Angesichts einer dominanten Mercedes-Vorstellung im Qualifying erscheinen die Kräfteverhältnisse so eindeutig wie schon lange nicht mehr. Aller Stuttgarter Dominanz zum Trotz bieten sich drei Szenarien an...

Das erste Szenario

Wirbt Spengler in der Türkei potenzielle Mercedes-Kunden?, Foto: Sutton
Wirbt Spengler in der Türkei potenzielle Mercedes-Kunden?, Foto: Sutton

"Gary Paffett, Bernd Schneider, Bruno Spengler und Jamie Green verteidigen am Start ihre ersten bis vierten Plätze; Mika Häkkinen und Jean Alesi schieben sich problemlos an Mattias Ekström und Manuel Reuter vorbei. Das Mercedes-Sextett steuert einem ungefährdeten Sechsfach-Sieg entgegen. Angesichts eines auf Platz sieben liegenden Mattias Ekström kann man es sich gar erlauben, die Mercedes-Marketingabteilung in die Gestaltung der Rennstrategie einzubeziehen: Um die Beliebtheit von Mercedes-Gebrauchtwagen unter türkischen Autofahrern noch weiter zu steigern, lassen Paffett und Schneider Bruno Spengler im C-Klasse-Jahreswagen mit der Beschriftung 'Junge Gebrauchte von Mercedes' kurz vor der Ziellinie passieren. Der junge Kanadier fährt einen unter den türkischen Zuschauern viel umjubelten Sieg ein."

Die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios? Zwar dürfte ein Sieg Bruno Spenglers in seinem C-Klasse-Jahreswagen des Persson-Teams ebenso unwahrscheinlich sein wie ein Mercedes-Sechsfachsieg - wenngleich die Suttgarter in Hockenheim 2001 geschlossen die Positionen eins bis sieben einnahmen. Sollte in Paffetts C-Klasse nach 17 Zielankünften in Folge nicht der Defektteufel zuschlagen, so dürfte den jungen Briten wohl nichts am fünften Sieg sowie der Vorentscheidung im Titelkampf hindern. Die Startplätze eins bis vier lassen der Mercedes-Truppe im Fall der Fälle alle taktischen Freiheiten, um Paffett auf Position eins zu befördern - ohne dass das unbestrittene Talent der Stuttgarter Rennstrategen in besonderer Weise herausgefordert wäre. Während an der Performance der C-Klasse kein Zweifel mehr bestehen sollte, stellen die auf Platz drei und vier liegenden Persson-Piloten Spengler und Jamie Green den einzigen kleinen Unsicherheitsfaktor dar: Auf guten Startposition stehend verloren am Start beide meist die Nerven - was Mattias Ekström diesmal sehr gelegen käme...

Das zweite Szenario

Gelingt Tömözyk, Ücström & Co. der Sieg?, Foto: Audi
Gelingt Tömözyk, Ücström & Co. der Sieg?, Foto: Audi

"Angesichts der erdrückend starken Qualifying-Vorstellung der Mercedes C-Klasse ist man in Ingolstadt verzweifelt: Die Beliebtheit von Audi-Serienfahrzeugen im Vergleich zu den Stuttgarter Pendants droht unter den türkischen Kunden noch weiter zurückzugehen. So entscheidet man sich zu einem verbalen Kniff: Aus Martin Tomczyk wird Martin Tömözyk, Mattias Ekström wird in Mattias Ücström umgetauft, Tom Kristensen heißt in Istanbul fortan Tom Crüstönsön. Was unerwartet positive Folgen mit sich bringt: Aus Begeisterung für ihre vermeintlichen Landsmänner im Audi-Cockpit schwenken die türkischen Streckenposten den überlegenen C-Klassen beständig die blauen Flaggen. Da man diese im Mercedes-Lager ignoriert, handeln sich Paffett, Schneider & Co. mehrfach Durchfahrtsstrafen ein. Weil Gary Paffett überdies nach dem Boxenstopp erwartungsgemäß die weiße Linie übertritt, reicht es für Mattias Ekström denkbar knapp zum Sieg - ein Rennen vor Schluss hat der Schwede seinen Meisterschaftsvorsprung auf drei Punkte ausgebaut."

Die Wahrscheinlichkeit eines Audi-Sieges? Sollte es überraschenderweise nicht zum oben zitierten Szenario kommen, so bedürfte es wohl dennoch einiger anderer günstiger äußerer Umstände, um Mattias Ekström zu einem Audi-Sieg zu verhelfen. Dass Audi mit dem aktuellen A4 längst zu Mercedes aufgeschlossen hat, mag in Istanbul nicht so recht offensichtlich werden; zu geschickt hat die Stuttgarter Konkurrenz die C-Klasse auf den Istanbul Speedpark abgestimmt. So gilt für Audi in Istanbul, was man bereits vom Norisring gewohnt ist: Die optimale Schadensbegrenzung ist oberstes Ziel; wenngleich Ekström angesichts der Startplätze seiner Markenkollegen diese ohne jegliche Schützenhilfe in Angriff nehmen muss. Die gewohnt guten Starts des Schweden sowie eine gute Boxenstrategie könnten den Titelverteidiger bei leichten Ungeschicklichkeiten bei Mercedes einen bis zwei Plätze vorrrücken lassen; mehr scheint unter normalen Umständen nicht im Bereich des Möglichen zu liegen.

Das dritte Szenario

Profitiert Opel von strategischen Fehlgriffen der Konkurrenz?, Foto: Sutton
Profitiert Opel von strategischen Fehlgriffen der Konkurrenz?, Foto: Sutton

"Die Rennleitung ist außer sich: Aus Verärgerung über die allzu offensichtliche Mercedes-Stallorder zu Gunsten Bruno Spenglers sowie der falschen Namensangaben auf den hinteren Seitenfenstern der Audi A4 werden kurzerhand sowohl alle Mercedes als auch alle Audi disqualifiziert; Opel fährt somit seinen ersten Sieg seit fünf Jahren ein. Angesichts dieses denkwürdigen Erfolges beantragt Opel-Sportchef Volker Strycek bei Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer, Istanbul fortan wieder in Konstantinopel umzutaufen."

Der Disqualifikation aller 16 Fahrzeuge, die vier Ringe bzw. einen Stern tragen, bedürfte es für einen Opel-Sieg zwar nicht; die Disqualifikation der ersten vier Piloten der Startaufstellung würde möglicherweise bereits genügen... Anders als in Zandvoort sowie insbesondere in der Lausitz, wo man bei Opel trotz einer wenig gelungenen Taktik Siegpotenzial aufblitzen ließ, dürfte es für Rüsselsheimer auch bei einer taktischen Meisterleistung nicht zum Sieg reichen; zu erdrückend erscheint die dominante Form in Mercedes-Reihen. Annehmbaren Platzierungen innerhalb der Punkte dürfte allerdings nichts im Wege stehen; präsentiert man sich doch auf einem Niveau mit Audi. So sind es die Ingolstädter, die es für Opel beim morgigen Rennen zu schlagen gilt, was bei einem guten Start des nur eine Position hinter Ekström liegenden Reuter gelingen könnte - unter der Voraussetzung, dass man bei den Rüsselsheimern aus den taktischen Fehlgriffen der jüngsten Vergangenheit gelernt hat.