Das Positive zuerst: Das Rennen in Barcelona hat der DTM eine sehr breite Öffentlichkeit beschert - sie ist in aller Munde. Bis zum Rückzug der verbliebenen Audi-Boliden war das Rennen auf dem Circuit de Catalunya für die Zuschauer durchaus nicht unattraktiv - und beschert uns für das Saisonfinale in Hockenheim einen spannenden Dreikampf der Meisterschaftsanwärter. Das Rennen hat gezeigt, dass es in der DTM keinerlei Absprachen zwischen Audi und Mercedes gibt: Behauptungen, wonach die Hersteller die Siege hinter den Kulissen unter sich aufteilen, sind endgültig ad absurdum geführt worden. Und Jamie Green hat seinen ersten Sieg eingefahren - der jedoch wohl einige Monate zu spät kommt, um sein Schicksal bei Mercedes noch abzuwenden. Fraglich ist auch, ob Jamies Sieg unter normalen Umständen möglich gewesen wäre.

Jamie Greens erster Sieg kam zu spät, Foto: Sutton
Jamie Greens erster Sieg kam zu spät, Foto: Sutton

Insgesamt ging es in Barcelona hart - oft auch zu hart - zur Sache, und dass sowohl Mattias Ekström als auch Martin Tomczyk ihr Rennen beenden mussten, war ohne Zweifel zu viel des Guten. Wenn zwei Titelkandidaten einer Marke durch Unfälle ihre Position verlieren und am Ende aufgeben müssen, ist das nicht einfach zu verkraften - dafür geht es auch bei Audi um zu viel. Dass bei Fahrern, Teamchefs und Sportchefs die Emotionen im Cockpit und am Kommandostand hochgekocht sind, ist menschlich.

Der Eklat...

Dennoch kann ich die Entscheidung Audis, die restlichen Fahrzeuge zurückzuziehen, nur schwer nachzuvollziehen - ebenso wie die Mehrheit der Zuschauer: An Stelle Audis hätte ich gekämpft, bis sich kein Rad mehr dreht. Und auch wenn man die Entscheidung rein emotional verstehen konnte, merken die Ingolstädter im Nachhinein vielleicht selbst, dass sie rational betrachtet einen Fehler gemacht haben. Ohnehin gilt es, die Emotionen herunterzufahren und die Geschehnisse noch einmal zu analysieren:

Mika Häkkinen stand in der ersten Startreihe und rechnete sich Siegchancen aus. Er war in der Anfangsphase schneller als Martin und konnte zunehmend Druck ausüben. Mika hatte den Entschluss gefasst, in der ersten Kurve innen hineinzustechen, kam jedoch von der Ideallinie ab und hat sich auf dem schmutzigen Teil der Strecke völlig verschätzt. Er verpasste den Bremspunkt, seine Vorderräder blieben stehen - und schoss dann über den Einlenkpunkt hinaus. Hätte Martin sehen können, welchen Geschwindigkeitsüberschuss Mika hatte, hätte er mit Sicherheit nicht eingelenkt. Beinahe wäre diese Szene sogar noch glimpflich ausgegangen: Martin erwischte Mika beim Einlenken nur leicht am Hinterrad - was jedoch reichte, um die bekannten Defekte herbeizuführen. Ich glaube nicht, dass Mika dieses Manöver gefahren ist, um Martin abzuschießen. Ihm ist ein Fehler unterlaufen, der jedem Rennfahrer schon passiert ist.

Auch die Kollision zwischen Mattias Ekström und Daniel La Rosa hatte ihren Ursprung in der ersten Kurve: Mattias hatte sich innen neben Daniel platziert und konnte sich bis zum Kurvenausgang einen leichten Vorsprung erarbeiten. Mattias wollte Daniel bei der Zufahrt auf die folgende Linkskurve, wo Daniel wieder innen gewesen wäre, nicht mehr Platz lassen als nötig. Daniel wäre besser beraten gewesen, im Kampf gegen den Meisterschaftsführenden, der bereits einen Boxenstopp absolviert hatte, zurückzustecken - so wäre es nicht zu dem auch für ihn folgenschweren Unfall gekommen.Letztlich hat dieser Zwischenfall bestätigt, dass die Jahreswagen beider Marken durchaus angewiesen sind, den gegnerischen Neuwagen das Leben schwer zu machen. Bis zu welchem Level das angemessen ist, ist zu diskutieren.

