Was hatte es mit Red Bulls Reifen-Dilemma auf sich?

Großer Aufreger schon vor dem Rennen in der Red-Bull-Box. TV-Kameras visierten angestrengt die Radaufhängungen des RB7 an, jede Bewegung der Mechaniker wurde unter genauestens die Lupe genommen. Im Qualifying war der Begriff "Blistering" herumgegeistert, also starke Blasenbildung an den Reifen. Lange Zeit hatten Christian Horner und Co. überlegt, die Sturzeinstellungen des RB7 zu ändern und frische Soft-Reifen aufzuziehen - das hätte allerdings einen Start aus der Boxengasse oder vom Ende des Feldes nach sich gezogen.

Nach reiflicher Überlegung entschied das Team, das Reifenrisiko in Kauf zu nehmen. "Wir hatten das Gefühl, dass die Reifen kein Risiko für unsere Fahrer darstellten", erklärte Horner gegenüber Motorsport-Magazin.com. Red Bull hatte sich nicht an die Einstellungs-Empfehlungen von Pirelli gehalten, weswegen der Reifenhersteller meinte, der Rennstall habe sich selbst in diese Position manövriert. "Wir mögen es nicht, in so eine Situation gebracht zu werden. Es ist eine recht unfaire Position. Natürlich hätte man das vermeiden können", sagte Pirelli Motorsport Direktor Paul Hembery.

Letztendlich entschied sich Red Bull, von den Positionen 1 und 3 zu starten, dafür aber Sebastian Vettel und Mark Webber früh an die Box zu holen. Webber wechselte in der dritten Runde von soft auf Medium, Vettel holte sich drei Runden später einen frischen Satz der weichen Reifen ab. Damit war das Reifen-Dilemma bei den Bullen schon früh bereinigt.

Dass es trotzdem innere Konflikte gab, daraus machte Adrian Newey keinen Hehl: "Da rutscht einem das Herz in die Hose, denn die oberste Pflicht ist es, sich um die Sicherheit des Fahrers zu kümmern und man versucht da eine Entscheidung zu treffen und sicherzustellen, dass das Auto sicher ist, während man sich aus Sicht der Leistung nicht zu sehr einschränken will."

Wie konnte Vettel am Ende einen ungefährdeten Sieg einfahren?

Nach einer Durststrecke von drei Rennen schaffte Vettel in Belgien seinen siebten Saisonsieg. Der Rennsonntag hatte dramatisch begonnen - siehe die Sturz-Situation - doch im weiteren Verlauf des Tages kam der Heppenheimer richtig ins Rollen. Dass der RB7 in Spa stärker war als erwartet, zeigte schon das Qualifying. Von wegen 'auf der Geraden nicht schnell genug' - der Red Bull konnte fast ausnahmslos mithalten. "Das Auto war fantastisch", so Vettel. "Obwohl wir am Anfang des Rennens sehr früh an die Box kommen mussten, um die Reifen zu checken, hatten wir später den Speed, um es wettzumachen."

Vettel auf dem Weg zum Titel, Foto: Pirelli
Vettel auf dem Weg zum Titel, Foto: Pirelli

Nach der Safety-Car-Phase brauchte er nicht lang, um sich von P3 aus wieder an die Spitze vorzukämpfen und bei seinem Überholmanöver gegen Nico Rosberg zeigt er, dass Vettel auch in schwierigen Situationen überholen kann. Dass die Reifen am RB7 hielten, belegt die Statistik: Vettel erzielte zwar nicht die letztendlich schnellste Runde, doch im Rennen leuchtete sein Name gleich sieben Mal unter "fastest lap" auf.

Vettel zeigte abermals ein völlig fehlerfreies Rennen und kam mit mehr als drei Sekunden Vorsprung auf Teamkollege Webber ins Ziel. "Vettel ist trotz Blasen an den Reifen schonend und schnell gefahren. Das hat ihm den Sieg gesichert", so TV-Experte Marc Surer. Außerdem profitierte der 24-Jährige von der Safety-Car-Phase, in der er sich neue Reifen holte. Die frischen Slicks erleichterten ihm das Überholen und so konnte er sich den nötigen Vorsprung erarbeiten. Vettel hatte alles unter Kontrolle und konnte an der Spitze das Tempo an die Rennsituation anpassen.

Warum versaute Webber den Start?

