Nicht nur beim Ausfüllen ihrer Steuererklärung stoßen die DTM-Protagonisten auf ein kompliziertes Steuersystem. Auch am Rennwochenende begegnet es ihnen bei der Setup-Arbeit immer wieder: So bildet neben der Aerodynamik das Fahrwerk die zweite große Variable im Kampf gegen Unter- und Übersteuern und beim Finden des perfekten Renn-Setups. Versteckt unter der Kohlefaser-Silhouette der DTM-Boliden gerät sie nur selten ins Rampenlicht: Stefan Aicher, Technischer Projektleiter Audi A4 DTM, und die adrivo Sportpresse führen Sie in die Welt der Fahrwerkstechnik ein.

Reglementarisch kaum gesteuert

Anders als ihre Kollegen aus dem Aerodynamik- und Motorenbereich sind die Fahrwerkstechniker in ihrer Arbeit nicht vom Technischen Reglement der DTM eingeschränkt - mit nur wenigen Ausnahmen. So kommt bei den Bremsen, streng genommen auch Teil des Fahrwerks, eine reglementarisch vorgeschriebene Einheitstechnik zum Einsatz, die zur Kostensenkung beitragen soll. Im Kernbereich der Fahrwerkstechnik sind laut Stefan Aicher hingegen nur wenige Einschränkungen zu beachten: "Das Reglement erlaubt als Werkstoffe nur Stahl und Aluminium."

Ohne intakte Servolenkung wird das Auto angesichts seiner Achskinematik unfahrbar, Foto: Audi
Ohne intakte Servolenkung wird das Auto angesichts seiner Achskinematik unfahrbar, Foto: Audi

So entsteht aus herkömmlichen Metallen eine Achskonstruktion, die im Automobilbau auch in der Serie gelegentlich Verwendung findet, in der DTM jedoch für den reinrassigen Renneinsatz ausgelegt ist: Die Doppelquerlenker-Achse. So ist das Rad an jeweils zwei Dreieckslenkern befestigt, die quer zur Fahrtrichtung eingebaut sind. Über drei Gelenke ist der obere und untere Lenker mit dem Chassis und dem Achsträger verbunden. Neben den beiden Dreiecksquerlenkern trägt die Spurstange zur Führung des Radträgers ebenso bei wie zur Spurstabilität des Fahrzeugs.

Stefan Aicher beschreibt: "Über eine Zug-/Druckstange wird vom Rad ein Umlenkhebel aktiviert, mit dem wiederum das Feder-/Dämpfer-Element verbunden ist. Im Grunde genommen genau die Technik, die auch in der Formel 1 verwendet wird." Auf Komfort, wie er in der Serie durch immer aufwändigere Mehrlenkerachsen mit bis zu fünf Lenkern pro Rad erreicht werden soll, wird in der DTM größtenteils verzichtet. Lediglich die Lenkung bietet laut Aicher ein notwendiges Mindestmaß an Komfort: "Wir haben eine servounterstützte Lenkung, weil das Auto bedingt durch die spezielle Achskinematik nur mit Muskelkraft über eine mechanische Lenkung nicht zu fahren wäre. Die Servounterstützung muss hydraulisch und darf laut Reglement nicht elektrisch sein, um die Kosten unter Kontrolle zu halten." Mit Blick auf die Sicherheit werden hingegen umso größere Anstrengungen unternommen:

So lässt das Fahrwerk eines DTM-Boliden zwar je nach Abstimmung ein deutlich übersteuerndes Einlenkverhalten zu. "Ein Serienfahrzeug ist hingegen immer eher untersteuernd ausgelegt, was für den normalen Autofahrer besser zu handhaben ist", vergleicht Stefan Aicher. Bei Stabilität und Standfestigkeit der Achsen und Fahrwerkselemente werden jedoch keine Kompromisse eingegangen. Aicher nennt die Entwicklungsschritte vor der Saison: "Die Achsen werden von uns zunächst mit speziellen Computerprogrammen theoretisch berechnet und ausgelegt, dann werden sie konstruiert und kommen auf den Audi-eigenen Prüfstand, wo die späteren Belastungen mit Lastkollektiven, die wir vorher auf den verschiedenen Strecken gemessen haben, simuliert werden."

