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Warum sind die tödlichen Unfälle wirklich passiert?

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Wie viel Sicherheit in der Formel-1 muss wirklich sein? Braucht es die asphaltierten Auslaufzonen? Eine Analyse der tödlichen GP-Unfälle zeigt: Die größten Gefahren in der Formel-1 sind längst verbannt worden. Bis auf eine: Die offenen Cockpits.

Viel wird über die Formel-1 2017 diskutiert. Sie soll lauter, spektakulärer, schwieriger – also einfach besser werden. Der Vorstandsvorsitzende des Mercedes-F1-Teams, Niki Lauda, sagt: „Der nächste Schuss muss sitzen.“ Damit er das tut, sollten sich die Regelschreiber genau anhören, was den Fans an der Formel-1 derzeit nicht gefällt. Ganz oben auf der Liste sind übertriebene Sicherheitsvorkehrungen, wie asphaltierte Auslaufzonen oder die Handhabung bei Regen. Richtige Regenrennen sind inzwischen Mangelware geworden, kaum wird es richtig nass, kommt schon das Safety-Car raus.

Sicherheit ist natürlich ein absolut wichtiges und richtiges Gut der modernen Formel-1. Keiner will Tote oder Verletzte in der Formel-1 sehen. Der tiefe Schock nach dem schweren Unfall von Jules Bianchi in Japan hat das eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Formel-1 ist inzwischen sicherer als Fußball oder andere Sportarten. Kein zwickender Meniskus, keine Platzwunden wie bei Bastian Schweinsteiger im Fußball-WM-Finale, keine Knochenbrüche. Und das ist auch gut so. Die Fans wollen die Fahrer in Action sehen, nicht im Krankenhaus oder auf Nachrufseiten in Fachzeitschriften. Aber auf der anderen Seite der Medaille darf die Formel-1 auch nicht ihren Reiz verlieren. Und das tut sie durchaus, wenn man die Strecken zu sehr zämt, die F1-Fahrzeuge zu leicht händelbar macht oder die angeblich besten Rennfahrer der Welt nur bei strahlendem Sonnenschein auf die Strecke lässt.

Sicherheitsrisiko offene Cockpits


Sicherheit wo nötig, aber eben nicht wo überflüssig – das muss das Motto sein, wenn es darum geht, die Formel-1 wieder attraktiver zu machen. F1-Boss Bernie Ecclestone wünschte sich für 2017 via „Auto, Motor und Sport“ zum Beispiel: „Die Fahrer sollen nicht mehr beim Überfahren irgendeiner Linie bestraft werden.“ Das geht am besten, wenn man nicht – plakativ ausgedrückt – auf geteerten Parkplätzen mit Wachsmalkreiden eine Strecke aufmalt, sondern wenn man eine Strecke mit klaren Abgrenzungen in Form von Wiesen und Kiesbetten in die Natur pflanzt.

Das Thema Sicherheit in der Formel-1 ist heikel. Denn eine der größten Sicherheitslücken ist noch immer vorhanden: Die offenen Cockpits. Mehreren Fahrern wurde das zum Verhängnis. Piers Courage zum Beispiel wurde beim Niederlande-GP 1970 vom eigenen Rad erschlagen, Mark Donohue rauschte im Warm-Up zum Österreich-GP 1975 gegen einen Fangzaunpfosten. Und Tom Pryce wurde 1977 im Südafrika-GP von einem Feuerlöscher erschlagen, in einem der skurrilsten Unfälle aller Zeiten. Sein Shadow-Teamkollege Renzo Zorzi blieb mit einem Motorschaden liegen, der Wagen fing Feuer. Zwei übereifrige Streckenposten überquerten die Strecke, als Pryce über eine Kuppe heranrauschte. Er erfasste einen der Streckenposten, der daraufhin in die Luft geschleudert wurde. Der Feuerlöscher erschlug Pryce.

Die Cockpits in der Formel-1 zu verschließen, scheint bei den meisten ein Tabuthema zu sein. Das Hauptargument: Ein Formel-Rennwagen definiert sich als Einsitzer mit freistehenden Rädern und offenen Cockpits. Außerdem muss erst eine sichere Alternativlösung gefunden werden. Geschlossene Cockpits funktionieren nicht so gut wie im Sportwagen, weil es im GP-Boliden keine Türen gibt. In gewisser Weise lebt man aber mit dem Risiko des offenen Cockpits.

Überschläge nicht mehr so gefährlich


Die meisten der zig Todesfälle in der Formel-1 lassen sich in mindestens einer dieser Kategorien einteilen: Feuerunfall, Bäume neben der Piste, aus dem Wagen geschleudert, mangelhafte Streckenbegrenzungen oder aber mangelhafte medizinische Versorgung, besonders bei Testfahrten. Die meisten dieser Gefahren sind längst verbannt.

