Mal eben übers Wochenende die Eltern zu besuchen, ist für Augusto Farfus und seine Frau Liri nicht möglich. Der in Brasilien geborene BMW-Werkspilot bestreitet seine Rennen seit Jahren hauptsächlich in Europa und wohnt deswegen wie viele seiner "Arbeitskollegen" in Monaco. Doch der Großteil seiner Familie und viele seiner Freunde lassen die Verbindung nach Brasilien nicht abreißen. Ganz im Gegenteil: Farfus hat in seiner Geburtsstadt Curitiba ein eigenes Haus, eigene Hobbys... ein eigenes Leben, das so ganz anders ist als sein Leben in Monaco. Auch seine Tochter Victoria kam in Brasilien auf die Welt und verbrachte dort ihre ersten Lebensmonate. Doch mit der Zeit ändern sich auch Herzensangelegenheiten, wie Farfus mittlerweile feststellen muss.

Tochter Victoria ist immer dabei, Foto: Augusto Farfus
Tochter Victoria ist immer dabei, Foto: Augusto Farfus

Schon früh verließ Augusto Farfus Brasilien und seine Familie, um in Europa seine Motorsportkarriere weiterzuverfolgen. Dieses Verhältnis blieb bis heute bestehen: Europa bedeutet Motorsport und Arbeit - Brasilien und vor allem seine Geburtsstadt Curitiba bedeuten Familie und Freunde. Motorsport spielt hier keine Rolle. Sobald Farfus nach der Saison den Flieger betritt, versucht er seinen Beruf und alles, was damit zu tun hat, fast komplett hinter sich zu lassen. "Ich denke, es ist wichtig, den Schalter umzulegen und das tue ich auch. In den Tagen, in denen ich in Brasilien bin, rede ich nicht über Motorsport. Ich treffe Familie und Freunde und entspanne einfach nur. Auch meine Mails lese ich nur einmal am Tag", erzählt Farfus, dem diese Zeit sehr wichtig ist. "Natürlich kann ich mich nicht ganz entziehen und versuche auch, mein Fitnesslevel zu halten: ich stehe früh auf und mache meine Trainingssession - aber ab dann bin ich eine ganz normale Person. Selbst auf die Motorsportseiten im Internet gehe ich in Brasilien kaum."

Augusto Farfus mit Tochter Victoria, Foto: Augusto Farfus
Augusto Farfus mit Tochter Victoria, Foto: Augusto Farfus

Dafür stehen andere Hobbys auf dem Programm: wie zum Beispiel mit einer Ducati 1199 Senna limited edition die Straßen unsicher machen oder das Modellflugzeug fliegen. Seine Flieger schickt er wann und wo er kann in die Lüfte. "In Brasilien fliege ich sehr viel. Dort gibt es zudem genug Platz dafür. Sogar am Stand kann ich mein Hobby ausüben, was ich natürlich auch mache." Die Eltern seiner Frau Liri haben ein Haus am Strand. Dort fährt die ganze Familie vor Silvester hin. "In Brasilien lebe ich nicht am Meer", erklärt Farfus. Stattdessen führt die Familie ein Stadtleben. Curitiba liegt immerhin rund 100 Kilometer von der Küste entfernt. "Wir sind zur perfekten Zeit in Brasilien. Wenn in Europa Winter ist, haben wir hier Frühsommer. Wenn wir rund um Weihnachten morgens aufstehen, sind es etwa zwölf Grad."

Die "normale" Person Augusto Farfus kann aber nicht nur entspannen, sondern muss sich auch den "normalen" alltäglichen Problemen stellen. Neben dem Treffen mit Freunden und der Familie zum Mittag- oder Abendessen, stehen auch ein Besuch auf der Bank, Rechnungen bezahlen und sonstiger Papierkram auf dem Programm. "Brasilien ist kein echter Urlaub. Wenn du Urlaub machst, fährt du für sieben oder zehn Tage irgendwohin und hast nichts zu tun", erklärt Farfus die entscheidenden Unterschiede. "Hier haben wir ein Haus, um das wir uns kümmern müssen, wir haben ein Auto - es ist mehr eine Rückkehr zur Familie. Urlaub mache ich im Juli/August, wenn es in Europa warm ist, in einem Hotel. Aber selbst dann kann ich nicht komplett abschalten. Schließlich bin ich dann mitten in der Saison und bleibe in Kontakt zum Team."

