Die Chance auf Wetterkapriolen, ein eher unerwartetes Fahrzeug auf Startplatz eins, ein nach seinen letzten Titelchancen greifender Däne, ein bislang leicht strauchelnder Saarländer - auf dem möglicherweise anspruchsvollsten und tückischsten Kurs im DTM-Rennkalender. Genügend Stoff für so manche Absurditäten, die den Sprung von der Fiktion in die Realität schaffen könnten...

Das erste Szenario

Fiktion... "Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich befindet sich nach einem für ihn durchaus zufrieden stellenden Tag in einem entspannenden Tiefschlaf - bis ihn ein markerschütternder Donner aus seinen Träumen reißt. Besorgt reißt er den Vorhang seines Hotelzimmers auf und glaubt zunächst, sein Schlaf setze sich in einem Albtraum fort: Wie aus Kübeln prasselt ein Gewitterschauer auf den beschaulichen Touristenort Zandvoort ein, der Regen will bis zum Morgen - an Schlaf ist für Dr. Ullrich beim Gedanken an die Regenperformance seiner A4 DTM nicht zu denken - nicht aufhören. An der Rennstrecke angekommen erblickt der Österreicher unter nach wie vor anhaltenden Schauern die Strecke - sogleich beantragt er wegen Aquaplaninggefahr, das Rennen auf den 'Zandvoorter Dutzendteich', wo am Freitagabend noch das Audi-interne Bootsrennen stattgefunden hatte, zu verlegen.

Stellt sich Kristensen im Nassen geschickter an als am Freitag?, Foto: Audi
Stellt sich Kristensen im Nassen geschickter an als am Freitag?, Foto: Audi

Zwar erkundigt sich Norbert Haug bei einem Bootsverleih nach der Verfügbarkeit von zehn Ruderbooten, protestiert jedoch vor den Sportkommissaren gegen den Vorschlag, der ihm angesichts des Erfahrungsvorsprungs der Audi-Piloten als nicht fair erscheint. Das Rennen findet auf dem regulären Kurs statt, der wegen anhaltender Regengüsse mit einer Matschschicht aus Kies, Erde und Dünensand übersät ist. Während sich Bernd Schneider und Bruno Spengler rasch im Schlamm festgegraben haben, spielt Mattias Ekström seine Rallye-Erfahrung, noch vor wenigen Wochen bei der WM-Rallye in Deutschland ausgebaut, voll aus: Er manövriert sein Fahrzeug souverän 42 Runden durch den Matsch und achtet dabei darauf, Tom Kristensen nicht davonzueilen - der Däne nutzt den ekströmschen A4 als Orientierung und komplettiert einen skandinavischen Audi-Doppelsieg unbeschadet..."

... und Realität: In der Tat stellt insbesondere das Wetter bei einer Regenwahrscheinlichkeit von zirka 50 Prozent die größte Unbekannte in der Audi-Rechnung dar: Ohne jegliche entsprechende Abstimmungsarbeit im Vorfeld des Zandvoort-Rennens dürfte es den Ingolstädtern noch schwerer fallen, sich unter feuchten Bedingungen konkurrenzfähig zu präsentieren - wenngleich es bei guten Starts des Abt-Quartetts auf der überholfeindlichen Strecke durchaus gelingen könnte, die Hauptkonkurrenten Bernd Schneider und Bruno Spengler hinter Tom Kristensen zu halten, der sich in Zandvoort an die letzte reelle Meisterschaftschance klammert. Im Trockenen hingegen könnten nur gröbere, vermeidbare Fehler zumindest mit Blick auf die Meisterschaft einen Erfolg verhindern:

Erlebt dieser Mann ein Déjà-vu an der Boxenausfahrt?, Foto: Sutton
Erlebt dieser Mann ein Déjà-vu an der Boxenausfahrt?, Foto: Sutton

Selbst wenn Pole-Setter Jamie Green seine Position verteidigen sollte, was auch nach den zuletzt gelungenen Starts keine Selbstverständlichkeit darstellt, wäre der Audi-Sieg mit Hilfe einer durchdachten Rennstrategie in greifbarer Nähe. Auch ein Sieg Greens und damit der fünfte Mercedes-Saisontriumph wäre zu verkraften, sollte sich die Mannschaftsleistung als ebenso geschlossen wie heute präsentieren: So ist es auch an Martin Tomczyk und Heinz-Harald Frentzen, auch während des Rennens beharrlich vor Bernd Schneider zu bleiben. Während Tomczyk dies angesichts seines aktuellen Formhochs ohne Zweifel zuzutrauen ist, steht hinter Frentzens Vorstellung ein Fragezeichen - auch wenn der Mönchengladbacher die heutigen Probleme angesichts eines schaukelnden A4 DTM durchaus glaubhaft im Qualifying-Setup ortete...