Webber hatte sich im Qualifying den dritten Platz hinter Vettel und Lewis Hamilton gesichert. Nur wenige Momente, nachdem die Ampel am Sonntag auf Grün gesprungen war, fand er sich zahlreiche Positionen weiter hinten wieder. Was war passiert? Das Anti-Stall-System, welches ein Ausgehen des Motors verhindern soll, schaltete in den Leerlauf. "Der Start war schockierend", so Webber. "Ich drückte das Pedal runter und das Anti-Stall schaltete sich sofort ein."

Es habe zwar Spaß gemacht, anschließend im Rennen aufzuholen, doch es wäre natürlich schöner gewesen, nach der ersten Runde eine gute Position inne zu haben, fügte Webber an. "Er hat den Motor fast abgewürgt und musste neu einkuppeln. Das konnte man hören", erklärte Marc Surer. Dieser Vorgang kostete den Australier so viel Zeit, dass er noch vor der ersten Kurve fast aus den Top-10 herausfiel.

Wie konnte Webber Alonso in Eau Rouge überholen?

Es war das Überholmanöver des Rennens - sogar der Saison, wie Webber selbst meinte. Fernando Alonso kam in der 29. Runde mit frischen Reifen aus der Box, im Rückspiegel näherte sich Webber mit hohem Geschwindigkeitsüberschuss. Eingangs der Eau Rouge saugte sich der Australier an seinen roten Vordermann und schaffte es mit einem waghalsigen Manöver bei rund 290 km/h, an Alonso vorbeizuziehen. "Wir waren durch Eau Rouge sehr, sehr eng beisammen", so Webber. "Ich nutzte etwas KERS, hatte Windschatten und dachte, ich hätte eine Chance."

Das Manöver hätte auch richtig schief gehen können, wenn Alonso nicht mitgespielt hätte. "Es braucht beide Leute, damit das gutgeht", glaubte auch Webber. "Mit Fernando kann man so etwas machen - er ist ein Weltklasse-Kerl und weiß, wann es genug ist." Alonso selbst sprach anschließend von einem harten, aber fairen Manöver.

"Der Junge muss Eier haben, um so etwas zu tun", war Horner von der spektakulären Aktion seines ambitionierten Fahrers beeindruckt. "Auf der Außenseite, in die Eau Rouge rein… Phänomenal. Aber ich denke, dass wir alle unsere Augen schlossen, als wir ihm in die Eau Rouge folgten." Wer es schaffte, die Augen geöffnet zu halten, sah auf jeden Fall eines der besten Überholmanöver in dieser Saison.

Wie schaffte es Schumacher von 24 auf 5?

Neben Red Bulls Doppelsieg im ungeliebten Spa, schrieb Michael Schumacher die Geschichte des Rennens: Der Mercedes-Pilot startete bei seinem 20-jährigen Jubiläum in der Formel 1 nach einer Reifenpanne im Qualifying vom letzten Startplatz - und fuhr am Ende sein zweitbestes Ergebnis nach Montreal in dieser Saison an. Wieder einmal zeigte sich, dass Schumacher einer der erfolgreichsten Starter im Feld ist.

Mit seinem W02 hatte er zunächst kaum Probleme, an den Autos der kleineren Teams vorbei zu ziehen. Dann profitierte er von Bruno Sennas Ausritt in Jaime Alguersuari und dem anschließenden Chaos, in das das halbe Mittelfeld verwickelt war, denn der Rekord-Champion umschiffte geschickt das Gewusel und machte schon nach der ersten Runde zehn Positionen gut. Daraufhin zahlte sich Mercedes' Reifen-Strategie aus: Schumacher startete auf den Mediums und holte sich drei Mal frische, weiche Slicks ab - die hatte er nach seinem Aus im Qualifying natürlich gespart.

Michael Schumacher pflügte sich durchs Feld, Foto: Sutton
Michael Schumacher pflügte sich durchs Feld, Foto: Sutton

Der starke Topspeed auf der Geraden erlaubte es dem 42-Jährigen schließlich, ohne große Vorkommnisse seine Kontrahenten zu passieren. "Das war die beste Leistung, die er hier gebracht hat", zog Niki Lauda angesichts der Performance wieder einmal seine Kappe. "Fakt ist, wir haben das Beste aus unseren Möglichkeiten gemacht", freute sich der Jubilar über die zehn WM-Zähler. "Das Risiko mit den harten Reifen zu Beginn hat sich ausgezahlt."

Warum musste Rosberg zum Schluss Sprit sparen?

