2011 wird endlich überholt, und zwar nicht nur am Start, Foto: Sutton
2011 wird endlich überholt, und zwar nicht nur am Start, Foto: Sutton

Manchen Menschen kann man es einfach nicht recht machen – egal wie. Kennen Sie auch so jemanden? Klar, es ist zu warm, es ist zu kalt. Lieber rote Ostereier, lieber lila Ostereier. Formel-1-Rennen sind stinklangweilige Prozessionen, Formel-1-Rennen sind viel zu chaotisch und verwirrend. Ach ja, wirklich?

Jedenfalls wenn es nach dem Willen einiger Experten geht – das ist schon ein undankbares Völkchen. Erst sind die Rennen jahrelang zum Einschlafen und es wird – zu Recht - über lahme Prozessionen wie Bahrain 2010 gejammert, dann soll es plötzlich zu viel Action mit Überholmanövern und Boxenstopps geben. Ja was denn nun? "Manche Leute haben immer etwas zu meckern", sagt Nick Heidfeld und schüttelt mit dem Kopf. Recht hat er. Wahrscheinlich macht es einfach keinen Spaß, wenn man nicht meckern kann...

Keine Angst vor Überholmanövern

Die Argumentation: Ein Überholmanöver soll etwas Besonderes bleiben, es soll wie ein Tor im Fußball und nicht wie ein Korb im Basketball sein. Basketball-Fans werden sich über diesen Vergleich sicher freuen, immerhin ist ihr Sport dann ja so etwas wie verwirrend, langweilig und nichts Besonderes. Obwohl ich kein Anhänger der Korbjagd bin, würde ich soweit dann doch nicht gehen...

Alex Wurz zieht in der aktuellen Print-Ausgabe des Motorsport-Magazins einen besseren Vergleich, der ihm auch keine diskriminierten, aufgebrachten Basketball-Riesen auf den Hals hetzt - wobei Alex ja selbst zu den größer gewachsenen F1-Piloten zählt und nicht ganz so viele Köpfe kleiner wäre...

Auf jeden Fall verriet er meiner Kollegin Kerstin im Exklusivinterview: "In Zeiten, in denen wir nicht nur als Sport, sondern auch als Unterhaltungsindustrie gelten, sind wir sozusagen in Konkurrenz mit Hollywood und der Playstation." Demnach müsse die Formel 1 dem Kunden, sprich dem Fan, etwas bieten, was ihn begeistere – selbst wenn man das als Fahrer nicht als beste Lösung ansehe.

3 Rennen, 170 Manöver

Also lassen wir die Fakten sprechen: Das Fanprojekt "Clip the Apex" hat die Überholmanöver der ersten drei Rennen analysiert und ist auf die erstaunliche Zahl von 170 Manövern gekommen! Und das alles im Trockenen. In der gesamten Saison 2010 gab es 547 Überholmanöver (davon 320 im Trockenen), 2009 waren es zusammengerechnet sogar nur 244 (156 im Trockenen, also weniger als in den ersten drei Trockenrennen 2011).

Die meiste Action gab es mit 85 Überholmanövern in China; in Malaysia und Australien wurde 56 und 29 Mal überholt. Das entspricht einem Schnitt von 56,7 Überholmanövern pro Rennen! In Zahlen ausgedrückt hat also jeder Fahrer bisher gut sieben Überholmanöver in der gesamten Saison und 2,4 Manöver pro Rennen vollführt. Am fleißigsten überholte Mark Webber mit 26 Überholmanövern.

Selbst teamintern wurde gekämpft und überholt, Foto: McLaren
Selbst teamintern wurde gekämpft und überholt, Foto: McLaren

Jetzt sind die reinen Überhol-Superlative natürlich nicht alles. Um auch einmal einen Vergleich zu bemühen: Ein Skifliegen mit einem neuen Weltrekord jenseits der 240 Meter mag toll sein, doch ein erstklassiger, ausgeglichener Wettkampf mit gleich zig Topweiten kann auch auf einer fast schon ausgestorbenen Normalschanze Weltklasse sein.

Die neue Spannung

Ein bisschen macht es die Masse also doch aus, obwohl Nick angesichts von KERS, DRS und stark abbauenden Reifen einschränkt: "In Malaysia war das Überholen fast ein bisschen zu einfach." Wenn der Gegner teilweise nicht kämpfte, weil er wusste, dass er mit seinen Reifen keine Chance hatte, wenn er teilweise schon auf der Geraden neben den Vordermann gefahren war, dann war der Spaßfaktor für Nick nicht so hoch, als wenn er auf der letzten Rille kurz vor der Kurve doch noch im letzten Moment vorbeigekommen wäre. "Da ist der Fun etwas geringer."

Aber das ist die neue Formel 1: Rennen mit vielen Überholmanövern, die den Fahrern vielleicht einen Tick weniger Spaß machen, plus einige wenige Ausnahmemanöver, die noch immer genauso spektakulär und hart erkämpft sind wie in der Vergangenheit. Wenn ich jetzt die Wahl zwischen ausgeprägter Hinterherfahrerei mit spärlich gesäten Highlights wie in den letzten Saisons habe sowie jeder Menge Überholmanövern gepaart mit einigen herausragenden Höhepunkten, dann gebe ich der alten Formel 1 gerne einen Korb.

Überholstatistik 2011

Australien GP
Überholmanöver: 29
Meiste Überholmanöver: R. Barrichello (8), J. Alguersuari (5), F. Alonso (4)

Malaysia GP
Überholmanöver: 56
Meiste Überholmanöver: M. Webber (10), K. Kobayashi (6), F. Massa (6)

China GP
Überholmanöver: 85
Meiste Überholmanöver: M. Webber (15), L. Hamilton (8), S. Perez (7)