Das zweite Szenario

Fiktion... "Weder die Erfindung des Reißverschlusssystems noch die der blauen Flagge hatte am Samstag Wirkung gezeigt - insbesondere Limousinen mit Stern fädelten sich nach dem Verlassen der mit der berühmt-berüchtigten weißen Linie versehenen Beschleunigungsspur am Boxenausgang auf eine Art und Weise ein, wie es weder der internen noch der externen Konkurrenz behagte. Während Dr. Wolfgang Ullrich eine 'unnötige' Blockade Bruno Spenglers für Tom Kristensen ausmachte, ärgerte sich Futurecom-Pilot Nicolas Kiesa auf seiner schnellen Runde gleich über drei 'unkooperative' Mercedes - Strafen blieben zum Ärger Audis anders als bei einer ähnlichen, wenn auch scherbenreicheren Situation zwischen den Markenkollegen Stefan Mücke und Alexandros Margaritis aus. Die Stimmung ist explosiv.

Wen oder was setzt dieser Mann in den Sand?, Foto: DTM
Wen oder was setzt dieser Mann in den Sand?, Foto: DTM

Im Rennen gelingt Jamie Green zwar zunächst der Start, rasch jedoch läuft er auf Christian Abt auf, der zwischenzeitlich sein Fahrzeug in den Sand gesetzt hatte, nun jedoch ebenso wie nach dem Qualifying laut eigener Aussage den 'Kopf nicht in den Sand setzen' will... Es kommt zur Kollision. Tom Kristensen befindet sich damit auf Siegkurs - bis er sich in Folge seines ersten Boxenstopps zurück auf die Strecke einfädelt, vor der Tarzanbocht jedoch versehentlich von Bernd Schneider am Heck getroffen wird. Anders als 2005, als der Saarländer Audi-Pilot Rinaldo Capello auffuhr und daraufhin einen zusätzlichen Boxenbesuch zu absolvieren hatte, darf Schneider aufatmen - gemäß dem Fall Margaritis wird Kristensen schuldig gesprochen und muss den Sieg am Ende seinem ärgsten Titelrivalen überlassen..."

... und Realität: Dass die Zandvoorter Boxenausfahrt, Verbremser vor der Tarzanbocht und viel diskutierte Drive-through-Strafen zu den rennentscheidenden Themen werden, ist nicht zu hoffen - wenn auch wie 2005 nicht gänzlich auszuschließen. Durchaus realistischer erscheint dagegen der fünfte Saisonsieg für Mercedes, obgleich die Siegchancen für die Stuttgarter - von Brands Hatch abgesehen - bislang vor jedem Lauf besser schienen als vor dem siebenten. Sollte das Abt-Audi-Quartett ähnlich geschlossen auftreten wie im Qualifying, bedarf es für den Mercedes-Triumph eines fehlerlosen Jamie Green, der endgültig unter Beweis stellt, dass er auch am Start größtem Druck standhält.

Sollte eine gelungene fahrerische Leistung durch eine Rennstrategie vollendet werden, die an jenes Niveau heranreicht, das man 2005 an gleichem Orte bei Gary Paffett zu Stande brachte, stünde der lang ersehnte erste Sieg des jungen Briten an - der allerdings für Mercedes mit Blick auf die Meisterschaft von nur begrenztem Nutzen wäre. Während sich Bernd Schneider - nicht nur wegen eines nach technischen Problemen nahezu ungenutzten dritten Tests - auf dem Dünenkurs eher schwer zu tun scheint, ist Bruno Spengler in Mercedes-Reihen Geheimfavorit: Schon am Freitag schien sich der Kanadier mit dem anspruchsvollen Kurs gut arrangieren zu können - und auch im Qualifying wäre ohne einen misslungenen zweiten Anlauf mehr möglich gewesen als Rang fünf...