Fahrer verlost

"Ich bin überglücklich mit Marussia Virgin den Schritt in die Formel 1 geschafft zu haben. Sie wollen die Dinge auf den richtigen Weg bringen und ich spüre die große Entschlossenheit, Erfolg zu haben. Davon nun ein Teil zu sein, ist für mich etwas ganz Besonders", verkündete der stolze Einsteiger bei seiner Vorstellung. Dem Franzosen kann man nur wünschen, dass er mit seiner Prognose Recht behält. Die erweiterte Zusammenarbeit mit McLaren könnte das Team nach der gescheiterten Nick-Wirth-Ära 2012 in der Tat voranbringen - muss sie aber auch, bedenkt man, dass Virgin im Qualifying zum Saisonfinale in Interlagos bereits hinter HRT zurückgefallen ist.

Dass sich die Cockpitbesetzung mit einem unerfahrenen Neuling aber auch in Zukunft mit Sicherheit nicht positiv auf die Fahrzeugentwicklung auswirken wird, ist die nächste, scheinbar unbedachte Baustelle. Apropos unbedacht: Am Montag nach dem Brasilien-Rennen verloste das Team via Twitter trotzdem noch handsignierte D'Ambrosio-Kappen an seine Fans. Für die Gewinner bleibt nur zu hoffen, dass die mangelnde Aktualität durch den Sammlerwert ausgeglichen wird - und für Pic, dass ihm dieses Szenario in einem Jahr erspart bleibt.