Auf der Strecke und in deinem Sport zeigst Du großen Ehrgeiz, hat Dich das geprägt und wenn ja, in welcher Form?
Timo Scheider: Ganz sicher hat der Erfolg aus mir sportlich wie auch privat einen anderen Menschen gemacht! Jeder Misserfolg wie auch jeder Erfolg hat mich reifen lassen, mir neue Stärke verliehen und damit mir die Möglichkeit gegeben, Situationen im Privatleben neu zu bewerten oder souveräner damit umzugehen. Was früher für einen wichtig war, ist plötzlich für einen nur mehr eine Kleinigkeit. Dadurch kann man damit auch viel souveräner umgehen als vorher. Im Sport - meiner großen Leidenschaft - merke ich das ganz speziell. Wenn du Erfolg und viel erreicht hast, dann bringt dich das auf eine andere Stufe.

Man bleibt menschlich der Gleiche, aber man ist in vielen Dingen und Situationen ein Stück weit relaxter und cooler. Auf der anderen Seite muss ich dazu sagen, dass der Erfolg und der Ehrgeiz dazu beiträgt, dass die Ziele weiter nach oben geschraubt werden und das bringt auch wieder ein bisschen Druck. Aber so soll das Leben doch sein. Man soll Aufgaben und Ziele haben - dafür bin ich hier auf der Erde unterwegs, damit ich meinen Traum und mein Leben leben kann.

Welche Werte wurden Dir in deiner Kindheit vermittelt und welche Werte siehst Du aus heutiger Sicht als bedeutungsvoll für das gesellschaftliche Miteinander an?
Timo Scheider: Ich glaube, das kann man relativ einfach beschreiben. Ehrlichkeit und Offenheit sind Dinge, die ich von Kindesbeinen an mitbekommen habe. Ich habe mein Leben lang in meinem Umfeld und in der Gesellschaft probiert danach zu leben und habe vielleicht hier und da - speziell im Sport - Situationen gehabt, wo ich hätte anders denken müssen. Damit meine ich, dass ich vielleicht im Sport nicht immer offen und ehrlich sein hätte sollen, sondern viel egoistischer. Das hätte mir in der einen oder anderen Situation im Motorsport vielleicht einen Vorteil gebracht, aber ich bin schon immer gerade heraus gewesen.

Aber heute - jetzt bin ich 32 Jahre alt - kann ich klar sagen, dass sich mein Weg auf lange Sicht ausgezahlt hat. Heute versuche ich diese Werte meinem Sohn weiterzugeben. Ich möchte ihm beibringen, dass man mit einer offenen und ehrlichen Art immer am Weitesten kommt. Sicherlich muss man manchmal etwas Schauspielern, um bestehen zu können, aber so etwas ist nie von langer Dauer. Deswegen ist es für mich wichtig, immer geraderaus und offen zu sein.

Wie würdest Du sagen, gehen die Menschen heutzutage miteinander um?
Timo Scheider: Also ich bin - wenn ich ehrlich bin - oftmals geschockt von unserer Gesellschaft. Es ist schlimm, wie oberflächlich die Menschen miteinander umgehen und welche Themen und Szenarien unser Alltagsgeschäft bestimmen. Das sind Wahrnehmungen, mit denen ich manchmal für mich kämpfe. Kämpfen ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber es sind Situationen, wo ich denke, wieso ist das jetzt ein Thema? Es sind immer die kleinen Dinge im Leben, die das Leben lebenswert machen und die Basis für ein vernünftiges Miteinander darstellen. Manchmal würde ich mir wünschen, dass die Menschen miteinander gerechter umgehen und sich auf die kleinen Dinge besinnen. Denn erst dann weiß man Großes zu schätzen. Ich glaube, diese Balance fehlt ein bisschen in unserer Gesellschaft.

