Kein Szenario war in der Vergangenheit zu absurd, als dass es im allgemeinen Nürnberger Chaos nicht einmal zur erstaunlichen Realität geworden wäre. Auch in diesem Jahr könnte so manche Kuriosität der Langeweile der Stuttgarter Dominanz trotzen...

Das erste Szenario

Fiktion... "'Morgen fahre ich Maximum Attack. Man wird von mir ein brutales Rennen sehen', hatte Christian Abt nach seinem zehnten Platz im Qualifying angekündigt, 'die machen schon Platz...' Jamie Green, dessen Siegträume 2006 nach einem Duell mit Abt jäh endeten, stockt angesichts dieser Aussage der Atem. Nicht nur der Brite plagt sich am Abend mit Einschlafstörungen: Wie ist der schwarzen Bedrohung im Playboy-A4 nur zu entkommen? Zwar versucht Abts Lieblingsfeind Norbert Haug, ein Startverbot für den heißblütigen Bayern zu erwirken - vergeblich. Mit zitternden Knien stehen die Piloten am Mittag in der Startaufstellung, mit Sorgenfalten auf der Stirn durchlaufen sie die Einführungsrunde.

Sorgt dieser Mann bei seinen Gegner für schlaflose Nächte?, Foto: Sutton
Sorgt dieser Mann bei seinen Gegner für schlaflose Nächte?, Foto: Sutton

Von Startplatz sechs aus legt Jamie Green einen gewohnt mäßigen Start hin - diesmal mit voller Absicht: Der HWA-Pilot will sich schon vor der Grundig-Kehre hinter Abt zurückfallen lassen, um Berührungen aus dem Weg zu gehen. Zwar bleibt der große Knall in der ersten Kurve aus. Doch Christian Abt präsentiert sich selbst im Kampf gegen seine Markenkollegen mehr als angriffslustig. Ebenso wie die Mercedes-Piloten lassen auch die Audi-Lenker den Bayern im Ingolstädter Jahreswagen sicherheitshalber passieren - und hoffen vergeblich auf einen nachträglichen Funkspruch zu Ungunsten Abts. Christian Abt erringt in Nürnberg seinen ersten DTM-Sieg und will seinen Rücktritt noch einmal überdenken..."

... und Realität: Nicht wesentlich wahrscheinlicher als ein Sieg für Christian Abt erscheint auch diesmal in Nürnberg ein Triumph für die Ingolstädter Neuwagen. Zwar kommt Audi das prognostizierte trockene Wetter weit mehr entgegen als die gestrigen Wolkenbrüche - doch selbst beim freien Samstagstraining waren die 2007er-Audi ihren Mercedes-Pendants bestenfalls ebenbürtig. Die Longrun-Performance wurde am Freitag zwar unter anderem von Mattias Ekström positiv bewertet, schien jedoch ebenfalls nicht überragend.

Legt der Pilot dieses Fahrzeugs mit voller Absicht einen schlechten Start hin?, Foto: Sutton
Legt der Pilot dieses Fahrzeugs mit voller Absicht einen schlechten Start hin?, Foto: Sutton

Hoffnung gibt die Tatsache, dass sich Audi bislang noch in jedem Rennen verglichen mit dem Qualifying deutlich steigern konnte - bis hin zu einer siegfähigen Performance. Der Umsetzung guter Rundenzeiten über die Distanz stehen naturgemäß die Startplätze gegenüber: Zwar zeigten die vier Abt-Audi-Piloten gestern eine durchaus geschlossene Mannschaftsleistung, auf Grund derer sich niemand als Einzelkämpfer gegen die HWA-Piloten wird beweisen müssen. Eine fehlerlose Rennstrategie sowie ein Quäntchen Rennchaos sind für die bestmögliche Schadensbegrenzung dennoch unumgänglich.

Das zweite Szenario

Fiktion... "Die Meteorologen haben sich deutlich verschätzt: Erledigten die Piloten im Warm-up noch mit Hingabe den letzten Schliff an der Trockenabstimmung, so droht gegen Mittag bereits der Dutzendteich weite Teile des früheren Reichsparteitagsgeländes zu überschwemmen. Zur Erleichterung insbesondere von Pole-Inhaber Bruno Spengler beginnt das Rennen hinter dem Safety-Car, bevor der fliegende Start erfolgt. Mika Häkkinen kann seinen kanadischen Teamkollegen noch vor der ersten Kurve überrumpeln und erarbeiten sich einen gewaltigen Vorsprung.

Wird dieses Fahrzeug die Konkurrenz überrunden?, Foto: DTM
Wird dieses Fahrzeug die Konkurrenz überrunden?, Foto: DTM

Während Regenspezialistin Vanina Ickx durchs Feld pflügt und Jamie Green sowie Gary Paffett eine Verwarnung durch die Rennleitung eine Verwarnung erhalt, nachdem sie bei den Überrundungsversuchen der Belgierin allzu sehr im Weg stehen, verschärft sich der Regen. Mike Rockenfeller stellt seinen A4 DTM nach jüngsten Le-Mans-Erlebnissen vorsorglich in der Box ab, die Rennleitung entscheidet sich nach 50 Prozent der Renndistanz zum vorzeitigen Abbruch - und damit zur halbierten Punktewertung. Der nach wie vor führende Häkkinen weigert sich, das Parc-fermé aufzusuchen, und versucht aus Angst vor einer erneuten Halbierung seines Sieg-Zehners, die rettenden 75 Prozent der Distanz zurückzulegen. Der disqualifizierte Finne umrundet immer noch den Kurs, während Bruno Spengler die oberste Podeststufe besteigt...

... und Realität: Zwar werden die überlegenen Regenqualitäten sämtlicher C-Klasse-Generation anders als im Qualifying während des voraussichtlich trockenen Rennens nur wenig hilfreich sein. Doch auch im Trockenen wurde eine im Kampf gegen Audi mehr als ausreichende Longrun-Performance mehrfach angedeutet - die nun halbwegs souverän umgesetzt werden will. Trotz des allgegenwärtigen Nürnberger Chaos bewiesen die Stuttgarter wie 2005 im Falle Gary Paffetts selbst im größten Scherbenhaufen einen kühlen Kopf und strategisches Geschick.

Mehr Spannung verspricht der teaminterne Kampf der HWA-Piloten: Während Jamie Green gestern nicht ganz an die Leistungen seiner Teamkollegen heranreichte, ist neben Spengler und Häkkinen in Reihe eins auch der drittplatzierte Bernd Schneider Siegkandidat. Ohne ein unwahrscheinliches Eingreifen des Kommandostands verspricht das Trio, sich im Kampf um den Sieg keine Geschenke zu machen: Während das kanadisch-finnische Duo mit einem Sieg letzte Meisterschaftschancen wahren könnte, hat Schneider nach seinem Brands-Hatch-Triumph Blut geleckt - und könnte in Nürnberg eine deutliche Führung in der Meisterschaft sicherstellen.