"Oh no! Very big accident. Very, very big accident!" Amerikanischen Rennsportfans schießt bei diesen Zeilen wohl unweigerlich ein warmer Sommertag Ende Juni 2006 in den Kopf - in Mid-Ohio überstand Joey Hand im von Matt Connolly Motorsports eingesetzten BMW M3 mit der Startnummer 21 einen der heftigsten Unfälle der jüngeren US-Motorsportgeschichte. Mittlerweile hat den Kalifornier seine BMW-Karriere nach Europa geführt, seit Saisonbeginn ist er Teil des bis dato äußerst erfolgreichen Comeback-Projekts des Münchner Autobauers in der DTM. Die Erinnerungen an einen ganz besonderen Tag vor sechs Jahren, seitdem dem 33-Jährigen wohl nicht selten zum zweiten Geburtstag gratuliert wurde, sind aber nach wie vor nicht verblasst.

Exklusiv bei Motorsport-Magazin.com erinnert sich der Amerikaner an die wohl gefährlichsten Sekunden seiner Rennfahrerlaufbahn: "Oh ja, dafür bin ich bis heute berüchtigt", grinst Hand bei der Konfrontation mit der Thematik. "Ich erinnere mich immer noch an alles, mit Ausnahme des letzten Überschlags, bei dem ich das Bewusstsein verloren habe - nach ungefähr 13 vorangegangenen", rollt er mit den Augen. Pontiac-Fahrer Paul Edwards hatte ihn im Kampf um die Führung in der GT-Klasse in den Schlussminuten des Rennes mit einem mehr als optimistischen Manöver bei voller Fahrt aufs Gras gedrängt. Soweit kein Problem, wie der heutige RMG-Pilot beteuert... wäre da nur nicht diese Zufahrtsstraße für Streckenposten in der Wiese gewesen.

Schicksalsstunde in Mid-Ohio

"Ich führte und dann fuhren wir auf ein paar überrundete Autos auf - ich entschied mich dann für die Innenlinie, aber Edwards gab nicht auf. Bis hin zum Gras habe ich mich verteidigt, aber er ist nie vom Gas gegangen, also hat er mich hinten rechts touchiert, mein Auto wurde leicht, ich hatte etwas durchdrehende Räder und habe mich in Richtung Infield gedreht", beschreibt Hand die Szene vor seinem geistigen Auge, als wäre sie erst gestern passiert. "Ich wurde abgedrängt, aber eigentlich war noch alles in Ordnung - nur dann war da eben diese Unebenheit im Gras..."

"Ich war eigentlich bis zum Ende bei vollem Bewusstsein und habe jeden Ein- und Überschlag auch dementsprechend gespürt. Und ich war mir sicher, dass ich mich ziemlich verletzen würde. Mein Gedanke war nur: 'Ohje, das wird jetzt böse.' Vor allem hatte ich Bedenken, dass ich von einem anderen Auto getroffen werden könnte, wenn ich über die Strecke fliege - das wäre wohl das Schlimmste gewesen." Doch Hand hatte Glück, die Gegner konnten rechtzeitig ausweichen und auch der Sicherheitskäfig im ansonsten völlig zerstörten M3 erledigte seinen Job, blieb bis zum Schluss intakt.

HANS hing im Fenstergitter

In den ersten Sekunden nach dem Stillstand verbesserte sich die Lage des Unfallfahrers jedoch nicht sonderlich. Zuerst fiel ihm auf, dass er bei den vielen Überschlägen sowohl einen Schuh als auch einen Handschuh verloren hatte. "Dann lief Benzin und Öl meinen Rücken entlang und in das Dach des Autos", schildert der zweifache Familienvater die bedrohliche Situation. "Die Streckenmarshalls riefen, ich solle schnell herauskommen, weil das Auto gleich brennen könne - aber ich konnte nicht, weil mein HANS-System im Fenstergitter festhing." Schlussendlich konnten die Rettungskräfte ihn bergen - außer einem schwer geprellten Ellenbogen und starken Rücken- und Nackenschmerzen war Hand wie durch ein Wunder unverletzt.

