Vier Scheibenbremsen, davon die beiden vorderen innenbelüftet, werden in den meisten aktuellen Serienfahrzeugen verbaut, mit einem beherzten Tritt aufs Bremspedal werden sie - im Notfall mit Hilfe eines elektronischen Bremsassistenten - aktiviert. Spätestens beim Radwechsel kann sich jeder Autofahrer ihrer Existenz mit dem bloßen Auge versichern. Die fünfte Bremse bleibt dagegen weit gehend unerkannt: Der Luftstrom. Als unerwünschter Begleiter vermindert er die Fahrleistungen spürbar und treibt zugleich den Kraftstoffverbrauch deutlich in die Höhe, falls der Luftwiderstand der Karosserie bei der Entwicklung außer Acht gelassen wurde.

Seit 25 Jahren haben die Fahrzeugingenieure dem Luftstrom den Kampf angesagt - und entwickeln für die Serie immer windschnittigere Modelle, um den Luftwiderstand so klein wie möglich zu halten. Auch in der DTM sind Luftströme als bloße fünfte Bremse unerwünscht - und doch wird ihre Hilfe dringend benötigt, um schnellstmöglich Kurven zu durchfahren und bestmögliche Rundenzeiten zu erzielen. Audi-Werksfahrer Pierre Kaffer und die adrivo Sportpresse führen Sie in die Aerodynamik der DTM-Fahrzeuge ein.

Mit Windkraft zum Sieg

Die Flics (orange) und der Splitter (ganz unten) sind die wichtigsten Aero-Teile an der Front, Foto: Audi
Die Flics (orange) und der Splitter (ganz unten) sind die wichtigsten Aero-Teile an der Front, Foto: Audi

"Auch an einem Tourenwagen ist die Aerodynamik eines der wichtigsten Elemente", bestätigt Pierre Kaffer und grenzt seinen Audi A4 DTM von Tourenwagen anderer Serien ab: "Speziell in der DTM ist es so, dass die Autos im 'aerodynamischen Fenster' sein müssen, ansonsten wird es sehr schwierig, ein DTM-Auto am Limit zu bewegen." Wird das aerodynamische Fenster, in dem eine Harmonie aller aerodynamischen und mechanischen Elemente und ihrer Funktion gewährleistet ist, nicht getroffen, hilft auf Zeitenjagd auch eine ansonsten perfekte Abstimmung kaum weiter.

"Das Aerodynamikpaket muss passen; es besteht aus sehr diffizilen Teilen, bei denen man teilweise gar nicht mit dem bloßen Auge erkennen kann, ob sie noch richtig funktionieren oder nicht", beschreibt Kaffer eine Vielfalt von Teilen an der Außenhaut und am Unterboden des Fahrzeugs, die - soweit das enge Reglement es zulässt - im Rahmen der Setup-Arbeit bei weitem nicht nur unnötigen Luftwiderstand verhindern sollen, der das Fahrzeug auf der Geraden abbremst, das Handling jedoch nicht verbessert. Es gilt, mittels der Luftströme Anpressdruck und Bodenhaftung zu optimieren:

"Man probiert grundsätzlich, aus dem aerodynamischen Grip alles herauszuholen, allen Abtrieb zu fahren, der vorhanden ist", verrät der Phoenix-Pilot die grundsätzliche Richtung, spielt jedoch auf den Balanceakt an, den zusätzlichen Grip nicht zur zitierten fünften Bremse zu machen, "außer auf dem Norisring, wo man weniger auf den Abtrieb setzt, damit das Auto auf der Geraden schneller läuft." Ein DTM-Fahrzeug wird somit bei der Fahrt zum Windkraftwerk, das das Auto mit Hilfe des Fahrtwinds auf dem Asphalt kleben lässt.

