Mit nur 4,3 Kilometern mag die Stecke von Interlagos zu den kürzesten der Saison gehören, doch an Herausforderungen für Fahrer und Ingenieure mangelt es beileibe nicht. Der Kurs am Stadtrand von Sao Paulo vereint eine der längsten Geraden der Saison mit engen Kehren und einer Reihe von Highspeed-Kurven. Das richtige Setup für diese Mixtur kann immer nur ein Kompromiss sein - und bleibt trotz aller professionellen Arbeit zu einem Teil Glückssache.

Die ewige Frage, die sich den Teams in Interlagos noch mehr als auf jedem anderen Grand Prix-Kurs stellt, lautet: Topspeed oder Kurventempo? In diesem Jahr erleichtert der F-Kanal diese Aufgabe ausnahmsweise etwas, denn er erlaubt es den Piloten, eine steilere Flügelstellung nicht mit mangelnder Endgeschwindigkeit zu bezahlen. Trotzdem bleibt die grundsätzliche Fragestellung die gleiche, wie der Leitende Renningenieur bei Renault, Alan Permane, erklärt: "Normalerweise stimmen wir die Autos so ab, dass sie die optimale Rundenzeit erzielen können, also eher mit Blick auf guten Kurvenspeed. Der F-Kanal arbeitet am Renault R30 sehr gut, deshalb sollten wir in der Lage sein, gleichzeitig eine gute Endgeschwindigkeit zu erzielen. Das heißt, wir können uns viel Downforce leisten, um die langsamen Kurven im Infield zu bewältigen und bleiben trotzdem schnell genug, um auf der Geraden einen Gegner angreifen oder uns gegen einen Angriff verteidigen zu können."

Der Sweet Spot

Bei der Suche nach optimalen mechanischen Setup ist der "Sweet Spot" ebenfalls nicht einfach zu finden. Die Fahrzeugbalance soll in den langsamen und schnellen Passagen gleichermaßen gut passen. "Die meiste Zeit lässt sich in den langsamen Kurven finden, deshalb steht eine gute Traktion immer im Vordergrund", betont Permane. "In Highspeed-Kurven wie Turn 11, wo unsere Fahrer am Scheitelpunkt gut 230 km/h drauf haben, muss das Auto wiederum sehr gut auf Lenkbefehle ansprechen - du kannst dir also kein wirklich weiches Setup leisten. Wie immer geht es darum, die perfekte Mischung zu finden."

Im Infield ist Abtrieb gefragt, Foto: Sutton
Im Infield ist Abtrieb gefragt, Foto: Sutton

Die besagten schnellen Kurven machen Interlagos wegen der dort auftretenden hohen G-Kräfte auch physisch zu einer besonderen Herausforderung für die Piloten. Am höchsten sind die Fliehkräfte in den Turns 6 und 7, wo für viereinhalb Sekunden volle 4,5g an den Fahrern zerren. Zudem wird die Piste entgegen dem Uhrzeigersinn befahren, sodass Nackenmuskeln beansprucht werden, die nicht ganz so gestählt sind wie die auf der stärkeren Seite. Schon häufig haben sich die Fahrer mit zusätzlichen seitlichen Kopfstützen beholfen, um im Verlauf der 71 Rennrunden den Helm in manchen Kurven auch mal anlehnen zu können.

16 Sekunden Vollgas

Für die Motoren stellt die lange Hauptgerade eine kritische Belastung dar. Volle 16 Sekunden lang bleibt das Gaspedal voll geöffnet. Zudem bekommen die Triebwerke weniger Sauerstoff, denn Interlagos liegt rund 800 Meter über Meereshöhe. "Diese Höhenlage kostet ein Formel 1-Aggregat rund acht Prozent seiner Leistung", bestätigt Remi Taffin, Einsatzleiter Motoren bei Renault. "Allerdings wirkt sich das auch positiv aus, weil auf die beweglichen Teile im Motor geringere Kräfte einwirken. Da das Triebwerk weniger Luft zum Atmen hat, werden Kolben, Pleuel, Kurbelwelle und andere bewegliche Teile weniger belastet."

Die Motoreningenieure konzentrieren sich am kommenden Rennwochenende auf eine gute Kraftentfaltung vor allem bei niedrigen Drehzahlen. "Es gibt in Interlagos eine Reihe kniffliger langsamer Kurven. Dort muss der Motor sehr leicht fahrbar sein und im gesamten Bereich zwischen 8.000 und 13.000 Touren Kraft anbieten", erklärt Taffin. "Die sanfte Kraftentfaltung hilft, die Balance stabil zu halten und ist die Basis einer guten Performance im engen Mittelsektor."

Problem Spritversorgung

Als letzte Herausforderung einer Runde wartet der lange Vollgas-Linksbogen, der bergauf in die Zielgerade mündet. Dort kann es vorkommen, dass wegen der Fliehkräfte nach rechts und hinten der Spritvorrat nicht abgesaugt werden kann, besonders bei Fahrten mit sehr wenig Kraftstoff im Qualifying. "Wir werden im freien Training genau beobachten, wie die Benzinversorgung klappt", so Taffin weiter. "Wir erwarten zwar keine Probleme in dieser Hinsicht, aber wir möchten auf jeden Fall auf der sicheren Seite sein."