"Eine Gehirnerschütterung hatte ich auch und am nächsten Tag konnte ich erst einmal nur etwas langsamer gehen, aber alles in allem war ich wohlauf", so der Amerikaner, der bereits am Abend des Unfalls gegen ein Uhr nachts und nach diversen Checks und Scans wieder aus dem örtlichen Mansfield MedCentral-Hospital entlassen wurde. "Ich bin dann gegenüber sofort in ein Steakhouse gegangen und habe mir einen Schokoladenshake und einen doppelten Steakburger mit Chilifritten bestellt. Das hatte ich mir wohl verdient", lacht der sympathische Amerikaner, der dem Grand-Am Cup 200 schon am folgenden Tag wieder vor Ort beiwohnte, wenn auch als Zuschauer.

Zwei Millionen YouTube-Clicks

"Sechs Tage später bin ich dann auch selbst schon wieder gefahren und saß am Steuer eines BMW - wenn auch an dem eines anderen", grinst Hand. "Um ehrlich zu sein, verbinde ich nicht nur Schlechtes mit alledem, denn der Unfall hat mich - wohl oder übel - auch viel bekannter gemacht", will er nach wie vor auch das Positive sehen. "Die Leute haben diesen Unfall und dieses Wrack gesehen und danach kannten sie Joey Hand. Es ist schon komisch", gibt der US-Boy zu. "Ich habe die 24 Stunden von Daytona gewonnen, die 12 Stunden von Sebring und die GT-Meisterschaft - und trotzdem reden die Leute immer noch in erster Linie darüber."

Egal ob Steak nach dem Megacrash oder American Football vorm Rennen: Hand ist Amerikaner durch und durch, Foto: DTM
Egal ob Steak nach dem Megacrash oder American Football vorm Rennen: Hand ist Amerikaner durch und durch, Foto: DTM

Heute sehe er diese Wahrnehmung aber gelassen. "Das Schöne ist doch - die Leute sagen mittlerweile: 'Oh, das ist der Typ mit dem Unfall... der dann aber auch gewonnen hat.'" Dass er nun neben seiner anfänglichen Bekanntheit durch den Horrorunfall, der ob seines spektakulären Ausmaßes weltweit durch die Nachrichtensendungen gegangen war, auch Erfolge vorzuweisen habe, mache das Leben dann doch bedeutend einfacher. Seiner Internetberühmtheit ist sich Hand aber durchaus bewusst. "Ich glaube, das Video davon hat mittlerweile fast zwei Millionen Clicks auf YouTube, das ist nicht schlecht", scherzt der Amerikaner, der meint: "Wenn man Informationen über mich im Internet sucht, wird das wohl immer als Erstes kommen."

Glück im Unglück

Mittlerweile blicke er dementsprechend mit gemischten Gefühlen auf die Vorkommnisse von Mid-Ohio. "Man muss schon zugeben: Es war einer dieser Tage, wo man einfach glücklich sein muss, dass man überlebt hat. Die Dinge sind in ihrem Rahmen damals mehr als glimpflich verlaufen, obwohl ja eigentlich fast alles schiefging, was nur hätte schiefgehen können. Glück im Unglück also, wenn man so will, denn ich habe nichts massives getroffen und die Beschleunigung hat sich stetig und geradlinig abgebaut."

Dass ihn der Unfall verändert habe, glaubt Hand dann aber doch - allerdings anders, als man das vielleicht zunächst vermuten würde: "Ich denke, dieser Unfall hat mich sogar noch schneller gemacht. Ich weiß nicht, wie ich das am besten ausdrücken soll und man darf mich nicht falsch verstehen, denn so wie es jetzt vielleicht klingt, meine ich es eigentlich gar nicht - aber auf eine gewisse Art und Weise hat man nach so einem Unfall einfach das Gefühl: 'Wenn ich das überlebe, dann überlebe ich wohl fast alles.' Das war wirklich ein 'Big One', wie wir in Amerika sagen."

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