Nach seinem schweren Unfall als Gaststarter bei einer Rallye in Italien gibt es im Fahrerlager eigentlich nur eine Meinung: Robert Kubica hätte auf die Risiken eines solchen Ausflugs so kurz vor Saisonstart verzichten müssen. Der Pole liegt mit diversen schweren Verletzungen nach wie vor im Santa Corona Krankenhaus in Pietra Ligure. Wenn sein Zustand in wenigen Tagen stabiler ist, sollen weitere Operationen an den Verletzungen folgen. Wann und ob Kubica jemals wieder in der Formel 1 fahren kann, steht dabei momentan in den Sternen. Genaue Prognosen über den Heilungsverlauf lassen sich wohl erst in ein paar Monaten stellen.

Trotz aller Anteilnahme und des großen Schocks für die ganze Motorsportwelt, bemängeln viele Experten und Freunde aus dem Fahrerlager nun aber das Zustande kommen der unglücklichen Umstände. "Warum bemühen wir uns um die höchsten Sicherheitsstandards in der Formel 1, wenn ein Fahrer dann bei anderen Renn-Aktivitäten schwer verletzt wird", fragte Dr. Mario Theissen, der lange mit Kubica bei BMW zusammen gearbeitet hatte und auch dessen Teamchef beim Horror-Crash des 26-Jährigen in Montreal war. Zur damaligen Zeit waren Kubica derart gefährliche Unternehmungen außerhalb der Königsklasse vertraglich untersagt.

Gemeinsam hatten Robert Kubica und Dr. Mario Theissen bei BMW eine recht erfolgreiche Vergangenheit, Foto: BMW
Gemeinsam hatten Robert Kubica und Dr. Mario Theissen bei BMW eine recht erfolgreiche Vergangenheit, Foto: BMW

Zwar gab Theissen auch an, vollstes Verständnis für Kubicas Leidenschaft zu haben, sich auch im Rallyesport versuchen zu wollen, aber der Deutsche stellte klar: "Der Fahrer ist in der Formel 1 der Schlüssel zum Erfolg. Nur er kann die unglaublichen Anstrengungen von hunderten Leuten am Ende in Resultate ummünzen." Eine Sichtweise, die auch Ex-Weltmeister Jackie Stewart teile. "Man muss schon auf seine Investition aufpassen. Es ist wirklich eine Herausforderung die Fahrer davon abzuhalten, solche Dinge zu machen - aber ich denke es war so kurz vor Saisonstart einfach sehr unklug", erklärte der Schotte dem Telegraph.

Bei Renault ließ man die Piloten an der langen Leine. Frei nach dem Prinzip 'Laisser-faire' konnten die Angestellten des französischen Autoherstellers privat ihren Hobbies nachgehen - egal wie gefährlich diese auch sein mochten. Teamchef Eric Boullier gab immer an, keine Marken-Roboter züchten zu wollen und dass gerade Kubica diese Freiheiten gebraucht habe, um richtig abschalten zu können. Dafür gab es bis vor dem tragischen Zwischenfall viel Anerkennung und Zustimmung - doch nun hagelt es selbstverständlich massive Kritik von allen Seiten.

Boullier selbst verstand den plötzlichen Wirbel hingegen nicht. "Er hätte auch einfach vom Bus überfahren werden können, als er auf dem Weg zum Bäcker war, um Brötchen zu holen", ließ der Franzose verlauten. Ohnehin kommt die Diskussion im Falle Kubica eindeutig zu spät. Das hielt einen Großteil der Fahrerlager-Prominenz jedoch nicht davon ab, weiter scharf in Richtung Renault zu schießen. Die Erlaubnis an einer solchen Rallye teilnehmen zu dürfen, sei verrückt gewesen, erklärte beispielsweise Martin Brundle.

Auch Ex-Champ-Car und IRL-Pilot Patrick Carpentier stimmte mit in den kritischen Kanon ein. "Wenn jemand Schuld an dem ganzen Dilemma hat, dann sicherlich das Team, dass ihm die Erlaubnis erteilt hat", erklärte der Kanadier. "Und dann noch so kurz vor Saisonstart - was für ein schlechtes Timing", meinte Carpentier. Etwas gelassener sah Flavio Briatore die Situation. Der Italiener besuchte Kubica im Krankenhaus und sagte: "Man kann niemandem die Schuld dafür geben - es war eben ganz einfach ein Unfall."

Zu Jacques Laffites aktiven Zeiten war die Formel 1 nicht nur neben sondern vornehmlich auf der Strecke gefährlich, Foto: Sutton
Zu Jacques Laffites aktiven Zeiten war die Formel 1 nicht nur neben sondern vornehmlich auf der Strecke gefährlich, Foto: Sutton

Ex-Formel-1-Fahrer Jacques Laffite, der mittlerweile als Kommentator für das französische Fernsehen arbeitet, erklärte: "Meine Einstellung war eigentlich immer, dass man diesen Jungs, die sowieso jeden Sonntag große Risiken auf sich nehmen, freien Lauf lassen sollte, um das zu tun, was sie wollen." Aber auch der Franzose musste zugeben, dass die Zeiten sich wohl geändert hätten. "Heute sehen wir das alles natürlich ein bisschen anders. Ein Fahrer ist Teil eines Teams mit 700 Leuten - es ist also richtig einige Einschränkungen zu haben", sagte Laffite.

Inwiefern sich die neuerlich entbrannte Diskussion um die Sicherheit der Fahrer abseits der Piste aber auf die Zukunft auswirkt, ist noch nicht klar. Erst Ende letzten Jahres war das Thema im Fahrerlager sehr präsent, nachdem Mark Webber seine Schulterverletzung enthüllt hatte, die er sich bei einem Sturz mit dem Mountainbike zugezogen hatte. Bereits damals wurde zu mehr Vorsicht gemahnt - Fakt ist aber auch: Ein Formel-1-Pilot muss trainieren und dabei manchmal an seine Grenzen gehen. Risiken sind daher in manchen Fällen einfach nicht komplett zu vermeiden.

Andere Teams in der Königsklasse ermöglichen es ihren Piloten auch, sich außerhalb des Renncockpits gewissen Gefahren auszusetzen. Die alljährlichen und berüchtigten Ski-Wochenenden der Ferrari-Mannschaft in den Alpen sind hierbei zweifelsohne als Beispiel zu nennen. Und auch Virgin schickte seine Piloten zuletzt in den Schnee. "Wir waren mit Jerome und Timo letzte Woche Ski fahren. Wir haben gesagt: Ok Jungs - bleibt auf der Piste und seid bitte vorsichtig!", erzählte Virgin-Chef John Booth im Rahmen der Präsentation des neuen Autos des britisch-russischen Teams.

So ganz schien die Ansage aber nicht angekommen zu sein. "Kaum waren wir aus dem Lift raus, sind sie im Schuss davongerast. Sie sind einfach überall gefahren", gab der Virgin-Chef zu. "Aber so sind sie nun einmal. Das ist ja auch genau das, was sie so gut macht. Man kann seine Fahrer einfach nicht in Watte packen", meinte Booth, der wusste, dass Vollblutrennfahrer eben in erster Linie eines suchen - den Rausch der Geschwindigkeit. Ganz gleich ob im Formel-1-Cockpit oder abseits der Rennstrecke.