Die Hoffnungen auf eine weiterhin offene Meisterschaft ruhten im Vorfeld des Zandvoort-Rennens auf den Schultern Tom Kristensens: Der in dieser Saison wichtigste Herr der vier Ringe benötigte nach einer drei Rennen währenden Podest-Abstinenz dringend einen Erfolg - möglichst den Rennsieg. Die Herren der Ringe standen nicht nur auf Grund eigener Inszenierungen wie der nach Zandvoort verschobenen Dutzendteich Challenge von Beginn an im Mittelpunkt des niederländischen Gastauftritts der DTM - und rangen mit Mercedes ebenso wie mit sich selbst.

Performancebeweis auf dem Dünenring?

Mit seinen unzähligen Wölbungen und Biegungen hat der nach den Launen der Natur geformte Traditionskurs in Zandvoort kaum etwas mit einem gewöhnlichen Ring in seiner formalen Vollkommenheit gemein - doch gerade das stimmte Audi auch in diesem Jahr optimistisch. Auch zwei Jahre nachdem sich die Fahrzeugcharakteristiken von Audi A4 DTM und Mercedes C-Klasse noch wie Feuer und Wasser präsentierten, münzte man - aus rein fahrzeugtechnischer Sicht kaum erklärbar - die nur noch tendenziell vorhandene Vorliebe des aktuellen A4 für kurvenreiche Strecken an Freitag und Samstag in eine ebenso deutliche Dominanz um wie Mercedes die nur noch äußerst dezenten Topspeedvorteile der C-Klasse auf dem Norisring.

Im Rennen präsentierte sich Audi weniger dominant als im Qualifying, Foto: Sutton
Im Rennen präsentierte sich Audi weniger dominant als im Qualifying, Foto: Sutton

Im Rennen hätten die Ingolstädter die Vorteile ihrer hervorragenden Mannschaftsleistung im Qualifying nach dem misslungenen Start Jamie Greens durchaus umsetzen können, hätte man bei der Rennstrategie ebenso viel Geschick wie Mercedes oder im Falle Mattias Ekströms mehr Rennglück bewiesen. So jedoch wurde sichtbar, dass der A4 DTM aktuellen Jahrgangs das Fahrzeugfeld unterm Strich keineswegs dominierte: Zu wenig hatten sich Tom Kristensen und Martin Tomczyk absetzen können, zu sehr gelang es Jamie Green, Mattias Ekström zu bedrängen. Gemessen am Gewichtsnachteil von 20 Kilogramm dürfte insbesondere Bernd Schneiders Performance zum Rennende für Unbehagen im Audi-Lager gesorgt haben.

Strategischer Ringkampf

Dass die Mannschaft um Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich mit Blick auf die Kombination aus Fahrern und Fahrzeug über das gesamte Wochenende gesehen die bessere Leistung erbrachte, bleibt unbestritten - umso mehr war man bei Mercedes um eine im klassischen Ringkampf eher unübliche Taktik einer cleveren Strategie angewiesen. Eine solche hatten die Stuttgarter bereits 2005 offenbart, als der Kommandostand für Gary Paffett eine Rennstrategie bereithielt, der man in Ingolstadt und Rüsselsheim nichts entgegenzusetzen hatte. Nachdem Audi am Start eine Vierfach-Führung erobert hatte, die Mercedes-Speerspitzen Bernd Schneider und Bruno Spengler dagegen im Verkehr festhingen, zeichnete sich bereits ab, dass ein Mercedes-Sieg mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu erreichen war - dafür jedoch die bestmögliche Schadensbegrenzung.

Der Mercedes-Kommandostand leistete ganze Arbeit, Foto: Sutton
Der Mercedes-Kommandostand leistete ganze Arbeit, Foto: Sutton

Nachdem sich Schneider mühsam der Heckansichten Pierre Kaffers und Heinz-Harald Frentzens entledigt hatte, schlug die Stunde der Mercedes-Strategen. Mit einer im Grunde wenig außergewöhnlichen, jedoch gekonnt angewandten Strategie lange hinausgezögerter Boxenbesuche arbeitete sich der Saarländer zunächst ungehindert auf Rang drei vor - zu sehr hatte sich Audi bei Ekström rennstragisch offenbar auf Jamie Green fokussiert. Den positiven Nebeneffekt eines während der letzten Runden noch vergleichweise unverbrauchten Reifensatzes wusste der vierfache DTM-Meister bekanntlich im Kampf gegen einen trotz allem überzeugenden Tomczyk optimal zu nutzen...

