Schon der bloße Blick auf einen Rennboliden zeugt von einiger Kreativität: Während in der Formel 1 die Flügel über die Fahrzeugnase und Hörner auf den Airboxen wachsen, findet sich auch an den DTM-Fahrzeugen kaum ein Teil, das aerodynamisch nicht bis ins letzte Detail optimiert wäre. In der Serienversion eher filigrane Stoßfänger werden mit zusätzlichen Aero-Teilen bedacht; Kotflügel werden von ausladendem Flügelwerk umrahmt. Vincent Bichon, Aerodynamiker bei Audi Sport mit Schwerpunkt Sportprototyp, Strecke und Prüfstände, und die adrivo Sportpresse führen Sie in die Welt der Aerodynamik ein - zwischen Simulation und Realität...

Von Windkanal...

Da Mercedes 2007 und Audi 2008 neue Serienversionen von C-Klasse und A4 als Basis der DTM-Silhouetten dienen, wurde die zuvor weitest gehend eingefrorene aerodynamische Entwicklung zwar wieder zu größeren Teilen freigegeben. Mit unbegrenzten Spielräumen für die Aerodynamiker ist dies jedoch nicht gleichzusetzen. "Die Freiheiten im Radhäuser Bereich sind richtig definiert und begrent, dazu viele Teile des Vorderwagens und der Unterboden", nennt Vincent Bichon nur einige Beispiele; die Festlegung auf einen Einheitsheckflügel ist in der DTM schon lange Tradition. Umso größer ist die Herausforderung, bei der Entwicklungsarbeit vor der Saison immer neue Details zu finden, die bei allen reglementarischen Restriktionen für die entscheidenden Hundertstelsekunden sorgen:

Im Windkanal erleben die Entwicklungen der Aerodynamiker ihre Feuerprobe, Foto: Sutton
Im Windkanal erleben die Entwicklungen der Aerodynamiker ihre Feuerprobe, Foto: Sutton

"Auch bei der Weiterentwicklung eines bestehenden Autos müssen wir ungeheuer viel Aufwand betreiben, wenn auch naturgemäß etwas weniger als bei einem komplett neuen Fahrzeug. Die Konkurrenz schläft nie", stellt Bichon fest. Als Ergebnis der Weiterentwicklung fallen in diesem Jahr insbesondere die veränderten Kühllufteinlässe rund um den Singleframe-Kühlergrill des Audi A4 DTM auf: "Man versucht, die Kühlluft effizient zu definieren, ohne dass sie das Gesamtkonzept der Aerodynamik stört. Man muss immer wieder versuchen, vor der Saison die bestmöglichen Kompromisse zu finden."

In dieser Saison erwartet auch die Aerodynamiker bei Audi eine ganz besondere Herausforderung: Parallel zur Weiterentwicklung des bestehenden A4 DTM sind schon vor Monaten die Entwicklungsarbeiten für den Nachfolger angelaufen, der sich Ende dieses Jahres als Serienmodell, ab 2008 auch in der DTM in völlig neuem Gewand präsentiert: "Gerade aerodynamisch ist das eine sehr schwierige Aufgabe. Der neue Audi A4 sieht deutlich anders aus als sein Vorgänger. Das bedeutet für uns sehr, sehr viel Aufwand."

Wie auch seine Vorgänger muss sich der A4 DTM für 2008 zunächst im Windkanal beweisen. "Mit jeder Stunde im Windkanal entdeckt man neues Verbesserungspotenzial. Es gibt immer etwas zu gewinnen", beschreibt Bichon, "man kann das komplette Auto untersuchen, indem man ein Karbonmodell des Fahrzeugs, das nur 40 Prozent so groß ist wie das Original, in einen entsprechenden Windkanal stellt. Dabei können wir verschiedene aerodynamische Elemente und Varianten wechseln und ausprobieren."

Doch auch der klassische 1:1-Windkanal kommt zum Einsatz: "Wenn wir einen neuen Flügel entwickeln, kann man das am besten im Windkanal, ob mit dem Karbonmodell oder dem 1:1-Windkanal. Doch jeder Prüfstand hat Vor- und Nachteile. Bei anderen Messungen können Tests auf der Strecke sinnvoller sein." So sind irreführende Windkanaldaten nicht nur in der Formel 1 gefürchtet. "Es gibt immer wieder abweichende Daten zwischen den verschiedenen Prüfständen", gesteht Bichon, der somit vor allem in der Endphase der Entwicklung auf Tests unter realen Bedingungen setzen muss.

...und Wind real

"Am Ende sind jedoch die Tests auf der Strecke entscheidend. Man versucht, die Stunden auf der Strecke so effizient wie möglich zu nutzen", spielt Vincent Bichon auf die reglementarisch limitierte Zahl an Testtagen in der DTM an. Insbesondere während der Saison bieten sich kaum noch Gelegenheiten, konzeptionelle Fehler bei Testfahrten rückgängig zu machen oder dabei gar Vorarbeit für streckenspezifische Renn-Setups zu leisten. So müssen sich die Aerodynamiker häufig anderer Mittel bedienen: "Die Aerodynamik arbeitet viel mit Simulation. Wir haben Computerprogramme, die uns die Rundenzeit auf einer Strecke errechnen, wenn wir alle Parameter des Autos eingeben. So können wir schon vor den ersten Runden auf der Strecke das aerodynamische Basis-Setup erstellen." Mit Blick auf die viel diskutierten Gewichtsregeln ergänzt er: "Auch das Gewicht des Autos spielt für die aerodynamische Balance eine Rolle."

Erste Tests auf der Strecke decken falsche Windkanaldaten auf, Foto: DTM
Erste Tests auf der Strecke decken falsche Windkanaldaten auf, Foto: DTM

Auf der Strecke angekommen gilt es für Fahrer und Renningenieure, die Arbeit der Aerodynamiker mit guter Abstimmungsarbeit in der Praxis umzusetzen. Die Bodenhöhe will vorne und hinten korrekt eingestellt sein, damit die vom Splitter, einer schmalen Karbonfaserlippe an der Spitze des Fahrzeugs, unter das Fahrzeug geleitete Luft die beiden Diffusoren optimal anströmt. Die vor der Vorder- und hinter der Hinterachse befindlichen ansteigenden Luftleitbleche geben der Luft Raum zur Ausbreitung - und tragen so den größten Teil zum so genannten Ground-Effekt bei. Ebenso wie die Flics an den vorderen Ecken des Fahrzeugs, neben dem Splitter die wichtigsten Aero-Teile an der Front, muss auch der Heckflügel optimale Arbeit bei der Luftführung leisten:

Das 140 Zentimeter breite bietet trotz aller reglementarischen Restriktionen genug Potenzial für Zeitgewinne und -verluste. Mit dem Flap, einem verstellbaren Flügelelement oberhalb des Hauptflügels, und dem Gurney, eine nach oben gebogene Trimmleiste, kann die Abtriebsverteilung auf Vorder- und Hinterachse variiert werden. Vincent Bichon bilanziert: "So wenig Spielraum der Heckflügel für uns Aerodynamiker bietet, so viele Chancen eröffnet er dem Fahrer bei der Setup-Arbeit..."