Du selbst engagierst dich ebenfalls. Welche Themen und Projekte liegen Dir am Herzen?
Timo Scheider: Ein wichtiges Projekt ist für mich "Stunde des Herzens" in Vorarlberg. Hier kam ich erstmals mit benachteiligten Kindern und deren Familien in Berührung. Es ist eines der größten Projekte, mit denen ich zusammenarbeite. Aber auch die Stiftung "Wings for Life", die sich mit der Rückenmarksforschung beschäftigt und Querschnittslähmung wieder heilbar machen möchte, unterstütze ich sehr gerne als Botschafter. Mein Handeln resultiert aus meinen Erlebnissen bei "Stunde des Herzens", die mich quasi in das Thema eingeführt und mir meine Möglichkeiten zu helfen, aufgezeigt haben.

Timo Scheider mit Freundin Jessica Hinterseer, Foto: DTM
Timo Scheider mit Freundin Jessica Hinterseer, Foto: DTM

Mein wohltätiges Handeln hat dazu geführt, das ich vom Bundesministerium für Familie in Österreich das Bundesverdienstkreuz verliehen bekomme. Auf der einen Seite sehr ehrt mich diese Auszeichnung sehr und ich freue mich darüber, aber auf der andern Seite profitiere ich selbst von meinem Engagement. Ich ziehe so viel Kraft daraus, wenn ich sehe, was ich mit meinem Einsatz den Familien und deren Kindern geben kann. Deshalb hätte es für mich keine Auszeichnung gebraucht, um etwas Gutes zu tun. Wie gesagt, es gibt Projekte, die für mich extrem wichtig geworden sind und die mich auf meinem Lebensweg begleiten und meine Sichtweise auf das Leben extrem geprägt haben.

Warum setzt Du dich gerade für diese Projekte ein?
Timo Scheider: Ich engagiere mich bei beiden Projekten sehr intensiv, soweit es die Zeit zulässt. Diese Themen sind Herzensangelegenheiten, die mir sehr wichtig sind. Natürlich gibt es hier und da immer noch kleine Projekte, aber diese beiden sind die größten Projekte, bei denen ich mich engagiere. Durch mein Engagement habe ich zum ersten Mal im Leben richtiges Leid gesehen und das hat mich dazu gebracht, mich in gewissen Situationen erstens anders zu verhalten und zweitens mich für weitere Projekte zu engagieren.

Was kannst Du durch dein Engagement bewegen?
Timo Scheider: Es gibt diesen Spruch "Tue Gutes und rede nicht darüber". Diese Redensweise entspricht nicht meiner Meinung. Es geht nicht darum, sich mit seinem Handeln ins Rampenlicht zu stellen, sondern darum, alle Mittel, die man zur Verfügung hat, zu nutzen, um in verschiedenen Bereichen Gutes zu tun und etwas zu bewegen. Das fängt schon damit an, sich in der eigenen Nachbarschaft umzusehen. Man muss nicht in ferne Länder reisen, um irgendwelche Situationen vorzufinden, in denen Menschen Hilfe brauchen, sondern das fängt eben in der Nachbarschaft schon an. Das versuche ich auch selbst umzusetzen.

Welches war Dein emotionalstes Erlebnis, das Du durch dein privates Engagement erfahren durftest?
Timo Scheider: Das war ein dreieinhalbjähriges Kind, das schon zum vierten Mal operiert wurde und eigentlich keine Chancen mehr auf Heilung hatte. Die Ärzte hatten der Familie geraten, die letzten zwei bis drei Monate mit ihrem Kind noch zu genießen. Ich habe einen ganzen Tag mit diesem wunderbaren Kind verbracht. In Innsbruck gab es die Möglichkeit einer Operation, nachdem bereits drei Kliniken diese Operation abgelehnt hatten. Die Chancen standen 50:50. Zu sagen, wir riskieren diese Operation war wohl die schwerste Entscheidung, die die Eltern in ihrem Leben treffen mussten. Die Kleine war eine echte Kämpferin. Sie hatte drei Chemotherapien überstanden und hat es geschafft, die schwere Krankheit irgendwie zu verdrängen. Sie war so ein lebensfrohes Kind, unfassbar, dass die Eltern sich tatsächlich dazu entschieden haben, dieses unglaublich große Risiko auf sich zu nehmen und diese Operation zu wagen. Sie haben es getan und es hat Gott sei Dank funktioniert!

