Wer vor 15 Jahren durch die Tourenwagen-Fahrerlager dieser Welt gelaufen ist, bekam stets dieselben Fahrzeuge zu Gesicht. Ein weltweit gültiges 2-Liter-Reglement verhalf dem Tourensport zu seinen wohl größten Zeiten im Zeichen des 2-Liter Motors. Ein Supertourenwagen konnte nahezu überall eingesetzt werden, BMW 320i fuhren einem in Japan, Deutschland, Australien oder auch China über den Weg. Nach dem kostenbedingten Zusammenbruch des Supertouring-Reglements setzte jedoch ein Prozess der Zersplitterung ein; jedes Land begann, sein eigenes Süppchen zu kochen. Alleine in Europa wetteifern fünf verschiedene Regularien miteinander. Dabei stellt sich mittlerweile auch die Frage, was ein Tourenwagen eigentlich ist. Fünf Rennserien zwischen serienbasierten Fahrzeugen und Silhouetten-Tourenwagen - ein Blick auf den europäischen Flickenteppich.

Die DTM ist die in jüngster Zeit politisch erfolgreichste Tourenwagenserie. Vor allem dank hervorragender Vermarktung und des großen Namens hat es das deutsche Tourenwagen-Aushängeschild geschafft, die schwierige Zeit mit nur zwei Herstellern erfolgreich zu überstehen. Jetzt wurde das Reglement nach Japan exportiert, die USA sollen 2017 in Angriff genommen werden. Die Fahrzeuge polarisieren: Einerseits sind sie optisch spektakulär, andererseits keine echten Tourenwagen, da sie nicht von der Serie abstammen. "Durch die Art und Weise, wie das Reglement mit den Einheitsteilen geschrieben ist, werden sehr ähnliche Ausgangspositionen für alle Teilnehmer geschaffen", erläutert Audi-DTM-Leiter Dieter Gass die Vorteile des Reglements. Nachteile, die ein Fahrzeug möglicherweise aus der Serie mitbringt, werden so ausgeblendet.

Die DTM selbst wird sich dennoch Herausforderungen stellen müssen. Die Motoren sind nicht mehr zeitgemäß und die Energierückgewinnung wird alleine schon aus Marketinggründen kommen müssen. Fürs Erste lassen Audi, BMW und Mercedes die Japaner testen. In der SuperGT wird bereits in der kommenden Saison mit 2-Liter-Turbomotoren und Hybrid gefahren. Die DTM-Motoren sind hingegen fast steinzeitlich und stammen - von Späteinsteiger BMW abgesehen - aus dem Jahr 2002. Wie echte V8 hörten sich die Triebwerke ohnehin nie an. Trotz aller Herausforderungen sind die Perspektiven gut: Sollte es gelingen, die US-DTM zu etablieren, könnten drei Rennserien nach demselben Reglement antreten, einschließlich eines Weltfinals mit mindestens sechs Marken. Von solchen Aussichten können andere Serien momentan nur träumen.

Vorzeigemeisterschaft WTCC, Foto: Citroen
Vorzeigemeisterschaft WTCC, Foto: Citroen

Die S2000-Kategorie wurde von der FIA als legitimer Nachfolger der Super-Tourenwagen mit auf straßenzugelassenen Autos basierenden Rennfahrzeugen eingeführt. Vorzeigemeisterschaft ist die WTCC, die leider zehn Jahre zu spät kam. Als sie 2005 aus der ETCC hervorging, hatten bereits mehrere europäische Serien ihr eigenes Reglement entwickelt. Gab es in den 90er Jahren ein einheitliches Reglement, aber keine echte Weltmeisterschaft, gibt es nun zwar die WTCC, aber kein einheitliches Reglement mehr. Die S2000 leidet unter einem grundlegenden Problem: Häufig wird ins Feld geworfen, dass diese Fahrzeuge zu langweilig seien, spätestens seit die hochdrehenden Saugmotoren durch Turbomotoren ersetzt wurden - eine Folge der Irrungen und Wirrungen um den Turbodiesel, mit dem der Abstieg der WTCC begann.

Promoter Marcello Lotti will gegensteuern: Spektakulärere Fahrzeuge werden ab 2014 eingeführt, doch schon ist der nächste Torpedo im Anmarsch - die steigenden Kosten. "Ich kann euch sagen: Ich habe schlaflose Nächte wegen 2014", meint der sonst stets zu Späßen aufgelegte Tom Coronel todernst. "Das Budget wird sich um 25 Prozent erhöhen und es wird immer schwieriger, in Europa Sponsoren zu finden." Mit dem Schritt zu neuen Autos wird die WTCC endgültig die einzige Rennserie ihres Reglements sein, ein nationaler Unterbau fehlt komplett. Aus diesem Grund zieht sich BMW vollständig zurück. "BMW hat sehr viel in das Kundensportprogramm gesteckt, deshalb konnten wir den Antriebsstrang sehr günstig erwerben", so Coronel. "Jetzt muss man ein komplett neues Auto entwickeln. Diese Kosten als Privatteam zu tragen ist nahezu unmöglich." Bislang haben lediglich Neueinsteiger Citroen und Chevrolet über RML neue Fahrzeuge für den Saisonauftakt angekündigt.

