Worum geht es heute?

"Stallregie, welche das Rennergebnis beeinflusst, ist verboten." So lautet der berühmte Artikel 39.1 des Sportlichen Reglements der FIA. Eingeführt wurde dieser Paragraf, nachdem Ferrari zwei Jahre hintereinander 2001 und 2002 beim Österreich GP mit Stallregie das Rennergebnis manipulierte - 2001 funkte Jean Todt legendär an Rubens Barrichello: "Let Michael pass for the championship."

Neun Jahre später ging wieder ein Ferrari-Funkspruch in die Motorsportgeschichte ein. Diesmal war es Felipe Massas Renningenieur Rob Smedley, der dem führenden Brasilianer in Hockenheim sagte: "Fernando ist schneller als du. Kannst du bestätigen, dass du diese Nachricht verstanden hast?" Im Klartext: Massa sollte den Spanier passieren lassen. Hinterher gab es die Entschuldigung von Smedley: "Guter Junge - sorry."

Ferrari wurde für eine unerlaubte Stallregie von den Rennkommissaren des Deutschland GP gemäß Artikel 39.1 des Sportlichen Reglements zu einer Geldstrafe von 100.000 Dollar verurteilt. Die Rennkommissare leiteten den Fall an den WMSC weiter, der über eine weitere Bestrafung entscheidet. Für die Anhörung am Mittwoch zitierte die FIA Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali sowie Teammanager Massimo Rivola nach Paris. Die Fahrer müssen entweder persönlich vor Ort aussagen oder per Video-Schaltung.

Wie lautet die Anklage?

"Aus meiner Sicht kann es nicht sein, dass bei einem so eindeutigen Regelverstoß eine so relativ geringe Bestrafung erfolgt", sagt Hermann Tomczyk, der zwölf Jahre lang im WMSC gesessen hat. "Es kann nicht sein, dass man sich mit 100.000 Dollar Strafe auch in der Zukunft WM-Punkte oder WM-Vorteile sozusagen erkaufen kann, obwohl man eindeutig gegen bestehende Regeln verstößt."

Motorsport-Magazin.com fragte seine Leser in einer Umfrage: Wie sollte Ferrari bestraft werden? 55% unserer Leser antworten eindeutig: Disqualifikation in Hockenheim. 11% fordern einen WM-Ausschluss der Scuderia für diese Saison und 8% unserer Leser eine Rennsperre. Ebenfalls 8% wären mit der Geldstrafe für Ferrari als einziger Strafe einverstanden. Ganze 18% finden, dass Ferrari für den Vorfall überhaupt nicht bestraft werden sollte.

Wie lautet die Verteidigung?

Felipe Massa musste Fernando Alonso vorbeilassen, Foto: Sutton
Felipe Massa musste Fernando Alonso vorbeilassen, Foto: Sutton

Die allgemeine Auffassung des Vorfalls: Ferrari hat in Hockenheim Felipe Massa angewiesen, Fernando Alonso passieren zu lassen. Die Italiener bestreiten das, fochten die Strafe in Hockenheim aber nicht an. Stattdessen betonte Domenicali in Hockenheim immer wieder, dass das Team Massa nur über die Situation informiert habe - es soll keine versteckte Anweisung gegeben haben.

Gleichzeitig führt Ferrari einen Feldzug gegen die ihrer Meinung nach vorherrschende Scheinheiligkeit beim Thema Stallregie. "Nach den Ereignissen von Hockenheim schwappte eine Welle der Scheinheiligkeit durch das Fahrerlager", schrieb Ferrari in einer Kolumne. "Und wo war diese Moral als in den letzten Jahren so viele andere mehr oder weniger ähnliche heuchlerische Aktionen durchführten?"

Die Lösung der Scuderia lautet deshalb: Schafft das Stallregie-Verbot ab. "Ich halte das Verbot für unvereinbar mit der Praxis", sagt Domenicali, der durchaus prominente Befürworter hat. Da die Teamorder-Debatte schwierig zu kontrollieren ist, fordern auch Bernie Ecclestone und Flavio Briatore, dass das Verbot aufgehoben werden sollte. "Das Stallregie-Verbot ist nicht mehr realistisch", pflichtet ihnen Ross Brawn bei. "Die Teams und die FIA müssen gemeinsam eine transparente Lösung finden, welche die Integrität des Wettbewerbs und den Sport schützt."

Welche Strafe droht Ferrari?

Ferrari muss sich wegen Verstoßes gegen Artikel 39.1 des Sportlichen Reglements und des als "Gummi-Paragrafen" gefürchteten Artikels 151c des Internationalen Sport-Kodex der FIA vor dem World Motor Sport Council verantworten.

Das Strafmaß reicht von einer erhöhten Geldstrafe (McLaren wurde vom WMSC in der Spionage-Affäre zu einer Rekordstrafe von 100 Millionen verurteilt) über eine Disqualifikation/Punktabzug in Hockenheim bis zu einer Rennsperre oder kompletten Disqualifikation für die gesamte Saison. Letzteres erscheint als unwahrscheinlich, schließlich findet am Wochenende nach der FIA-Sitzung der Große Preis von Italien in Monza statt.

"Sie werden vom Weltrat eine übergebraten bekommen, das steht fest", wurde Niki Lauda zitiert, der diese Aussage später jedoch widerrief. Der ehemalige FIA-Präsident Max Mosley sagt eindeutig: "Aus der bisher bestehenden Faktenlage müsste es neben der ausgesprochenen Geldstrafe eine sportliche Sanktion geben." Mosley geht davon aus, dass Ferrari die Punkte von Hockenheim verliert: "Eigentlich müssten beiden Autos und beiden Fahrern die Punkte des Grand Prix von Deutschland aberkannt werden."