Die Kleine hat die darauf folgende Chemotherapie erneut gut überstanden und ist momentan auf dem besten Weg der Besserung. Ich werde nie vergessen, wie sie - es ist ein unfassbar emotionales Bild für mich - so vor mir stand und den Kopf an meinen Kopf legte, mit ihren kleinen Händen meine Wangen packte und mir mit dem Satz "Ich hab dich lieb" einen Kuss auf die Backe gab. Das war einfach unglaublich. Da war dieser kleine Mensch, der so viel Kraft hatte und so vor Energie sprühte - das war wirklich sehr emotional für mich. In diesem Moment wird einem klar, was für ein kleines Licht man in diesem Universum ist und wie wenig man eigentlich ausrichten kann - ganz egal, ob du erfolgreich oder nicht erfolgreich in deinem Job bist. Es sind ganz andere Werte im Leben, die einen bestimmen und das lässt dich auch mit Niederlagen im Sport umgehen. Es ist zwar ärgerlich, aber man kann daran nichts ändern. Durch solche privaten Erlebnisse erkennst du die Relationen viel besser! Was gibt es Ernüchterndes als die Wirklichkeit?

Als Sportler erlebt man Höhen und Tiefen. Was war Dein sportliches Highlight?
Timo Scheider: Das war ganz klar der Titelgewinn 2008. Mein erster Sieg hat zwar auch lange auf sich warten lassen, aber als ich den Titel geholt habe, war es ein unfassbares Gefühl. Ich holte ihn mit einem tollen Team und auf deutschem Boden. In Hockenheim waren an diesem Wochenende ca. 177.000 Zuschauer - das war emotional ohne Ende. Es gibt noch heute Momente, wo ich mir die DVD von 2008 zur Motivation "reinschmeiße".

Timo Scheider bei seinem Titeltriumph 2008 in Hockenheim, Foto: DTM
Timo Scheider bei seinem Titeltriumph 2008 in Hockenheim, Foto: DTM

Was war Dein sportlich bislang bitterster Moment?
Timo Scheider: Wenn ich das so Revue passieren lasse, dann war dieser Moment nicht in der DTM, sondern in meiner Formel 3-Zeit. Ich bin damals mit Nick Heidfeld um die Meisterschaft gefahren und habe im vorletzten Rennen die Meisterschaft angeführt. Nick stand bei diesem Rennen irgendwo auf Platz 10 oder 11 und ich auf P2. Ich wollte das Rennen unbedingt gewinnen, flog aber von der Strecke ab. Ich konnte zwar noch weiterfahren, aber am Ende habe ich knapp die Meisterschaft verloren. Das sind solche Momente, die auch im Nachhinein noch ein bisschen wehtun. Denn es war damals klar, dass der Pilot, der den Formel-3-Titel gewinnt, im Formel-1-Auto sitzt. Auf der einen Seite war das sehr enttäuschend, aber aus heutiger Sicht und mit dem, was ich heute habe, kann ich damit sehr gut umgehen. Ich kann heute sagen: das musste so kommen, das sollte so sein, es hat alles seinen guten Grund gehabt.

Gibt es einen Spruch, der für dein Lebensmotto steht, und den Du gerne als Vorbildfunktion den Menschen mitgeben möchtest?
Timo Scheider: Ja, es gibt einen Spruch. Er ist nicht so außergewöhnlich, aber er ist für mich immer wieder ein Antrieb gewesen zu sagen: Heute ist ein Neustart und morgen ist ein Neustart. Nutze jeden Tag, als wenn es der letzte wäre - dieser Spruch sagt sehr viel aus. Zudem kann man ihn auf die verschiedensten Situationen beziehen. Denn heutzutage weiß man ja nie, was morgen kommt und vielleicht ist das auch gut so. Auf der anderen Seite sage ich mir, ist es ein schönes Statement, aus jedem Tag das Beste zu machen. Dafür arbeite und lebe ich!

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