Die ersten beiden Rennen des Jahres 2011 verliefen für Mercedes GP alles andere als nach Plan. Auch in Shanghai war man zwar noch nicht dauerhaft an der Spitze vertreten, der Auftritt von Nico Rosberg im Rennen war aber dennoch ein Quantensprung im Vergleich zum Saisonstart. Los ging es bereits am Freitag, mit deutlich verbesserten Rundenzeiten und den Plätzen vier und fünf am Ende des zweiten freien Trainings. Es war der erste Indikator für den nachweislich vollbrachten Aufwärtstrend.

"Wir konzentrierten uns hauptsächlich auf Fahrten mit viel Benzin und es scheint, dass wir so ein besseres Setup gefunden haben, als wenn wir mit wenig Sprit beginnen", sagte Michael Schumacher nach den ersten Eindrücken in Shanghai. Die gute Pace über die Distanz ließ das Team bereits zu einem frühen Zeitpunkt auf Besserung hoffen. "Wir sind am Freitag einige Long Runs mit viel Sprit gefahren, die waren nicht schlecht", bestätigte später auch Ross Brawn und behielt am Ende recht.

Der klare Leistungsanstieg bei den Silbernen habe eine Vielzahl von Gründen, denn das Team sei das Wochenende ganz anders angegangen als bisher. "Wir sind nicht nach Europa zurückgeflogen - stattdessen habe ich ein paar Tage die Köpfe mit den Ingenieuren zusammengesteckt und das hat geholfen", sagte Brawn. "Der Ansatz, den wir mit dem W02 verfolgt hatten, basierte sehr auf den Reifen, die wir letztes Jahr zur Verfügung hatten. Mit diesen Reifen und diesen Autos mussten wir aber überdenken, wie wir die Dinge in puncto Abstimmung angehen", erklärte der britische Teamchef.

Abstand kontinuierlich verringern

Übertragen heißt das: Ein Schritt zurück, kann zwei Schritte nach vorne bedeuten. Das unterstrich auch Nico Rosberg, der bereits am Samstag nach seinem starken Qualifying meinte: "Vielleicht haben uns einige neue Dinge in die die falsche Richtung geleitet. Deshalb sind wir mit der Grundbasis ein paar Schritte zurück gegangen und scheinbar hat uns das nun weitergebracht." Zu überschwänglich wollte man bei den Stuttgartern aber noch nicht auf die positive Steigerung reagieren, wie auch Norbert Haug klar machte.

Da staunte auch Peter Sauber nicht schlecht - Norbert Haug zeigte Konzernchef Dr. Dieter Zetsche in China den Weg zur Spitze, Foto: Sutton
Da staunte auch Peter Sauber nicht schlecht - Norbert Haug zeigte Konzernchef Dr. Dieter Zetsche in China den Weg zur Spitze, Foto: Sutton

"Ich sehe jetzt nicht, dass sich von einer Woche auf die andere, die komplette Hackordnung ändert", erklärte der Motorsportchef in Bezug auf die Konkurrenz. Wichtig sei es für Mercedes, den Abstand kontinuierlich zu reduzieren und einen Trend erkennen zu können. "Alles was man wegknabbert ist gut", meinte der 58-Jährige und fügte hinzu: "Bei beiden bisherigen Veranstaltungen war der Rennspeed nicht da, beziehungsweise in Malaysia erst am Ende. Wir müssen es einfach hinkriegen, dass es über die ganze Distanz gut geht." Das gelang in Shanghai erstmals.

Baustellen bleiben dem Team überdies aber nach wie vor genügend. Noch im Training funktionierte bei Michael Schumacher weder das KERS, noch der Heckflügel einwandfrei. Letzterer machte dem Rekordweltmeister auch in der Qualifikation einen Strich durch die Rechnung und der Kerperner konnte den Grand Prix lediglich von Platz 14 aus aufnehmen. Mercedes hat den Handlungsbedarf aber erkannt und rüstet nach. "Für Istanbul haben wir einen neuen Flügel, der diese Probleme endgültig beseitigen sollte", erklärte Teamchef Brawn.

Nico Rosberg, dessen Auto im Qualifying besser lief, konnte das Potential des Mercedes-Boliden aber optimal nutzen und stellte den W02 auf einen beeindruckenden vierten Startplatz. Damit stand er bereits am Samstag vor beiden Ferraris und den von Problemen gebeutelten Renault-Piloten. Vor Wochenfrist wäre dieses Unterfangen noch unmöglich gewesen. Dementsprechend groß war die Verblüffung - auch im eigenen Lager.