Überschläge waren über Jahrzehnte aus mehreren Gründen sehr gefährlich: Erstens, weil die Fahrer ohne Sicherheitsgurte, die erst in den 60er Jahren so nach und nach aufkamen, oftmals bei Überschlägen aus dem Wagen geworfen wurden. Und konnten sie sich im Wagen halten, lauerte schon die nächste Gefahr: Die Fahrer saßen früher in den GP-Rennwagen, der Kopf ragte weit hinaus, die Verletzungschance war deutlich erhöht. Heute liegen die Fahrer viel mehr in ihren Wagen, die Köpfe sind weit unten, die Überrollbügel deutlich höher und kräftiger. Heute sind Überschläge nach wie vor spektakulär, aber relativ harmlos.

Die Liste der GP-Toten durch Überschläge ist ellenlang. Bekannte Fahrer, die so den Tod fanden sind beispielsweise Albert Clément beim Training zum Frankreich-GP 1907, David Bruce-Brown beim Frankreich-GP 1912, Antonio Ascari beim Frankreich-GP 1925, Marcel Lehoux beim Deauville-GP 1936, László Hartmann beim Tripolis-GP 1938, Achille Varzi beim Schweiz-GP 1948, Luigi Musso beim Frankreich-GP 1958, Ricardo Rodriguez beim Mexiko-GP 1962 oder auch Gilles Villeneuve im Quali zum Belgien-GP 1982 um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen.

Die Überlebenschance eines F1-Fahrers ist heute schon alleine wegen den Rennstrecken um ein Vielfaches höher als noch vor Jahrzehnten. Gerade in der Steinzeit des GP-Sports wurden die Rennen auf öffentlichen Straßen abgehalten. Die erinnerten eher an heutige Rallye-Pisten. Neben den Strecken waren die natürlichen Begrenzungen. Beispielsweise Bäume. Viele GP-Fahrer starben, weil sie gegen einen Baum krachten. Auch hier wieder ein paar Beispiele: Biago Nazzaro 1922 beim Frankreich-GP, Graf Louis Zborowski 1924 beim Italien-GP 1924, Onofre Marimon 1954 beim Deutschland-GP, Peter Collins 1958 beim Deutschland-GP oder Carel Godin de Beaufort 1964 beim Deutschland-GP.

Strecken viel sicherer


Heute gibt es glücklicherweise weitläufige Auslaufflächen. Ob diese unbedingt asphaltiert sein müssen, wird aber freilich eifrig diskutiert. Ein Argument für die asphaltierten Auslaufflächen haben mit dem Sicherheitsaspekt nichts zu tun: Macht ein Fahrer einen Fehler, so ist die Chance auf einen Rennausfall bei Kiesbetten deutlich höher. Man will den Fans aber Fahrer bieten, die auch fahren und nicht im Kiesbett stecken. Doch damit geht sicherlich ein Reiz des Rennsports verloren. Der nämlich, dass bei Limitüberschreitung das Rennen beendet sein kann. Und dieser Reiz dürfte den meisten Fans lieber sein.

Auch die Streckenbegrenzungen sind viel sicherer geworden. Leitplanken wurden für Fahrer wie Helmut Koinigg (USA-GP 1974) oder Chris Bristow (Belgien-GP 1960) regelrecht zur Guillotine. Heute kommt es glücklicherweise auch nicht mehr vor, dass Fahrzeuge in die Zuschauer geschleudert werden und dort für viele Todesopfer sorgen. Das war unter anderem bei Emilio Materassi beim Italien-GP 1928 (41 Todesopfer) und Wolfgang Graf Berghe von Trips beim Grand Prix von Italien 1961 (14 Todesopfer) der Fall.


Feuerhöllen inzwischen verbannt


Schließlich sind auch Feuerunfälle selten. Als die Chassis noch aus Magnesiumlegierungen bestanden und die Streckenbegrenzungen oft auch noch mit Strohballen aufgestellt wurden, bedeutete auslaufendes Benzin oft eine Flammenhölle. Dem Feuertod starben im Grand-Prix-Sport unter anderem: Dick Seaman beim Belgien-GP 1939, Stuart Lewis-Evans beim Marokko-GP 1958, Lorenzo Bandini beim Monaco-GP 1967, Jo Schlesser beim Frankreich-GP 1968 oder Roger Williamson beim Großen Preis der Niederlande 1973.

Die tödlichen Unfälle, die nicht in diese Kategorien eingeordnet werden können, sind überschaubar. Jochen Rindt starb 1970 in Monza, weil er aus Angst vor einem Feuerunfall die Sicherheitsgurte nicht fest anzog. Ronnie Peterson verstarb im Krankenhaus an einer Embolie, María de Villota starb an den Folgen ihres Testunfalls 2012, bei Ayrton Senna bohrte sich ein Teil der Aufhängung in den Helm.

Fazit: Die Autos, die Strecken und viele anderen Rahmenbedingungen sind inzwischen so weit entwickelt worden, dass sie ziemlich sicher sind. Diese Entwicklung muss weiterhin vorangetrieben werden. Aber es darf auch nicht übertrieben werden. Ein gewisses Sicherheitsrisiko gibt es wie immer überall im Leben. Es ganz auszulöschen wäre nur mit dem Verbot des Rennsports umsetzbar. Es nahezu auszuschließen ist heute schon möglich – und das eigentlich auch ohne Kastrationen wie asphaltierten Auslaufflächen oder anderen übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen.

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