Zurück in Monaco beginnt für die Familie Farfus wieder ein anderes Leben. "Unser Leben in Monaco ist wirklich komplett anderes verglichen zu dem in Brasilien", so Farfus. "In Brasilien lebt unsere gesamte Familie. In Monaco sind wir unter uns. In Monaco haben wir Freunde, aber keine festen Beziehungen wie die Familie." Zudem ist der Brasilianer in den "Europa-Monaten" sehr viel unterwegs. Für die DTM gilt es Rennen, Tests und PR-Termine zu bestreiten. Dazu kommen noch weitere Veranstaltungen auf der ganzen Welt. Ist er aber in Monaco, wartet wieder der gewohnte Tagesablauf, wie ihn viele Familienväter kennen. Morgens um acht Uhr beginnt die Schule für Töchterchen Victoria. "Immer wenn ich in Monaco bin, versuche ich sie entweder hinzubringen oder abzuholen", erzählt Farfus.

Augusto Farfus lässt auf der Strecke die Funken fliegen, Foto: BMW AG
Augusto Farfus lässt auf der Strecke die Funken fliegen, Foto: BMW AG

Im Anschluss steht wieder der Motorsport auf dem Programm: die tägliche Trainingssession, Telefonkonferenzen mit seinem DTM-Team, Planungen für die Rennen und, wie überall, Papierkram. "Zwischendurch kümmere ich mich wieder um Victoria. Unter der Woche geht sie ins Ballett oder macht andere Sachen. Ich versuche, ein bis zwei Stunden pro Tag mich vollständig meiner Familie zu widmen." Auch wenn man es gerade von einem brasilianischen Rennfahrer nicht erwartet, ist es genau diese tägliche Routine, die Farfus will und gefällt: "Ich gehöre zu den Leuten, die Routine mögen. Vermutlich bin ich deutscher als viele Deutsche. Bei Liri ist es zum Glück auch so."

Durch Töchterchen Victoria hat sich das Leben stark verändert und auch das Verhältnis zu Brasilien. "Früher sind wir viel länger in Brasilien geblieben, aber das geht jetzt nicht mehr, da Victoria zur Schule geht", erklärt der BMW-Pilot, der früher bereits Mitte November das Weite gesucht hat. "Zwischendurch bin ich nach Europa geflogen für PR-Termine oder Tests." Viele Eltern kennen das Problem: kaum sind die Kinder in der Schule, stehen einem nur noch die Ferien zur Verfügung. Die Winterferien sind in Monaco nicht so lange und Victoria soll auch nicht zu viel Schule verpassen. So sind wir vergangenes Jahr erst am 5. Dezember losgeflogen." Zurück ging es für die Familie schon Anfang Januar. "Wenn man Victoria fragt, wo es ihr besser gefällt, dann ist es Monaco", gesteht Farfus. "Sie hat dort schließlich 90 Prozent ihres Lebens verbracht."

Ehefrau Liri und Tochter Victoria, Foto: RACE-PRESS
Ehefrau Liri und Tochter Victoria, Foto: RACE-PRESS

Doch auch bei Augusto und Liri ändert sich die Einstellung zu Brasilien und die Tage dort werden immer weniger wichtig. "Ich mag mein Leben in Monaco und Europa. Ich habe es nicht mehr so eilig, nach Brasilien zu kommen", gibt Farfus zu. "Meine Frau und ich haben mittlerweile viele Freunde in Monaco. Früher haben wir in Europa gewohnt und immer an Brasilien gedacht." Außerdem kann es auch nerven, wenn man zu viel Familie ständig um sich herum hat. Speziell, wenn man die meiste Zeit des Jahres unter sich ist. "Wir sind es nicht mehr gewohnt, morgens aufzustehen und angerufen zu werden. Wo bist du, was machst du? Normalerweise spreche ich mit meinen Eltern drei bis vier Mal die Woche, aber sie haben keine Kontrolle über mein Leben."

Aber in Curitiba ist das Restaurant des Vaters nur fünf Kilometer entfernt. Dann trifft sich die Familie öfter als im Vorfeld geplant. "Das ist für eine gewisse Zeit ganz schön, aber dann freuen wir uns auch wieder zurückzufliegen." Farfus selbst kann diese Änderung am wenigsten glauben: "Ich hätte nie gedacht, dass es so wird. Früher waren die Tage vor der Abreise wie ein Countdown und man wollte nicht weg. Heute ist es anders. Ich würde nicht sagen, dass wir glücklich sind, nach Europa zu fliegen, aber es ist normal. So wie wir uns freuen nach Brasilien zu gehen, freuen wir uns zurückzukommen."

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