Windkraft zwischen Asphalt und Karbon

Insbesondere der Unterboden bietet Möglichkeiten, die einen DTM-Boliden von anderen Tourenwagen abgrenzen und in die Nähe eines Formel-1-Wagens rücken lassen. "Die Bodenhöhe vorne und hinten muss passen. Der Splitter und der Diffusor müssen ebenso in Ordnung sein", nennt Pierre Kaffer die wichtigsten Elemente und betont: "Der Unterboden hat die meiste Kraft; da muss alles passen, damit der Ground-Effekt so sauber wie möglich erzeugt wird."

Ein starkes Aufsetzen schadet dem Unterboden, dem Diffusor und so dem Handling, Foto: Audi
Ein starkes Aufsetzen schadet dem Unterboden, dem Diffusor und so dem Handling, Foto: Audi

So wird der Luftstrom zunächst mit dem Splitter, einer schmalen Karbonfaserlippe an der vorderen Spitze des Fahrzeugs, geteilt. Die unter das Fahrzeug geleitete Luft wird mit Hilfe zweier Diffusoren für den Ground-Effekt genutzt: Sowohl vor der Vorderachse als auch hinter der Hinterachse befindet sich ein Diffusor - ein nach hinten ansteigendes Luftleitblech -, das der Luft Raum zur Ausbreitung gibt und so einen Sogeffekt entstehen lässt. Je geringer die Bodenhöhe, desto mehr Kraft kann der Sogeffekt prinzipiell entfalten - allerdings gilt es, die Bodenhöhe auch den Streckenbedingungen anzupassen, um Beschädigungen am zu Gunsten des Luftwiderstands völlig ebenen Unterboden und den sehr sensiblen Diffusoren zu verhindern.

Windkraft an der Oberfläche

Ebenso wie sich ein defekter hinterer Diffusor - wie er oftmals durch ein leichtes Auffahren des Hintermanns ausgelöst wird - mit einem deutlich verschlechterten Handling bemerkbar macht, wird die Wichtigkeit der aerodynamischen Teile an der Karosserie nach Erfahrung Pierre Kaffers gerade dann spürbar, wenn sie fehlen: "Außerdem ist es im Rennen ganz wichtig, dass alle Flics und alle Flügel vorhanden sind - wenn vorne schon zwei Flics fehlen, fehlt Abtrieb und das produziert Untersteuern."

Weniger unscheinbar als die kleinen Spoiler an den beiden Außenseiten des vorderen Stoßfängers ist naturgemäß der Heckflügel. Das 140 Zentimeter breite Kohlefaserteil unterliegt einem engen reglementarischen Rahmen, bietet jedoch im oberen Bereich, dem Bereich des Hauptflügels, durchaus Variationsmöglichkeiten. An einen fixen Hauptflügel schließt sich an ein verstellbares Element an - der Flap. Auf diesem wiederum sitzt der Gurney, eine nach oben gebogene Trimmleiste: Flapwinkel und Gurney bieten eine Möglichkeit, die Abtriebsverteilung auf Vorderachse und Hinterachse zu variieren.

Luft vs. Luft

Doch nicht nur bei der Suche nach dem aerodynamischen Grip spielt die Luft eine Hauptrolle, stellt die Wahl des Luftdrucks in den Reifen doch ein wichtiges Element des mechanischen Grips dar. "Manchmal ist es für den Fahrer sehr schwierig, den Unterschied zwischen mechanischem und aerodynamischem Grip auszumachen", berichtet Kaffer aus seinem Erfahrungsschatz, "dann weiß man nicht: Ist es der Reifen oder ist es die Aerodynamik? Muss ich etwas am Luftdruck oder am Radsturz ändern, um den Reifen besser auf Temperatur zu bringen, oder liege ich mit dem Aerodynamikpaket leicht daneben?"

"Das sind ganz diffizile Einstellungen, die man nur gemeinsam mit seinen Ingenieuren herausarbeiten kann", ergänzt Pierre Kaffer - handelt man sich doch mit einer falschen Abstimmung bei Aerodynamik und Reifendruck gleich zwei unsichtbare Bremsen ein...