Verschiedenste Steuerungstools

Im Renneinsatz angekommen bildet das Fahrwerk neben den aerodynamischen Elementen eine wichtige Variable beim Gesamt-Setup des Fahrzeugs. "Das Fahrzeug wird über feine Abstimmung an Feder-/Dämpfer-Element, Stabilisatoren und Radsturz auf Übersteuern, Untersteuern oder neutrales Fahrverhalten getrimmt - je nach Streckencharakteristik", erklärt Stefan Aicher, "mechanische und aerodynamische Balance müssen optimal zueinander und auf die Strecke passen." Dabei kann das geeignete Setup von Strecke zu Strecke grundverschieden ausfallen: "In Mugello versucht man, das Auto mit so viel Abtrieb wie möglich auszustatten, weil man in den vielen schnellen Kurven ein Höchstmaß an aerodynamischem Grip braucht. Entsprechend wird das Fahrzeug bei hohem aerodynamischen Grip durch das Setup der Feder-/Dämpferkombination etwas härter abgestimmt als auf Strecken wie dem Norisring, wo mit wenig Aerodynamik gefahren wird."

Die Fahrwerksabstimmung erweist sich als zeitaufwändig, Foto: Sutton
Die Fahrwerksabstimmung erweist sich als zeitaufwändig, Foto: Sutton

Ebenso wie das Setup der Feder-/Dämpfereinheit trägt auch das Setup der Stabilisatoren zur "Härte" der Abstimmung bei. Der Stabilisator verbindet die beiden Radaufhängungen einer Achse in einem u-förmigen Bogen, so dass Kräfte, die am einen Rad auftreten, ausgleichend auf das gegenüber liegende Rad wirken. Voraussetzung für die Nutzbarkeit der Stabilisatoren als Setup-Faktor ist laut Aicher die Gesamtkonzeption eines DTM-Boliden: "Ein Rennfahrzeug ist extrem steif in seiner gesamten Chassis-Struktur. Auch die Achsen sind nur in minimalem Maße elastisch, damit der reine Effekt der Feder-/Dämpfer-Abstimmung sowie der Stabilisatorenabstimmung im Fahrverhalten zu spüren ist. Ansonsten ginge beispielsweise eine harte Stabilisatorenabstimmung in der Gesamtelastizität des Fahrzeugs unter, für den Fahrer würde sich alles gleich anfühlen."

Von Unter- und Übersteuern

Für ein nicht neutrales Fahrverhalten - ob gewollt oder ungewollt - sind größere Unterschiede im Setup an Vorder- und Hinterachse verantwortlich. "Wenn ich vorne eine weiche und hinten eine harte Abstimmung fahre, habe ich vorne viel und hinten wenig mechanischen Grip - so kommt es leicht zum Übersteuern und umgekehrt zum Untersteuern", verdeutlicht der Projektleiter. Das Maß des negativen Radsturzes, bei dem die beiden Räder einer Achse auf der Fahrbahn einen größeren Abstand aufweisen als im oberen Bereich des Radkastens, beeinflusst das Setup gleich in zweifacher Hinsicht: So trägt die Wahl des Radsturzes sowohl entscheidend zum Reifen-Setup als auch zur generellen Charakteristik des Fahrverhaltens bei:

"Die Seitenführungskraft ist stark abhängig vom Sturzwert. Dieser wird meist so eingestellt, dass der Reifen in seinem optimalen Temperaturfenster liegt. Bei Betrachtung des Reifens sieht man nach einigen Runden genau, ob zu viel oder zu wenig Sturz gewählt wurde", erläutert Stefan Aicher, "wenn das Verhältnis vom Sturz an Vorder- und Hinterachse nicht passt, wenn beispielsweise vorne zu viel und hinten zu wenig Sturz eingestellt wurde, hat man vorne zu viel Seitenführung und hinten zu wenig - es kommt zum Übersteuern. Somit gibt es verschiedenste Tools, das Fahrverhalten des Autos rein mechanisch zu beeinflussen."