Für Audi bildeten die Duelle Lauda/Scheider und Spengler/Rockenfeller das i-Tüpfelchen, das schließlich zum Rückzug der restlichen Autos aus dem Rennen geführt hat. Doch während Timo nach einem grenzwertig harten Zweikampf mit Mathias einen Reifenschaden erlitt, gab es sachlich gesehen zwischen Bruno und Mike für Audi keinen Grund zur Aufregung: Mike und Bruno schenkten sich gleichermaßen nichts - wobei mit Brunos C-Klasse auch das Fahrzeug des dritten Titelkandidaten hätte Schaden nehmen können.

... der Lerneffekt

Die Hersteller haben bekräftigt, dass dieses Rennen keinen Einfluss auf ihr Engagement für 2008 hat. Zunächst gilt es, in Hockenheim ein sauberes Rennen auszutragen, bei dem der Bessere gewinnt - doch damit ist es nicht getan: Mit Blick auf den gesamten Saisonverlauf sollte man für das kommende Jahr dringend über Änderungen am Sportlichen Reglement nachdenken. Die Kollision zwischen Daniel und Mattias führt uns zu grundsätzlichen Problemen der DTM, die in diesem Jahr immer wieder zum Vorschein kamen:

Scheider wurde ein grenzwertig harter Zweikampf mit Lauda zum Verhängnis, Foto: Sutton
Scheider wurde ein grenzwertig harter Zweikampf mit Lauda zum Verhängnis, Foto: Sutton

So wären die Eingriffe von Jahreswagen ins Rennen der aktuellen Fahrzeuge, die durch einen früheren Boxenbesuch hinter sie zurückgefallen sind, nicht möglich, wenn es nicht die Pflichtboxenstopps gäbe. Insbesondere die aktuelle Saison wirft die Frage auf, ob Boxenstopps nach Formel-1-Muster für den Tourenwagensport das richtige Tool sind, um Spannung zu erzeugen. Nicht zuletzt mit Blick auf die immer wiederkehrende Diskussion um die Transparenz für den Zuschauer, nachdem die aktuellen, enorm konstanten Reifen Stings in beliebiger Länge möglich machen.

Es muss, wie auch von Hans Werner Aufrecht gefordert, in den Regeln klar definiert werden, was den Fahrern erlaubt ist und was nicht. Bislang wird diese Definition schmerzlich vermisst, nachdem auch in Zeiten der neuen Rennleitung die Diskussionen nicht abreißen, welches Zweikampfverhalten hart an der Grenze ist - und welches die Grenzen überschreitet. Darüber hinaus könnte ein neues Strafsystem Einzug erhalten: Warum nicht in Anlehnung an den Fußball? Wer von der Rennleitung zwei gelbe Karten erhält, sieht Rot - und muss beim nächsten Rennen zehn Plätze in der Startaufstellung abgeben, wenn nicht gar das gesamte Rennwochenende aussetzen.

Voraussetzung, um solche Neuerungen reibungslos umzusetzen, wäre eine Entscheidungshilfe für die Rennleitung. Immer wieder wird deutlich, dass es von außen nur schwer vorstellbar ist, was aus Sicht des Fahrers im Fahrzeug passiert - wie es zu Kollisionen kommt, wann eine Berührung vermeidbar ist und wann nicht. Ein Rennfahrer agiert aus dem Bauch heraus und kann nicht innerhalb von Sekundenbruchteilen Für und Wider eines Manövers abwägen. Deshalb sollte darüber nachgedacht werden, die Rennleitung bei ihren Entscheidungen mit dem Rat eines erfahrenen Rennfahrers zu unterstützen.