Chaos hoch 18 - so konnten die Bilder, die sich dem Zuschauer auf dem EuroSpeedway Lausitz nach den Ausfällen Alexandros Margaritis' und Markus Winkelhocks darboten, kurz und schmerzlos auf den Punkt gebracht werden. In Folge der ersten Safety-Car-Kilometer wuchs bei den 18 verbliebenen Piloten und ihren Teams Runde für Runde die Ahnungslosigkeit. Wieso die Ampel an der Boxenausfahrt welche Farbe zeigte und nach welchen Kriterien grüne und rote - oder waren es blaue? - Flaggen geschwenkt wurden, wieso sich das Safety Car wo auf der Strecke befand - all das entzog sich der mehrheitlichen Kenntnis. Mika Häkkinens Sieg wurde zwar nach einer fehlerlosen Fahrt des Finnen zurecht bejubelt, was er jedoch wirklich wert war, blieb zunächst unklar.

Halbierter Überblick

Im Leben eines DMSB-Vertreters mag es ruhmvollere Momente geben: Michael Schwägerl biss in den sauren Apfel und stellte sich um 17:15 Uhr den Medienvertretern. Das Rennergebnis, seit 90 Minuten ausgesetzt, erklärte er für endgültig: "Wir sind der Auffassung, dass das Ergebnis, das jetzt wieder ausgehängt wurde, letztlich dem Rennverlauf entspricht. Bei der Durchsicht aller Durchfahrtszeiten konnten wir zu keinem anderen Ergebnis kommen." Ob die Schaltung der Boxenampel das Rennresultat beeinflusst habe, lasse sich "leider nicht mehr feststellen", ein Restrisiko sei "nicht auszuschließen". Ein immerhin gut gemeinter Auftritt...

Mit der Konfusion um Ekströms ersten Boxenstopp begann das Chaos, Foto: Sutton
Mit der Konfusion um Ekströms ersten Boxenstopp begann das Chaos, Foto: Sutton

Auch wenn sich die Rennleitung redlich um das Ausbügeln ihrer Fehler mühte: Der DTM war mit dem dritten Saisonlauf kein Gefallen getan. Großzügige Zeitgenossen mögen das Irren auch in Reihen der zweifelsohne aus Menschen bestehenden Rennleitung für menschlich gehalten haben, auf die Mühlen ihrer traditionell nicht zimperlichen Kritiker hatte die DTM jedoch neues Wasser gegossen. Als regelrechte Karikatur der pflichtstoppenden und rennstrategisch immer anspruchsvolleren DTM konnte den dritten Saisonlauf ausschlachten, wer sich zu den Gegnern der Serie zählte. Und ohne Zweifel: Im Falle eines knappen Meisterschaftsausgangs wären mit der anfangs anvisierten vollen Wertung des Rennens stetig Zweifel geblieben.

Volle Schadensbegrenzung

Hatte der DMSB schon am Mittwoch angekündigt, die Ergebnisliste noch einmal unter die Lupe nehmen zu wollen, so folgte heute die Gewissheit: Das Chaos hat Konsequenzen - in Form einer halbierten Wertung des Rennens. Schrammte die DTM schon in Hockenheim bedingt durch die Verkürzung des Saisonauftakts nur knapp an einer halbierten Punktevergabe vorbei, so stand nun gar die Annullierung des dritten Saisonlaufs zur Debatte. Eine Entscheidung, mit der man so mancher fahrerischen Leistung nicht gerecht geworden wäre:

Häkkinens Sieg darf endgültig als lupenreiner Erfolg gewertet werden, Foto: Sutton
Häkkinens Sieg darf endgültig als lupenreiner Erfolg gewertet werden, Foto: Sutton

Schon am Sonntag taugte der Häkkinen-Sieg in der allgemeinen Konfusion als Stimmungsaufheller - zweifelte doch angesichts der aktuellen Hochform des Finnen kaum jemand an der Verdientheit seines Triumphes. Dass nach der weiteren Analyse des DMSB nicht nur Häkkinens zweiter DTM-Sieg, sondern auch Paul Di Restas zweiter Platz für zweifelsfrei korrekt erklärt werden konnte, sorgte für allgemeine Erleichterung. Dass die restlichen Platzierungen oft anhand der Analyse weder für richtig noch für falsch befunden werden konnten, lässt die halbierte Wertung des Rennens vernünftig erscheinen: Die Verantwortlichen demonstrieren Einsicht.

Während Audi noch während des Rennens nicht ganz uneigennützig mit dem Gedanken an einen Protest spielte, beharrte Mercedes ebenso nicht ganz uneigennützig auf der anstandslosen Wertung des Rennens. Die Halbierung der Punktewertung - sowie die Halbierung von Gewichtszunahmen und -reduktionen für Brands Hatch - bietet eine annehmbare Kompromisslösung, die auf beiden Seiten gleichermaßen Gewinner und Verlierer kennt. So dürften die Stuttgarter von dem halbierten Punktesegen nur mäßig begeistert sein, während man in Ingolstadt erneut mit den Pfunden hadern wird:

Gewinner & Verlierer

Paul Di Resta ist Verlierer der heutigen Entscheidung, Foto: DTM
Paul Di Resta ist Verlierer der heutigen Entscheidung, Foto: DTM

Zwar erscheint es aus Sicht Mika Häkkinens zunächst tragisch, den so lange erwarteten zweiten DTM-Sieg mit mageren fünf Punkten belohnt zu sehen. Beim Blick auf die Abstände im Titelkampf ist die DMSB-Entscheidung für den HWA-Piloten hingegen zu verschmerzen: Statt eines Rückstands von zehn Punkten auf Spitzenreiter Paul Di Resta muss sich Häkkinen nun mit elf Punkten Abstand abfinden. Di Resta geht als Verlierer des heutigen Tages hervor: Nicht mit acht, sondern "nur" noch über vier Punkte Vorsprung auf den Tabellenzweiten Mattias Ekström darf sich Di Resta freuen. Angesichts seiner aktuellen Topform wäre es für Di Resta ein Leichtes gewesen, die Führung im Titelkampf auch in Brands Hatch aufrechtzuerhalten - nun wittern Ekström und Martin Tomczyk schon beim nächsten Rennen Morgenluft.

Auch für die restlichen HWA-Piloten sowie Timo Scheider ändert sich die Distanz zum Tabellenführer nur unwesentlich. Unangenehmer auch für Scheider sind hingegen die Auswirkungen des Beschlusses, auch die Gewichtseinstufung in Brands Hatch zu verändern. Statt mit eträglichen 14 Kilogramm treten die 2007er-Audi nun auch südlich von London mit einem nur mäßig erleichterten, 21 Kilogramm schweren Rucksack an - ein Hindernis, das gerade auf einer Berg- und Talbahn wie dem britischen Traditionskurs ungelegen kommt. Die Hoffnung auf komplett ausgeglichene Gewichtsverhältnisse darf mit den einmaligen Gewichtszu- und abnahmen von 3,5 Kilogramm schon jetzt begraben werden. Auch beim Blick auf die Gewichtstabelle wird man so noch lange der Lausitzer Konfusion erinnert werden - selbst wenn nach drei Rennen voller Kuriositäten künftig wieder die Gattung der "normalen" Rennen zu bestaunen sein sollte...