Mit neuen Teilen in die Türkei

"Es ist ein positives Ergebnis und ich bin auf jeden Fall ein bisschen überrascht. Wir haben uns verbessert, es ist ein großer Schritt nach vorne und ich habe das Gefühl, dass wir alles besser verstehen und mehr raus holen. Wir machen Fortschritte", freute sich Rosberg und fügte an: "Wir sind hier heute sehr deutlich dritte Kraft - das ist beeindruckend, denn ganz einfache, normale Dinge haben uns geholfen." Laut Ross Brawn habe aber auch die Temperatur eine Rolle gespielt: "Wenn es heiß ist, haben wir Kühlungsprobleme." Dass die Temperaturen in China moderater waren, kam Mercedes also entgegen.

"In den nächsten Rennen wollen wir ein neues Kühlungssystem haben", kündigte der Teamchef an und hoffte so eine weitere Fehlerquelle für die Zukunft ausschließen zu können. Das Türkei-Update umfasst zudem weitere Setup und Basis-Teile. "Es kommt alles zusammen und wir verstehen es besser. Es ist noch nicht alles, aber überall gibt es Kleinigkeiten", sagte der Brite. Die Silberpfeile schließen also weiter die Lücke zur Spitze. Hätte man sich in China nicht selbst um den verdienten Lohn der harten Arbeit gebracht, wäre das auch dort schon am Ergebnis deutlicher zu sehen gewesen.

Im Rennen lag Nico Rosberg dank einer guten Strategie lange Zeit sogar in Führung, konnte die Geschwindigkeit der Top-Teams McLaren und Red Bull mühelos mitgehen und durfte sich Hoffnungen auf ein Podium, wenn nicht auf den Rennsieg machen. Dann wurde der Mercedes-Pilot via Boxenfunk jedoch vom Kommandostand instruiert Sprit zu sparen und seine Jagd auf die Spitze war schlagartig beendet. Mercedes hatte sich bei der Benzinkalkulation verrechnet - und das, weil man der eigenen guten Geschwindigkeit nicht vertraut hatte und sich so selbst überraschte.

Doppelt überrascht von der eigenen Starke

Für die Zuschauer beißt sich die Katze da natürlich selbst in den Schwanz, denn wäre Mercedes im Rennen nicht so schnell unterwegs gewesen, hätte auch der Sprit gereicht. "Wir hatten auf Basis der Long Runs bei den Tests getankt, hatten im Rennen jedoch einen deutlich besseren Speed als erwartet und verbrauchten daher mehr Sprit als vorausberechnet. Deshalb mussten Nico und Michael Sprit sparen - das hat Nico letztlich das Podium gekostet", erklärte Norbert Haug nach dem Rennen zerknirscht.

Doch bei allem Ärger wollte er die positiven Aspekte nicht aus den Augen lassen: "Wir sind zurück im Geschäft und verstehen das Auto jetzt besser. Wir haben uns in die Verfolgergruppe hineingesetzt - hoffentlich können wir das fortsetzten", meinte der Motorsportchef. Ein Favoritenschreck sei man mit den Plätzen fünf und acht zwar noch nicht, aber der Speed sei nun endlich da, stapelte der Schwabe daraufhin tief. Auch sein Pilot Nico Rosberg sprach, allem Frust zum Trotz, von einem "Riesenschritt" beim Auftritt in China.

So gab es am Ende wie so oft ein lachendes und ein weinendes Auge. Man hatte die Konkurrenz überrascht - "Ich sah einen Red Bull im Rückspiegel und er kam einfach nicht näher. Er blieb immer gleich groß und ich dachte mir: 'Was ist denn hier los?'", erinnerte sich Nico Rosberg an seine Führungsrunden - aber damit gleichsam auch sich selbst, denkt man nur an die Sprit-Causa. Haug versprach bei seiner Abreise: "Wir werden sehr hart arbeiten, um eher früher als später ein noch besseres Resultat zu erreichen." Davon ist auch Michael Schumacher überzeugt, der angab "Asien mit einem guten Gefühl zu verlassen" und den Nagel damit ziemlich auf den Kopf traf - Mercedes befindet sich im Aufwind.