Mercedes, Rosberg und der Sprit - eine Leidensgeschichte in dieser Saison. Schon in China hatten sich die Silberpfeile mit der Spritmenge in Rosbergs Autos vertan, was ihn wohl einen Platz auf dem Podest kostete. In Spa musste sich Rosberg gegen Ende des Rennens wieder einmal anhören, dass er Benzin einsparen müsse. Ob dies mit dem Fakt zusammen hing, dass Teamkollege Schumacher sich aufmachte, Rosberg zu überholen, sei einmal dahin gestellt.

Rosberg verlor seinen fünften Platz in Spa und kam als Sechster ins Ziel. Im Gegensatz zur China-Situation blieb er diesmal gelassen: "Man muss das genau kalkulieren, dass man am Ende perfekt rauskommt. Da ich zu Beginn vorne war, habe ich wohl mehr Sprit verbraucht als gedacht. Da musste ich eben am Ende sparen." Ross Brawn erklärte, dass die Fahrer unter den aktuellen Regeln während der Safety-Car-Phasen keinen Sprit mehr sparen würden, weil zusätzlich gespartes Benzin zusätzliches Gewicht für das Rennen bedeuten würde.

Hamiltons zweiter Spa-Streich, Foto: Sutton
Hamiltons zweiter Spa-Streich, Foto: Sutton

Wer hatte Schuld am Kobayashi-Hamilton-Crash?

Zuletzt war es in Sachen Chaos ruhig geworden um Lewis Hamilton. Nach seinen Eskapaden in Montreal und Monaco war der McLaren-Pilot unter die Leisetreter gegangen und hatte sich aufs Sportliche konzentriert. In Spa war es wieder vorbei mit der Ruhe. Hamilton rasselte bereits im Qualifying diskussionswürdig mit Pastor Maldonado zusammen. Die Stewards werteten den Vorfall als Rennunfall. Hamilton wurde ermahnt, der Williams-Pilot um fünf Plätze nach hinten strafversetzt.

Im Rennen dann der nächste Zwischenfall: Hamilton hatte Kamui Kobayashi auf der Kemmel-Geraden überholt und Platz vier erobert, als es aber in Les Combes ging, war der Sauber des Japaners nach wie vor neben dem McLaren auf der Außenseite. Als der Brite nach außen ging, um in die Kurve hinein die Ideallinie zu haben, traf er Kobayashi und wurde danach in die Absperrung geschleudert. Der Sauber-Pilot war schon kurz nach dem Rennen sicher, dass Hamilton schuld am Crash gewesen sei. Zwar habe Hamilton DRS eingesetzt, doch er selbst habe mit einem KERS-Einsatz dagegen gehalten, wenig Abtrieb gehabt und aufgeholt.

Schließlich gestand Hamilton seinen Fehler ein. "Nachdem ich die Wiederholung gesehen habe, sehe ich, dass es heute hundertprozentig mein Fehler war. Ich ließ Kobayashi nicht genug Platz, ich dachte, ich wäre vorbei", teilte der Weltmeister von 2008 via Twitter mit. Hamilton fiel aus, Kobayashi verpasste als Zwölfter die Punkteränge.

Warum lief es für Button so stark?

Das Wochenende hatte für Jenson Button alles andere als erwünscht begonnen. Im Qualifying war der McLaren-Pilot stark unterwegs, doch aufgrund eines Kommunikationsfehlers mit der Box verpasste er es, in Q2 bei abtrocknender Strecke noch eine schnelle Runde zu fahren - Startplatz 13. Im Rennen selbst ging es schlecht weiter, denn die Massenkollision nach dem Start beschädigte seinen MP4-26 an Front und Heck.

Dann profitierte Button jedoch - ähnlich wie Schumacher - von seinen frischen, übrig gebliebenen Soft-Slicks, von denen er im Verlaufe des Rennens drei Sätze aufziehen ließ. Der weiche Reifen war in Spa rund 1,5 Sekunden pro Runde schneller als sein Medium-Pendant, und so konnte sich Button kontinuierlich durchs Feld pflügen. "Ich genoss es, Leute zu überholen, manchmal auch außen herum. Das machte echt Laune", grinste Button nach seinem dritten Platz.

Trotz des vorangegangenen Schadens zeigte der Chrompfeil abermals eine überzeugende Performance. Im vorderen Feld hatten die Mercedes keine Chance gegen den flinken Briten und auch Fernando Alonso musste sich aufgrund seiner schlechten Reifen-Performance schlussendlich von Button vom Podium schubsen lassen.