Drei weitere Tourenwagenserien versuchen, ein eigenes Reglement zu vermarkten: Die BTCC setzt auf NGTC (New Generation Touring Car) mit 2-Liter-Turbomotoren und mehr Einheitsteilen als die S2000. Das soll die Kosten nach unten treiben und sichert gleichzeitig noch immer die beste Rennaction in ganz Europa. Die BTCC rühmt sich bis heute, Anfang der 90er Jahre die Supertouring-Regeln eingeführt zu haben. Sie war daraufhin die beste Tourenwagenserie der Welt. Diese Zeiten sind lange vorbei, doch noch immer versuchen die Briten, Vorreiter zu spielen. Sie scheiterten bereits mit den BTC-T-Regeln in den 2000er Jahren gegen das S2000-Reglement, nun startet der neue Anlauf NGTC. Starterzahlen von über 25 Fahrzeugen rechtfertigen den Ansatz, obwohl das Feld derzeit noch mit drei bis vier S2000-Fahrzeugen aufgefüllt wird. Sportlich ist die BTCC erfolgreich, politisch hat sie Pech gehabt: Die NGTC sollte eigentlich auch in Skandinavien laufen, doch dort stieß man auf den Widerstand der Teams. Auch die WTCC geht lieber einen eigenen Weg, die eigenen Fahrzeuge spektakulärer zu machen, als das Regelwerk der Briten zu kopieren.

Im hohen Norden etablierte sich im vergangenen Jahrzehnt nach jahrelanger Dürreperiode die äußerst starke STCC nach S2000-Regularien, die sich aber selbst auseinander nahm, als klar wurde, dass S2000 keine Zukunft mehr hat. Vier Teams wollten nach der Saison 2011 das NGTC-Reglement nicht annehmen und bildeten deshalb eine Piratenserie, die die STCC im Folgejahr übernahm, die aber mittlerweile nur noch aus 15 Fahrzeugen besteht. Zum Einsatz kommen Silhouetten-Fahrzeuge, die auf dem uralten Solution-F-Reglement aus Frankreich mit 3,5-Liter-V6-Motoren basieren. Die Folge: Die Fahrzeuge sind für die engen, langsamen skandinavischen Kurse völlig überdimensioniert, Überholmanöver nahezu unmöglich. Ähnlich der DTM kommen auch hier Silhouettenfahrzeuge zum Einsatz, die keinen Bezug zur Serie haben.

Noch einen anderen Weg schlägt die italienische Superstars-Serie ein. Hier werden große Limousinen der Oberklasse eingesetzt. Sie sind serienbasiert verfügen momentan über V8-Motoren, obwohl zwischen sechs und zwölf Zylindern alles erlaubt ist. Die Fahrzeuge sind spektakulär und die Serie fährt mittlerweile in sechs Ländern, ist jedoch außerhalb Italiens nahezu unbekannt. Der Name Superstars hat im Gegensatz zur DTM und BTCC keinerlei Historie, was die Vermarktung einer sportlich eigentlich hochwertigen Rennserie nachhaltig erschwert. Die Fahrzeuge haben Begeisterungspotenzial, aber die Türen sind verschlossen, um das Regelwerk in anderen Ländern anzuwenden.

Insgesamt sieht die Situation für ein einheitliches Reglement schlecht aus: Jeder in Europa glaubt, den Heiligen Gral gefunden zu haben. BTCC und DTM bestehen aufgrund ihrer Vergangenheit auf Vorreiterrollen, die FIA will kleinvolumige, serienbasierte Tourenwagen, STCC und Superstars ziehen ihr eigenes Ding durch. Wenn überhaupt miteinander geredet wird, dann etwa so: "Ihr nehmt unser Reglement oder gar nichts." Zudem wird das Marketing immer wichtiger: eine Premium-Marke wie Mercedes will nicht gegen Seat oder Lada antreten, was bei einem einheitlichen Tourenwagen-Reglement passieren könnte. Somit ist kein Weg zu einer Einigung in Sicht. Es bleibt nur, das Beste aus der Situation zu machen und sich an der Vielfalt zu erfreuen, dass einem eben nicht in jedem Fahrerlager ein BMW 320i begegnet.

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