Ringen um Worte

Gratulierte man bei Audi zum überraschenden zweiten Platz Schneiders ebenso wie Mercedes dessen Erzrivalen Tom Kristensen Glückwünsche aussprach, so brauchte man nach Konflikten dennoch nicht lange zu suchen. Die Protagonisten der beiden Hersteller setzten den Ringkampf auch in verbaler Form fort - und rangen ob der angeblich so unsportlichen Vorgehensweise des jeweiligen Konkurrenten förmlich um Worte. "Ich habe es nicht so toll gefunden, dass Bruno Spengler so aus der Box gefahren ist, dass er Tom in seiner schnellen Runde vor der Kurve vor das Auto gefahren ist", hatte Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich das Duell zunächst noch eher dezent eröffnet, damit jedoch hinter den Kulissen bereits ein Wortgefecht zwischen Ingolstädtern und Stuttgartern entfacht, das sich während und infolge des Rennens nahtlos fortsetzte:

Christian Abt entfachte das sonntägliche Wortduell, Foto: Sutton
Christian Abt entfachte das sonntägliche Wortduell, Foto: Sutton

"Ich bin kein Freund der Leute, die dann sagen, dass wir am lautesten schreien. Da muss man sich an die eigene Nase fassen, dann kehrt wieder Ruhe ein", konterte Mercedes-Sportchef Norbert Naug einen provokanten Kommentar von Phoenix-Pilot Christian Abt, den dieser nach einer unverschuldeten Kollision mit Mika Häkkinen gegenüber der ARD abgegeben hatte. Auch die Kollision zwischen Jamie Green und Mattias Ekström barg Sprengstoff - der allerdings nicht zur Explosion kam. Ekström ("Wieso denn? Denkt ihr denn, dass ich sofort zu Jamie renne, um mit ihm zu reden?") sah in einem Vier-Augen-Gespräch keinen Sinn - und trug so in skandinavisch-dezenter Form zwischen den Zeilen zum Zandvoorter Zwist bei.

Umringt vom Regelzwang

Für Diskussionen sorgten auch die Entscheidungen der Rennkommissare. Hatten sie bereits von Alexandros Margaritis, der sich "ungerecht" behandelt fühlte, nur Unverständnis geerntet, nachdem er nach einer nicht nur aus seiner Sicht schwer vermeidbaren Kollision mit Stefan Mücke zum zweiten Mal in Folge ans Ende der Startaufstellung versetzt worden war, waren es auch im Rennen zwei C-Klasse-Fahrer, die unter die Argusaugen der Rennkommissare gerieten.

Norbert Haug konnte die Strafe für Margaritis nicht nachvollziehen, Foto: DTM
Norbert Haug konnte die Strafe für Margaritis nicht nachvollziehen, Foto: DTM

"Was natürlich gar nicht geht, sind die vielen Strafen, die immer uns treffen - Margaritis gestern und uns heute", sprach Haug auch mit Blick auf die Drive-through-Strafen für Green und Häkkinen klare Worte, wenngleich zumindest letztere verglichen mit ähnlichen Vorfällen in der Vergangenheit kaum verwunderte. Das im Wortlaut sinnvolle Regelkorsett, das den Fahrern klare Vorgaben in ihrem Zweikampfverhalten gibt, war mit äußerster Genauigkeit angewandt worden - was sogleich für neue Diskussionen sorgte. Christian Abt sieht sich von derartigen Themen grundsätzlich nicht betroffen: "Ich weiß nur, dass ich in den letzten drei Jahren keinen einzigen auf der Rennstrecke umgedreht habe oder jemandem so ins Auto gefahren bin, dass er nicht mehr weiter fahren konnte." So mancher seiner Kollegen dürfte bei dieser Aussage um Luft ringen...

Der Ring des Misserfolgs

Für das Fehlen von Anfang und Ende ist der Ring gemeinhin bekannt - und auch so manche Misserfolgsserie wollte in Zandvoort kein Ende nehmen: Während sich Vanina Ickx nach einem passablen Qualifying durch eine Kollision mit Teamkollege Nicolas Kiesa ins Aus riss und auch für gut informierte Zuschauer die Frage aufwarf, wann die Belgierin zuletzt einen unbeschädigten A4 DTM über die Ziellinie brachte (zur Aufklärung: beim Saisonauftakt in Hockenheim), blieben Rosberg-Pilot Frank Stippler und sein Mücke-Kollege Daniel La Rosa erneut ohne Punkte. Mehr Beachtung fand allerdings eine weitere "Serie":

Der 2. Saisonsieg brachte Kristensen nüchtern betrachtet wenig, Foto: Audi
Der 2. Saisonsieg brachte Kristensen nüchtern betrachtet wenig, Foto: Audi

"Man kann nie sagen: Jetzt mache ich immer einen guten Start", hatte Jamie Green vor kurzem festgestellt, nachdem die Strähne misslungener Starts beendet zu sein schien. Er sollte Recht behalten. In Zandvoort knüpfte Green auf einer eindrucksvoll eroberten Pole Position stehend nahtlos an frühere Missgeschicke an - und wird angesichts seiner sonstigen Qualitäten somit allmählich zur tragischen Figur der Saison 2006. In Zeiten der fliegenden Starts wäre der junge Brite wohl in seinem Element gewesen...

Remis im Ringkampf

So verdient und fehlerfrei Tom Kristensen seinen dritten DTM-Sieg einfuhr, so verdient und fehlerfrei eroberte Bernd Schneider Rang zwei hinter dem Dänen. Obwohl sich die Podeststufen der beiden Titelrivalen in ihrer Höhe unterschieden, darf mit Blick auf den Meisterschaftsstand von einem Remis gesprochen werden. Ein sprunghaftes Aufschließen auf Schneider, wie Audi es sich erhofft hatte, blieb Kristensen verwehrt - stattdessen hat er nun auf das einzelne der verbleibenden Rennen umgerechnet mehr aufzuholen als zuvor...